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Rauf auf den Berg oder hinab in die Kaverne
Wind- und Solarstrom stehen nur unstet zur Verfügung. Plötzliche Lastschwankungen müssen ausgeglichen werden. Dazu eignen sich Pumpspeicherkraftwerke, aber auch Druckluftspeicherkraftwerke. Von Georg Küffner
Sie drehen sich nicht, sie drehen sich, sie drehen sich nicht: Anrufe bei den Energieversorgern, warum mal wieder die unmittelbar am Dorfrand aufgestellten Windräder abgestellt wurden, sind keine Seltenheit. Was als Willkür der Stromanbieter interpretiert wird, ist nichts anderes als Kapitulation vor der Natur: Nur wenn der Wind ausreichend stark bläst, lässt sich mit den nicht nur hierzulande immer zahlreicheren und immer höher in den Himmel ragenden Windkraftanlagen elektrischer Strom erzeugen. Doch Windräder taugen auch dann nichts, wenn zu viel Zug in der Luft ist. Denn schwillt ein Starkwind zu einem Orkan an, schwenken die Windräder aus dem Wind, um nicht von den dann herrschenden großen Kräften zerstört zu werden.
Ähnlich unzuverlässig arbeiten Photovoltaikanlagen. Sie ernten nur dann "kostenlos" zur Verfügung stehenden Solarstrom, wenn die Sonne scheint. An wolkenverhangenen Tagen und während der Nachtstunden stellen sie ihren Betrieb ein. Die zum Kühlen des Feierabendbiers und zum Erhellen der Wohnstuben benötigte Elektrizität müssen dann andere Erzeuger liefern.
Wind- und Sonnenstrom stehen nur unstet zur Verfügung. Zwar schafft man es, mit komplexen Prognoseprogrammen recht präzise "Erntekurven" für regenerativ erzeugten Strom zu definieren. Doch erst wenn die vollständige Information über Leistungsangebot und -nachfrage (über den Tagesverlauf) vorliegt, kann man das gewohnt hohe Maß an Versorgungssicherheit garantieren. Mit dem weiteren Ausbau vor allem der Windenergie von derzeit rund 20 000 Megawatt auf für 2020 geplante 30 000 Megawatt wird das nicht einfacher. Denn je mehr Windräder aufgestellt und zudem - wie bei den Offshore-Parks vorgesehen - regional konzentriert errichtet werden, desto mehr Reserven müssen bereitgehalten werden. Zwar ist es richtig, dass bei immer mehr Windrädern das Risiko sinkt, dass gleichzeitig ein Großteil von ihnen ausfällt. Da aber nach einer vom Gros der Fachleute als richtig eingeschätzten Faustformel Windräder nur zehn Prozent an konventioneller Wärmekraftwerksleistung ersetzen können, ist die abzuleitende Beispielrechnung nicht schwierig aufzustellen: 1000 Megawatt zusätzliche Windleistung entsprechen gerade mal 100 Megawatt thermischer Kraftwerksleistung. Oder andersherum ausgedrückt: Soll ein "klimakillendes" Kohlekraftwerk mit einer Leistung von 600 Megawatt durch Windkraft ersetzt werden, müssen Windräder mit einer Leistung von 6000 Megawatt aufgestellt werden.
Witterungsbedingte Sprünge bei der Bereitstellung von Windstrom lassen sich mit modernen Windrädern, die über eine Sturmregelung oder sanfte Sturmabschaltung verfügen, zwar mildern, doch ganz vermeiden lassen sie sich nicht. Um das Netz stabil zu halten, muss sogenannte Regelleistung permanent vorgehalten werden. Die Vertreter der Windkraftlobby beziffern die derzeit benötigte Reserveleistung auf rund 1000 Megawatt, was fünf Prozent der Ende 2006 installierten Windkraftleistung entspricht. Die Stromversorger nennen deutlich höhere Werte - Tendenz steigend.
Um sie abdecken zu können, sind im deutschen Netz gegenwärtig Pumpspeicherkraftwerke mit einer Leistung von rund 7000 Megawatt und einer Speicherfähigkeit von einigen Stunden in Betrieb. Ihre Kapazität lässt sich innerhalb der Landesgrenzen nur noch marginal vergrößern. Der Grund: Es fehlt an geeigneten Höhenzügen, auf denen sich die für das Zwischenspeichern der mit "Überschussstrom" in die Höhe gepumpten Wassermassen benötigten Becken installieren ließen, ohne dass Umweltschützer wegen der damit verbundenen Eingriffe in die Natur protestieren.
Das jüngste deutsche Pumpspeicherkraftwerk ging Ende 2002 in Betrieb. Mit einer Leistung von 1060 Megawatt ist die Anlage Goldisthal in Thüringen geringfügig stärker als die (modernsten deutschen) Kernkraftwerke, die Ende der achtziger Jahre ans Netz gegangen sind und bei denen der Hochfahrprozess mehrere Stunden dauert. Schneller funktioniert das bei einem Pumpspeicherkraftwerk. Um besonders flott starten zu können, stellt man sie auch nur selten vollständig ab. Man lässt die Turbine vielmehr im zuvor "leergeblasenen" Leitapparat als sogenannte rotierende Reserve drehen. Kommt es durch den Ausfall mehrerer Windräder zum Leistungsabfall im Netz, öffnet man einen überdimensional großen Wasserschieber am unteren Ende des vom Oberbecken bis in den Maschinenraum führenden Druckstollens (mit einem Innendurchmesser von 6,2 Meter). Daraufhin strömt das in dem "Fallrohr" stehende Wasser auf die Turbine, und in weniger als einer Minute haben Turbine und Generator ihre maximale Leistung erreicht. Ein vorzügliches Ergebnis, das das Pumpspeicherkraftwerk zum idealen Leistungspuffer im Netz macht.
Techniken, die hier mithalten können, gibt es bisher nicht. Doch an der Entwicklung unterschiedlichster Lösungen wird gearbeitet: So hofft man, das Leistungsvermögen elektrischer Kondensatorenspeicher (SES) und die mit supraleitenden Spulen (SMES) arbeitenden magnetischen Speicher verbessern zu können. Eine weitere Möglichkeit sind Schwungradspeicher, wie sie heute schon unterstützend bei der Notstromversorgung sensibler elektrischer Geräte in Krankenhäusern und der Telekommunikation eingesetzt werden. Auch allen Arten von chemischen Speichern (Batterien) werden noch Leistungssteigerungen zugetraut. Doch ob sie je mit Pumpspeicherkraftwerken konkurrieren können, ist fraglich. Das gilt auf absehbare Zeit auch für das Erzeugen (und Speichern) von Wasserstoff mit regenerativ gewonnenem elektrischem Strom. Verantwortlich sind dafür die Verluste entlang der Umwandlungskette von Strom in Wasserstoff und wieder zurück zu Strom. Rund drei Viertel des mühsam erzeugten Windstroms gehen verloren, so dass man diesen Weg immer nur dort nutzen wird, wo aufgrund einer Insellage (etwa einer weitab liegenden Forschungsstation) ein Netzverbund allein schon aus Kostengründen ausscheidet.
Die Marktchancen der Speichertechniken definieren sich demnach über den Wirkungsgrad. Mit einer Effizienz von bis zu 80 Prozent liegen Pumpspeicherkraftwerke exzellent im Rennen. Klar schlechtere Ergebnisse erzielt (bisher) eine Speichertechnik, über die wieder öfter diskutiert wird, die aber den Vorteil hat, auch mit großen Leistungen fertig zu werden: der Druckluftspeicher. Diese den Pumpspeicherkraftwerken sehr ähnliche Technik ist keineswegs neu. Schon 1978 hat man im niedersächsischen Huntorf eine Anlage in Betrieb genommen mit dem Ziel, den in einem benachbarten Kernkraftwerk während der Nachtstunden anfallenden Stromüberschuss für Spitzenlastzeiten "einzulagern". In zwei großen Salzkavernen in 650 bis 800 Meter Tiefe können zusammen 310 000 Kubikmeter Luft gespeichert werden. Um möglichst viel Energie zu "puffern", wird die Luft auf rund 60 bar komprimiert. Die eingelagerte Druckluft reicht aus, um eine 290-Megawatt-Turbine zwei Stunden unter Volllast zu betreiben.
Dass die Huntorfer Anlage jedoch lediglich einen Wirkungsgrad von 42 Prozent erreicht, liegt an deren "Schaltkonzept": So lässt man die beim Komprimieren der Luft entstehende Wärme in die Umgebung verpuffen. Wie bei einer Luftpumpe fallen auch in den von kraftvollen Elektromotoren angetriebenen Kompressoren enorme Wärmemengen an, die es eigentlich wert wären, genutzt zu werden. Sie sind auf jeden Fall viel zu schade dazu, lediglich "weggekühlt" zu werden.
Doch nicht nur das Verdichten der Speicherluft läuft in Huntorf nicht optimal. Auch das Erzeugen der Regelenergie ist verbesserungsfähig. So startet bei einem plötzlich auftretenden Lastmangel eine Gasturbine, die zwar ihre Verbrennungsluft nicht selbst komprimieren muss - was Vorteile bietet. Die kommt verdichtet aus der Kaverne. Doch muss sie aufgewärmt werden, um die beim Entspannen entstehende Kälte ausgleichen zu können.
Alle diese Nachteile will man mit einem modifizierten Anlagenkonzept vermeiden. Im Zuge eines mittlerweile abgeschlossenen EU-Forschungsprojekts (AA-CAES: Advanced Adiabatic Compressed Air Energy Storage) ist man den technischen Herausforderungen nachgegangen. Und die sind nicht gerade klein, soll doch anders als in Huntorf die beim Verdichten der Luft anfallende Wärme so lange zwischengespeichert werden, bis man sie zum Aufheizen der aus der Kaverne kommenden Druckluft benötigt. Mit diesem Konzept soll es möglich werden, die für die Stromerzeugung (und damit für den Antrieb der Generatoren) zuständigen Turbinen "lediglich" mit hochkomprimierter Luft zu betreiben. Das Verfeuern von Gas wird nicht notwendig sein. Ziel ist es, mit dem adiabaten Druckluftspeicherkraftwerk Wirkungsgrade von mehr als 70 Prozent zu erreichen.
Bis dieses Ergebnis nachgewiesen werden kann, wird noch einige Zeit vergehen. Zwar verkündet der badische Stromerzeuger EnBW immer wieder einmal, in Niedersachsen eine entsprechende Anlage bauen zu wollen. Der Standort sei gefunden, heißt es, ohne dass man ihn verraten will. Doch müssen vor Baubeginn noch einige technische Schwierigkeiten beseitigt werden: Kompressoren, welche die sich beim Verdichten auf mehr als 600 Grad erhitzende Luft bis zum Ende "mitschleppen" (und zudem über Schnellstarteigenschaften verfügen), sind nicht auf dem Markt. Sie müssen noch entwickelt werden. Das gilt auch für den Wärmespeicher. Hier denkt man an bunkerähnliche Bauten, die mit Naturstein, feuerfestem Material oder Metall als (Wärme-)Speichermedium gefüllt werden. Und auch bei den mit komprimierter Heißluft auf Touren zu bringenden Turbinen betritt man Neuland. Um das angepeilte Effizienzziel zu erreichen, müssen sie leistungsvariabel betrieben werden können. Dazu benötigen sie verstellbare Leitschaufeln, was sie kompliziert und störungsanfällig macht.
Ob überhaupt und wann in Deutschland ein zweites Druckluftspeicherkraftwerk zur Netzstabilität beitragen wird, ist demnach unklar. Daran wird auch ein von amerikanischen Technikern entwickeltes und als "Dudelsack-Technik" mit viel Vorschusslorbeeren bedachtes Konzept nichts ändern: Sie haben vorgeschlagen, mit Windrädern nicht länger Strom zu erzeugen, sondern Kompressoren anzutreiben. Die Druckluft kann dann gespeichert und bei Bedarf für die Stromproduktion genutzt werden. Hohe Leitungskosten, -verluste und das "Vergeuden" der Kompressionswärme lassen das Konzept wenig attraktiv erscheinen.
Text: F.A.Z., 13.11.2007, Nr. 264 / Seite T1 MfG kiiwiipedia
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