Da steht nun also die zweite große Übernahme an, nachdem bereits Firsev und Firstdata zusammengingen. Und es ist wieder mal in den USA, wo 1) unbares Bezahlen weiterfortgeschritten ist, als hier (daher auch verschäfterer Wettbewerbsdruck), 2) mehr Geld, Investment-/Changebereitschaft vorhanden ist durch ausgeprägte VC/-PE-Kultur, 3) die Unternehmen jeweils börsennotiert sind (auch dies macht M&A "einfacher") und 4) man noch mehr, als hier befürchtet die großen Techkonzerne könnten den Markt beherrschen, weswegen man sich direkt mal so groß fusioniert, dass sie als Übernahme für ALP, APPL, AMZ und Co. zu teuer werden.
Denn, wenn man sich die Historie dieser Paymentfirmen anschaut, Wikipedia reicht, dann fällt auf, dass die ihre Marktposition (nicht Vormachtsstellung) nie aus ihrer Innovationskraft oder überhaupt irgendwie organisch , sondern nur aus M&As aufbauten. Wirecard hingegen hat bislang nur Übernahmen getätigt, um geographisch zu wachsen, nicht des Technologie-/Knowhowerwerbs wegen. Bemerkenswert finde ich zudem, dass WDI zuletzt vor 2 Jahren aktiv wurde und nun, wo sich andere bemühen, ihre vermeintliche Größe zu bewahren und sich gegenseitig übernehmen, Wirecard sich auf ihre Innovationsführerschaft konzentriert. Kann man interpretieren, als das der Markt preismäßig überhitzt ist und Wirecard sich die aktuellen Preise nicht leisten kann oder will. Finde ich gut. Gleichzeitig könnte Wirecard im US-Markt noch eine zu kleine Nummer sein, als das sie für eine Übernahme interessant wären. Finde ich auch okay. Rein geografisch gesehen ist der Zahlungsprozessanbietermarkt ja eh schon verteilt. Oder man könnte es so sehen, dass man Wirecard, trotz ihrer "Smallness" fürchtet und daher den Markt verengt, indem an sich gegenseitig übernimmt, in der Hoffnung Wirecard weniger Expansionsraum zu geben. Oder man kann es so interpretieren, wie bei DB und Coba: "Die Hoffnung dass man lebendig wird, wenn sich 2 Leichen zusammentun". Denn die US-Firmen, die sich hier gerade übernehmen, bestehen länger als Wirecard und sind in ihrer Rolle keine Softwarefirmen, sondern Finanzdienstleister. Das wäre ungefähr so, als wenn Lamy, FaberCastell, Hahnemühle und Leitz sich aufschwingen Microsoft Office zu werden oder die Deutsche Post zu Facebook.
Sollen sich Firsev&Firstdata und Worldpay&FIS ruhig die nächsten Jahre mit Integrationskosten, einem IT-Flickenteppich, einem Strategiedisput und sicherlich diversen Kultur/Mitarbeiterproblemen sowie mit keiner führenden Technologie rumschlagen. Wirecard sehe ich durch diese ganzen Vorkommnisse nicht gefährdet, sondern wenn, dann gestärkt.
Denn es ist doch so: So etwas wie ein hoher Kundenbestand- und Kundenloyalität, Netzwerkeffekte, Lockin-effekt etc. gelingen nur, wenn auch das zu grunde liegende Produkt superior ist. Die reine Nutzeranzahl ist irrelevant, solange man selbst keinen Service anbietet, der von der Nutzeranzahl abhängt. Communities zb. brauchen eine Nutzeranzahl um wertvoll zu sein. Oder ne Mastercard. Kein Händler stellt nen Kreditkartenterminal auf, wenn Kreditkarten nicht verbreitet wären oder niemand böte Paypal an, wenn diese Bezahllösung nicht viele User hätte. Und Tankstellen gäbe es nicht ohne Autos und gleichzeitig ist es den Tankstellen egal, was für ein Auto ankommt: Ob VW, Mercedes oder Hyundai.
Was von diesen Aspekten trifft auf Firsev/Firstdata bzw. Worldpay/FIS zu? Nahezu nichts. Die haben weder eine eigene Bezahllösung, noch solche Mehrwerte für die Nutzer, wie Wirecard. Ich höre von denen nirgends eine Aussage wie "Wir erhöhen die Conversionrate um X% im Durchschnitt", "Wir reduzieren die Forderungsausfälle um X%", "Wir vergeben nun auch Kredite", "Wir erhöhen den Umsatz und den Gewinn unserer Kunden um X%", "Wir verrechnen die geringsten Gebühren", "Wir bieten zusätzliche Datenauswertungen", "Wir bieten multicurrency-Lösungen" etc pp.
Und genau das ist wichtig, wie ich versuche anhand anderer Netzwerkeffekte-Unternehmen darzustellen: MS Office ist nicht allein deswegen so dominant, weil es viele User hat, sondern wegen der Datenkompatibilität. Wer kein zb. .docx hat (von mir aus auch pdf, ppt, jpg) kann gewisse Dinge nicht sehen, erledigen, schreiben oder austauschen. So wie Tankstellen, wenn sie nicht Diesel und Bleifrei anböten, pleite gingen. Ohne ihre Kompatabilität mit dem, was die Autos an Benzin brauchen, entsteht kein Fit. Und wenn von 10 Leuten 9 Office haben, sieht der eine ohne in die Röhre...
Aber beim Geld (Währungen außen vor) gibt es so etwas nicht. Ich bezahle mit Paypal nicht mit einem bestimtmen Dateiformat. Mit dem, wie ich bei Paypal bezahle, bezahle ich auch per Mastercard, per Lastschrifteinzug, Girokarte. Jetzt kann man Geld insofern ein Format überstülpen, indem es in eine Bezahlapp packt. Als Kreditkarte (Visa, Mastercard, Paysafecard), Paypal, N26 oder auch als Boon. Dann kommt es auf die Vebreitung dessen an und die kleinen sterben. Ist einfach so. Boon gehört zu letzterem, aber Boon ist ja eher ein nice-to-have Angebot von WDI, als deren Hauptgeschäft. Das ist immer noch die Wirecard Suite, die die Transaktionen abwickelt von aberdutzenden Bezahloptionen. Und Firsev&Firstdata und Worldpay&FIS sind weder eine "Superior Tanke" (eigener Abwicklungsdienst) noch ein "Superior Auto" (eigene Bezahlapp). Sie selbst bieten keine sonderlichen Mehrwerte an. Ich sehe nirgends einen Leistungsvorsprung, wie es zb. Google hat und worauf Google sein Monopol gründet. Deren Suchmaschine ist einfach so gut, dass da gewisse Autonavis und Alternativsuchmaschinen nicht mithalten können. Von Worldpay, Adyen, Fiserv usw. höre ich nie etwas in der Art, dass sie ihre Kunden tolle Mehrwerte bieten, die Conversionrate steigern, das Ausfallrisiko reduzieren, Umsätze bringen, etc. Gründe, um Kunde zu bleiben, gibt es also wenige bis keine, wenn man kein großer Händler ist (wie ebay). Die brauchen außer der Abwicklung auch sonst nichts.
Sie wickeln dasselbe ab wie Wirecard (die Abwicklung von Geldzahlungen) in anscheinend schlechterer Qualität. Und wenn ich als Händler vor die Wahl gestellt bin, Wirecard zu nutzen oder die bisherige Alternative, dann spricht vieles für Wirecard. Dann rechne ich, was mich die Umstellung des Kassensystems kosten würde im Vergleich zu den Mehreinnahmen und/oder Einsparungen durch Wirecard. Egal ob als Einzelhändler in NY und L.A. oder als Online-Shop in Austin und San Diego: es gibt keinen Grund, bei Worldpay oder Fiserv zu bleiben, außer Faulheit und Unvertrautheit bzw. geringer Bekanntheitsgrad und diese Aspekte ist Wirecard ja dabei, aus dem Weg zu räumen seitdem sie in die USA gingen.
Lange Rede, kurzer Sinn: Durch diese Fusion wird Wirecard kein einziges Stück vom Kuchen genommen. Und ob man sich wirklich einen Gefallen getan hat, Wirecard vom weiteren Fressen abzuhalten, bezweifel ich ebenfalls. Und wenn ich dann hier lese (https://www.fisglobal.com/about-us) dass FIS 20000 Kunden hat weltweit, muss sich Wirecard nun wirklich nicht fürchten. |