" Startseite International Taurus für die Ukraine: Völkerrechtler widerspricht Olaf Scholz Mit nebulösen Äusserungen erklärt Olaf Scholz sein Nein zu Taurus Der deutsche Bundeskanzler hält die Welt nach wie vor im Unklaren, warum er keine Marschflugkörper an die Ukraine liefern will. Bei einem Erklärungsversuch am Montag wiederholte er mehrdeutige Argumente, die deshalb nicht stichhaltiger geworden sind.
Marco Seliger, Berlin 27.02.2024, 17.00 Uhr 6 min Demonstranten fordern in Berlin vom deutschen Bundeskanzler Scholz die Lieferung von Taurus an die Ukraine. Demonstranten fordern in Berlin vom deutschen Bundeskanzler Scholz die Lieferung von Taurus an die Ukraine. Carsten Thesing / Imago Der deutsche Bundeskanzler hat wieder einmal ein Lehrstück in besonders nebulöser politischer Semantik gegeben. Es sei ganz klar, sagte Olaf Scholz am Montag in Berlin, dass es keine deutschen Soldaten auf ukrainischem Grund geben werde. Er stehe dafür, dass es keine Verwicklung «unseres Landes» und seiner militärischen Strukturen in den Krieg in der Ukraine gebe. Deutsche Soldaten dürften sich daher nicht an der Zielsteuerung für den Taurus beteiligen. Ein Einsatz des Marschflugkörpers auf russischem Gebiet könnte dort als Kriegsbeteiligung der Bundesrepublik gewertet werden.
In deutschen Medien hiess es daraufhin, Scholz habe erstmals erklärt, warum er die Lieferung von Taurus an die Ukraine ablehne. Doch das, was der Kanzler an der Veranstaltung in Berlin sagte, ist nicht neu. Im Gegenteil: Es waren bekannte Sätze, mehrdeutig und unklar formuliert, so dass sie nach wie vor breiten Interpretationsspielraum über die wahren Gründe seiner Haltung lassen. Die Analyse seiner Aussagen allerdings zeigt, dass zwei von drei wesentlichen Aspekten, die ein Nein begründen könnten, nicht wirklich stichhaltig sind.
Dabei handelt es sich zum einen um die völkerrechtliche und zum anderen um die technische Perspektive einer Taurus-Lieferung. Aus völkerrechtlicher Sicht entstünde eindeutig keine neue Qualität, wenn Deutschland der Ukraine den Taurus lieferte. So sagt es Matthias Herdegen, der als Professor für Völkerrecht an der Universität Bonn lehrt. Er sieht in den von Scholz vorgetragenen Argumenten vielmehr eine «diffuse Mischung aus politischer Unwilligkeit und vagen rechtlichen Bedenken», bei denen man nicht wisse, ob sie nur auf Völkerrecht oder auch auf Staatsrecht verwiesen.
Deutschland würde nicht zur Kriegspartei Selbst bei Lieferung «noch so komplexer Waffensysteme» an die Ukraine würde Deutschland nicht Kriegspartei, solange keine Bundeswehrsoldaten in dem Land eingesetzt würden, sagt Herdegen. Dies dürfte auch den Juristen der Bundesregierung bewusst sein. «Das Völkerrecht ist hier eindeutig. Ich glaube daher nicht, dass es im Kanzleramt eine andere Auffassung gibt», sagt Herdegen, der als einer der renommiertesten Völkerrechtler in Deutschland gilt.
Scholz hebt in seiner Argumentation besonders auf die Programmierung der Zieldaten für den Taurus ab. Das belegt sein Satz, deutsche Soldaten dürften sich nicht an der Zielsteuerung beteiligen. Aus der Sicht Herdegens ist auch dieses Argument völkerrechtlich nicht zu halten. Es gehe dabei einmal um Zieldaten, wie sie der Ukraine vom Westen bisher schon zur Verfügung gestellt würden, und um Geodaten, die «grundsätzlich erst einmal neutral» seien. Damit greife Deutschland nicht selbst in Kampfhandlungen ein.
Diese Einschätzung, sagt Herdegen, scheine auch in Frankreich und Grossbritannien vorzuherrschen. Beide Staaten liefern der Ukraine seit Sommer 2023 dem Taurus ähnliche Marschflugkörper und mutmasslich auch die dafür notwendigen Geländedaten. Mit diesen Daten werden die Flugpfade programmiert, also der Weg der Rakete bis zum Ziel. «Solange die Zielauswahl und damit die operative Entscheidung bei den Ukrainern liegt, ist es rechtlich unerheblich, ob dafür Bundeswehr-Soldaten auf deutschem Boden irgendetwas programmieren müssen», meint Herdegen."
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