MAUS-EXPERIMENT Stammzellen lindern Parkinson Von Markus Becker Ist es ein Durchbruch im Kampf gegen Parkinson? Forscher haben mit Stammzellen aus geklonten Embryos einen Behandlungserfolg erzielt - vorerst allerdings nur bei Mäusen. Offen ist, ob das auch bei Menschen funktioniert. Das durchschnittliche Alter in den Industrieländern steigt, und mit ihm die Verbreitung neurodegenerativer Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson. In den 15 bevölkerungsreichsten Ländern der Welt leben derzeit mehr als vier Millionen Parkinson-Patienten. Forscher gehen davon aus, dass sich ihre Zahl bis zum Jahr 2030 mehr als verdoppeln könnte (mehr...). Im krassen Gegensatz zu dieser Entwicklung steht der Fortschritt bei der Bekämpfung der Krankheit: Parkinson ist derzeit nicht heilbar, die Symptome - hauptsächlich Zittern und Erstarren der Muskeln sowie Bewegungsarmut - können allenfalls verlangsamt werden. 
Zellkerntransfer während des Klonens: Erfolg beim Kampf gegen Parkinson - zumindest bei Mäusen Mediziner richten ihren Hoffnungen unter anderem auf eine Therapie mit Stammzellen. Jetzt ist einem US-japanischen Team ein Schritt in diese Richtung gelungen: Lorenz Studer vom New Yorker Sloan-Kettering Institute und seine Kollegen haben Parkinson-Mäuse mit Stammzellen behandelt, die sie zuvor aus geklonten Embryos gewonnen hatten - und nach eigenen Angaben bedeutende Wirkungen erzielt. Die Forscher bedienten sich des bereits bekannten Verfahrens des Zellkerntransfers: Sie nahmen Kerne aus Hautzellen der Mäuse, schleusten sie in zuvor entkernte Eizellen ein und züchteten so Embryos heran, die mit den Mäusen genetisch identisch waren. Aus ihnen gewannen die Forscher insgesamt 187 Stammzelllinien, von denen sie mindestens 20 Prozent dazu bringen konnten, sich in Dopamin produzierende Nervenzellen zu verwandeln. Der Botenstoff ist im Hirn von Parkinson-Patienten Mangelware, da die entsprechenden Zellen nach und nach absterben. Keine Abstoßungsreaktion Jeder Maus wurden rund 100.000 geklonte Nervenzellen injiziert, schreibt Studers Team im Fachblatt "Nature Medicine". Mit durchschlagendem Erfolg: Die mit den Dopamin-Stammzellen behandelten Mäuse hätten im Vergleich zu einer Kontrollgruppe "bedeutende Besserung" gezeigt. Die Wissenschaftler betonen zudem, dass die bei Stammzelltherapien befürchtete Immunreaktion bei den Mäusen ausblieb - eine Folge des Zellkerntransfers, bei dem genetisch maßgeschneiderte Stammzellen entstehen. 
STAMMZELLEN - DIE ZELLULÄREN MULTITALENTE Embryonale Stammzellen (ES) Sie gelten als die zellulären Alleskönner: Reift eine befruchtete Eizelle zu einer Blastozyste, einem kleinen Zellklumpen heran, entsteht in deren Inneren eine Masse aus embryonalen Stammzellen. Die noch nicht differenzierten Stammzellen können sich zu jeder Zellart des menschlichen Körpers entwickeln. In Tierversuchen haben sich die Stammzellen bereits in Nerven-, Blut-, Leber- oder Herzmuskelzellen verwandeln lassen. Voraussetzung ist, dass sie zuvor mit geeigneten Wachstumsfaktoren behandelt werden. Induzierte pluripotente Stammzellen (iPS) Körperzellen einfach in Stammzellen umprogrammieren - das gelang Forschern nun, indem sie vier bestimmte Steuerungsgene in die Zelle einschleusten. Aus den dabei entstandenen maßgeschneiderten Stammzellen züchteten sie erfolgreich Nerven- und Muskelzellen. Diese Methode wäre nicht nur elegant, sondern auch ethisch unbedenklich, da dabei kein Embryo hergestellt und verbraucht wird. Allerdings ist noch unklar, ob die induzierten Stammzellen wirklich so potent sind wie embryonale Stammzellen. Adulte Stammzellen Nicht nur Embryonen sind eine Quelle der Zellen, aus denen sich verschiedene Arten menschlichen Gewebes entwickeln können. In etwa 20 Organen inklusive der Muskeln, der Knochen, der Haut, der Plazenta und des Nervensystems haben Forscher adulte Stammzellen aufgespürt. Sie besitzen zwar weniger verlockende Eigenschaften als die embryonalen Stammzellen, bereiten aber in der Herstellung auch keine ethischen Probleme. Dem Körper eines Erwachsenen werden Stammzellen entnommen und in Zellkulturen durch Zugabe entsprechender Wachstumsfaktoren so umprogrammiert, dass sie zu den gewünschten Gewebearten heranreifen. Ethik und Recht Die Stammzellforschung birgt ethische Konflikte. Embryonale Stammzellen werden aus Embryonen gewonnen, die entweder eigens hergestellt werden oder bei künstlichen Befruchtungen übrig geblieben sind. Die Argumentation der Befürworter: Sie würden ohnehin vernichtet. Kritiker sprechen dagegen von der Tötung ungeborenen Lebens. In Deutschland ist das Herstellen menschlicher Embryonen zur Gewinnung von Stammzellen verboten. In Ausnahmefällen erlaubt das Gesetz aber den Import von Stammzellen, die vor dem 1. Januar 2002 hergestellt wurden. In Großbritannien und Südkorea ist das therapeutische Klonen ausdrücklich erlaubt, ebenso in den USA, wo das Klonen von Embryonen aber nicht mit staatlichen Mitteln gefördert werden darf. Ob es sich hier aber um den großen Durchbruch im Kampf gegen Parkinson handelt, wie etwa die britische Zeitung "The Independent" jubelte, bleibt abzuwarten. Denn der Weg vom Mausexperiment zur Therapie am Menschen ist weit - und das gilt ganz besonders, wenn es sich um das komplexeste Organ überhaupt handelt, wie Jürgen Hescheler vom Institut für Neurophysiologie der Universität Köln betont. "Eine wichtige Frage ist, wie sich solche Zellen in das vorhandene Gewebe integrieren", sagte Hescheler im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. "Darüber weiß man noch relativ wenig. Die Dopamin produzierenden Zellen arbeiten nicht unabhängig, sondern in einem komplexen Zusammenspiel mit anderen Neuronen." "Schon viele Überraschungen erlebt" Man habe in dieser Hinsicht "schon viele Überraschungen erlebt", etwa bei der Verwendung von Stammzellen am Herzen. "Und da geht es nur um Muskelzellen, die sich zusammenziehen und entspannen müssen", so Hescheler. Im Gehirn aber seien die Zusammenhänge wesentlich komplizierter und die Unterschiede zwischen Maus und Mensch noch größer. "Vieles funktioniert grundsätzlich anders", so Hescheler. Zudem gelte für Parkinson-Experimente an Mäusen grundsätzlich, dass die Krankheit bei den Nagern künstlich hervorgerufen werde. "Schon dadurch ist die Aussagekraft für den Menschen stark begrenzt", meint Hescheler. Ein weiteres Hindernis der klinischen Anwendbarkeit ist die Tatsache, dass Eizellen von Menschen - anders als solche von Mäusen - ein äußerst seltenes Gut sind. "Bei Mäusen kann man schnell Tausende Eizellen gewinnen", erklärt Miodrag Stojkovich, deutscher Stammzellforscher am Centro de Investigación Príncipe Felipe im spanischen Valencia. "Aber beim Menschen ist es äußerst selten, dass man nach einem Zellkerntransfer noch eine verwendbare Eizelle hat." Abgesehen von den technischen Schwierigkeiten dürften auch ethische Debatten drohen, wollte man massenhaft menschliche Embryos für die Parkinson-Therapie erschaffen und durch die Stammzellentnahme wieder zerstören. Jüngste Forschungsergebnisse geben außerdem Anlass zur Hoffnung, dass das künftig gar nicht mehr notwendig sein könnte. Im November 2007 ist es Forschern gelungen, Körperzellen in Stammzellen umzuprogrammieren (mehr...). Sie hatten vier Steuerungsgene in die Zellen eingeschleust, nach denen Wissenschaftler schon lange gesucht hatten. Doch auch hier ist noch ungewiss, ob und wann Menschen von den neuen Erkenntnissen profitieren können. Zwar ist es im Februar bereits gelungen, die reprogrammierten Zellen bei Mäusen zu verwenden, ohne dass sie Krebs auslösten (mehr...). Doch ob sie ihren embryonalen Vorbildern tatsächlich ebenbürtig sind, muss erst noch bewiesen werden. www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,543169,00.html ----------- Wir leben alle unter dem gleichen Himmel, aber wir haben nicht alle den gleichen Horizont. Konrad Adenauer |