Bundespräsident in Bedrängnis Christian Wulff setzt aufs Vergessen
08.01.2012, 08:52
Einer Umfrage zufolge misstraut mehr als die Hälfte der Bürger ihrem Staatsoberhaupt. Doch Bundespräsident Christian Wulff klebt am Amt. "In einem Jahr ist das alles vergessen", soll er vor Mitarbeitern gesagt haben. Nun fährt die Opposition schwerere Geschütze auf.
Mit Optimismus ins neue Jahr: Bundespräsident Christian Wulff hofft, die Affäre um seinen umstrittenen Privatkredit sowie seinen umstrittenen Anruf bei Bild-Chefredakteur Kai Diekmann unbeschadet zu überstehen. Informationen der Bild am Sonntag zufolge sagte Wulff auf einem Neujahrsempfang für seine Mitarbeiter am Freitagnachmittag: "In einem Jahr ist das alles vergessen." Der Präsident versicherte, er wolle bis 2015 einen guten Job machen und sei zuversichtlich, "dass dieses Stahlgewitter bald vorbei ist". Wulff betonte demnach, er wolle dem Amt den zweiten Rücktritt nach Horst Köhlers Abgang im Mai 2010 ersparen.
Bild vergrößern Auch aus der Koalition mehren sich die kritischen Stimmen gegen Bundespräsident Wulff. (© dapd)
Laut einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Emnid für Bild am Sonntag glaubt eine Mehrheit von 53 Prozent der Deutschen, dass Wulff in der Kredit-Affäre "eher die Unwahrheit gesagt hat". Außerdem sind die Bundesbürger demnach mit großer Mehrheit (60 Prozent) davon überzeugt, dass der Präsident die für ihn unangenehme Berichterstattung über den 500.000-Euro-Kredit unterdrücken wollte.
Nahles fordert neue Bundestagswahlen im Falle eines Rücktritts
SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles glaubt nach eigener Aussage nicht daran, dass Wulff im Amt bleiben kann: Der Präsident habe "sich in ein Geflecht aus Halbwahrheiten verstrickt", sagte sie der Bild am Sonntag. "Es wird jeden Tag unwahrscheinlicher, dass er die Kraft hat, sich daraus zu befreien". "Ich habe erhebliche Zweifel, dass er diese Affäre übersteht." Außerdem gehöre das Amt des Bundespräsidenten Wulff nicht, sagte Nahles.
Für den Fall eines Rücktritts forderte sie Neuwahlen. "Wenn nach Horst Köhler noch einmal ein Bundespräsident zurücktritt, müsste es Neuwahlen geben", sagte sie. "Bei einem Wulff-Rücktritt muss sich Angela Merkel dem Votum der Wähler stellen. Ich vermute, dass sie genau deshalb das offene Wort über Wulff vermeidet", sagte Nahles. Die Affäre Wulff sei jetzt auch eine Affäre Merkel.
SPD-Fraktionsvize Ulrich Kelber sagte dem Spiegel: "Wulff hat das Amt des Bundespräsidenten so beschädigt, dass er darin nicht verbleiben kann." SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann sagte der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS), Wulff habe seine Glaubwürdigkeit verloren. "Ich frage mich, wie er in Zukunft sein Amt, das an dieser Glaubwürdigkeit hängt, noch ausüben will."
Auch aus der Koalition kommen abermals kritische Stimmen. Der FDP-Vizevorsitzende Holger Zastrow forderte in der FAS vom Staatsoberhaupt mehr Aufklärung in der Affäre um dessen Privatkredit: "Die Vorwürfe müssen ausgeräumt werden, und das ist noch nicht gänzlich geschehen." Es sei irritierend, wie Wulff sich scheibchenweise der Wahrheit nähere, "wie er sich entschuldigt und noch mal entschuldigt", sagte der sächsische FDP-Vorsitzende, der 2010 für Wulffs Gegenkandidaten Joachim Gauck gestimmt hatte.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz sagte dem Magazin Spiegel: "Mit der scheibchenweisen Aufklärung des Sachverhalts hat sich Christian Wulff keinen Gefallen getan." Der CSU-Abgeordnete Georg Nüßlein kritisierte: "Das Krisenmanagement ist nicht professionell und seine Kommunikation oft auch nicht."
Grüne: Gemeinsamer Kandidat von Regierung und Opposition
Die Grünen spekulieren bereits über einen Nachfolger Wulffs. Die Parteivorsitzende Claudia Roth forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, sich nach einem möglichen Rücktritt des Bundespräsidenten um einen gemeinsamen Kandidaten von Regierung und Opposition für das höchste Staatsamt zu bemühen. Sollte die Suche nach einem neuen Bundespräsidenten nötig werden, erwarte sie, dass Merkel "auf die politischen Kräfte in diesem Land zugeht mit einem wirklichen Interesse an einem überzeugenden und glaubwürdigen gemeinsamen Kandidaten für das Schloss Bellevue", sagte Roth der Welt am Sonntag.
Der von SPD und Grünen im vergangenen Jahr nominierte Joachim Gauck wäre "ein idealer Bundespräsident gewesen", fügte Roth hinzu. "Aber die Kanzlerin hat leider machtstrategisch agiert, und ich kann sie nur warnen, dies wieder zu tun |