Hamburg - Im Internet tauchte das Interview von Bundespräsident Christian Wulff am Mittwochabend bereits vor der geplanten Ausstrahlung bei ARD und ZDF auf. Der Netzaktivist Markus Beckedahl lud auf seiner Seite netzpolitik.org bereits um 18.36 Uhr einen Tonmitschnitt des Gesprächs hoch, das ARD und ZDF in voller Länge erst um 20.15 Uhr zeigen wollte
Nutzer konnten damit die gut 21 Minuten abrufen, in denen Wulff sich verteidigte. Beckedahl schrieb dazu: "Wir haben kurz überlegt, ob es Konsequenzen geben würde. Wir haben uns trotzdem dafür entschieden, diese gegebenenfalls zu riskieren." Auch auf einer Plattform der Piratenpartei war bereits vor der Ausstrahlung das komplette Gespräch verschriftlicht. Die Netzgemeinde diskutierte die Rede bald entsprechend leidenschaftlich und spöttisch.
Bei Twitter überschattete der Auftritt Wulffs im Fernsehen alle anderen Themen in Deutschland. Die große Mehrheit der Nutzer ging dabei mit dem Bundespräsidenten hart ins Gericht. Vor allem mit einer anderen Politiker-Affäre wurde Wulffs Verhalten immer wieder verglichen: mit dem früheren Verteidigungsminister, Karl-Theodor zu Guttenberg, der über eine Plagiatsaffäre stürzte - aber sich in seinen offiziellen Äußerungen auch keines Unrechts bewusst zeigte. Der User "Pirat_Ignaz" etwa schrieb: "#Wulff noch peinlicher als #KTG."
Viele Nutzer bemerkten, dass Wulff im Fernsehen nun ganz ähnlich argumentierte, als er sagte, er habe nie etwas Unrechtes getan. User "@snetreM 51s" schrieb auf Twitter: "Mit dem Interview heute hat sich Wulff endgültig zum Guttenberg gemacht." Der Journalist Mario Sixtus twitterte: "Wulff ist spätestens jetzt oberster Anwärter auf die goldene Guttenberg-Medaille für fortgeschrittene Uneinsichtigkeit." User "Ludwiggerl" schrieb nur: "Germanys next Guttenberg #wulff."
Außer dem Stichwort "#wulff" dominierte bei Twitter der Hashtag "#notmypresident" - nicht mein Präsident. Überzeugen konnte Wulff kaum jemanden von denjenigen, die sich auf dort äußerten. Die Politische Geschäftsführerin der Piratenpartei, Marina Weisband, schrieb: "Wulff bestätigt gerade alle Vorurteile von Leuten, die Politik sowieso schon nicht besonders mochten. Danke dafür."
Viele Twitter-Nutzer machten sich lustig über Wulffs Verteidigungslinie in der Kredit-Affäre. Weil der Bundespräsident seinen zinsgünstigen Bankkredit als übliches Darlehen darstellte, wie es auch andere Bürger bei solchen Sicherheiten bekämen, schrieb Nutzer "@T4all": "Wenn die Zinsen normal sind, dann auf zur BW-Bank! #Wulff"
Auch auf Facebook überwog der Spott: Dort werben verschiedene Gruppen für eine Demonstration gegen Wulff am kommenden Samstag. Vor dem Schloss Bellevue in Berlin soll es heißen: "Wulff den Schuh zeigen". Zur Begründung schrieben vier Initiatoren: "Das unhaltbare Verhalten von Herrn Christian Wulff anlässlich seines dubiosen Kredites veranlasst uns, unseren politischen Unmut kundzutun." Am frühen Abend hatten sich noch keine 300 Teilnehmer angemeldet - die Zahl derer, die auf Wulff wütend sind, könnte nach dem Interview vielleicht noch steigen. |