MONITOR Nr. 507 am 7. August 2003 Organisierte Schleuserkriminalität:
Unterstützt vom Bundesinnenministerium?
<!-- Hier kommen die Autoren //-->Bericht: Andreas Maus, Susanne Haerpfer, Andrea Böll
Volker Happe: "Unser nächstes Thema. Hartes Vorgehen gegen Schleuser und Menschenhändler fordert Otto Schily bei jeder Gelegenheit. Dabei hat ausgerechnet sein Bundesinnenministerium gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt einem Dokument den Segen gegeben, das das Schleusen von Menschen aus den Staaten der ehemaligen Sowjet-Union kinderleicht und risikolos machte. Mit den sogenannten 'Reiseschutzpässen' wurde bald ein schwunghafter Handel betrieben. Mit Hilfe dieses Papiers reisten allein im vergangenen Jahr zehntausende Ukrainer nach Deutschland.
Viele betätigten sich als Schwarzarbeiter oder wurden in die Prostitution gezwungen. Trotz frühzeitiger Warnungen des Bundeskriminalamtes ruderten die zuständigen Beamten des Innen- und Außenministeriums erst Ende März diesen Jahres zurück. Kölner Staatsanwälte ermitteln gegen sie wegen des Verdachts auf Korruption.
Ein Bericht von Susanne Haerpfer, Andrea Böll und Andreas Maus."
Die deutsche Grenze im Osten. Sie soll ein Bollwerk gegen Banden sein, die Schwarzarbeiter und Prostituierte nach Deutschland und die EU schleusen. Festung Europa - ein Lieblingsprojekt von Bundesinnenminister Otto Schily. Mit immer mehr Technik soll den Schleusern das Handwerk gelegt werden. Otto Schily, Bundesinnenminister: "Das sind wirkliche Verbrecherbanden, und man muss dort die volle Härte des Gesetzes zur Geltung bringen." Doch gerade der Bundesinnenminister hat Schleusern das Handwerk erleichtert.
Das schwäbische Weinsberg. Sitz der Reise-Schutz AG. Inhaber Heinz Kübler hatte eine Geschäftsidee - den Reiseschutzpass. Dieser sollte die Einreise nach Deutschland aus Osteuropa vereinfachen. Denn bis dahin musste jeder für ein Visum einen Bürgen in Deutschland haben, der für alle Kosten und eventuelle Schäden persönlich haftete. Zum Beispiel auch für eine Abschiebung. Das sollte nun der Reiseschutzpass gewährleisten.
Statt aufwändiger Behördengänge eine Versicherungspolice. Nicht billig, bis zu 230 Euro für ein Dreimonatsvisum, aber eine glänzende Idee - das fanden offenbar Schilys Innenministerium und das Auswärtige Amt. Denn im Sommer 2001 gab es eine Weisung an die Botschaften in Kiew, Moskau und andere in der Region. Die Visastellen sollten den Reiseschutzpass anstelle der persönlichen Bürgschaft akzeptieren. Und das mit besonderem Hinweis auf die Reise-Schutz AG als
"...ein vertrauenswürdiges deutsches Reise-Unternehmen..."
Die Ukraine am Rande Europas. Ein Großteil der Bevölkerung lebt in Armut. Das Durchschnittseinkommen liegt bei gerade einmal 100 Euro. Nicht genug Geld für einen Reiseschutzpass und eine Reise nach Deutschland. Trotzdem fand die neue Versicherung reißenden Absatz.
Egbert Bülles, Oberstaatsanwalt Köln: "Die Einführung des Reiseschutzpasses führte letztendlich dazu, dass Tausende von Osteuropäern, hauptsächlich Ukrainern, als angebliche Touristen nach Deutschland und andere Schengenstaaten, sprich Spanien, Italien, Frankreich, Portugal, einreisten und hier illegal tätig wurden, sei es in der Bau-Industrie die Männer, und ein Großteil der Frauen wurde der Prostitution zugeführt." Schon seit anderthalb Jahren ermittelt der Kölner Oberstaatsanwalt gegen die organisierte Kriminalität aus der Ukraine. Die Strukturen der Banden sind schwer zu durchschauen. Es soll sich um ein ganzes Netz von Tarnfimen handeln, über ganz Deutschland verteilt. Als vermeintliche Reisebüros sollen sie mit Hilfe der Reiseschutzpässe zehntausende Ukrainer eingeschleust haben. Deshalb auch im Fokus der Ermittler: die Reise-Schutz AG. Denn dort haben die Firmen die Pässe gekauft. Auch gegen Heinz Kübler ermittelt die Staatsanwaltschaft - ihm wird Beihilfe zur bandenmäßigen Schleusung vorgeworfen. Heinz Kübler, Reise-Schutz AG: "Ist mir allerdings noch nicht ganz klar, was geschleust werden sollte, weil mit einem Reiseschutzpass alleine können Sie niemand schleusen, das ist eine Versicherung, die wir verkaufen, damit kann doch niemand geschleust werden." Aber genau das ist passiert. Organisierter Menschenhandel dank Reiseschutzpass. Das hätten die Ministerien, die ihn empfohlen haben, voraussehen müssen. Denn es lagen bereits Berichte vor über Schleuserkriminalität aus der Ukraine und Osteuropa. Doch diese Erkenntnisse wurden offenbar nicht berücksichtigt Und es wurde auch nicht überprüft, wer hinter der Fassade der Reise-Schutz AG steckt. Denn im Januar 2002 preist das Auswärtige Amt den Reiseschutzpass weiter an. In einer Weisung an die Botschaften spricht man ausdrücklich über
"gute Erfahrungen..."
und von der Reise-SchutzAG als einem
"geeigneten Unternehmen..."
Für die deutsche Botschaft in Kiew hatte das dramatische Folgen. Lange Schlangen bildeten sich vor der Visastelle. Das Visaaufkommen verdreifachte sich, während vor der Botschaft die Reiseschutzpässe blanko zu Höchstpreisen verkauft wurden.
Egbert Bülles, Oberstaatsanwalt Köln: "Es ist bekannt geworden, dass der Botschaft zahlreiche Indizien bekannt waren, dass vor der Botschaft zu Hunderten illegal Visaerschleichungen durchgeführt wurden. Wir haben einen Bericht eines Verbindungsbeamten, der von mafiösen Strukturen vor der Botschaft spricht." Im Mai 2002 schlägt der Vizepräsident des Bundeskriminalamtes Bernhard Falk im Bundesinnenministerium Alarm. Er sieht die innere Sicherheit in Deutschland bedroht. In seinem Brief schreibt er:
"..., dass die Reiseschutzpässe überwiegend von den Reisebüros vertrieben werden, die im Rahmen kriminalpolizeilicher Auswertungen bereits Gegenstand strafrechtlicher Ermittlungsverfahren sind."
Trotz dieser eindringlichen Warnung ging der Handel mit Reiseschutzpässen weiter. MONITOR liegt ein Schreiben aus der deutschen Botschaft in Minsk/Weißrussland vor. Darin beklagt noch ein halbes Jahr später eine Mitarbeiterin der Visastelle, die Reiseschutzpässe würden auch weiterhin
"...von 'fliegenden Händlern' verkauft..."
Erst im März dieses Jahres wurde das lukrative Geschäft vom Innen- und Außenministerium gestoppt. Lange nach intensiven Warnungen über Schleuserkriminalität.
Menschenhändler und Schleuserbanden - Hauptprofiteure des Reiseschutzpasses. Wie konnte es dazu kommen? Fragen an die beiden Ministerien. Antworten erhalten wir nicht - mit Hinweis auf ein laufendes Verfahren. Nur soviel:
"Das Auswärtige Amt arbeitet im Übrigen eng mit der Staatsanwaltschaft und dem Gericht zusammen."
Egbert Bülles, Oberstaatsanwalt Köln: "Zur Unterstützung der Ministerien in dem laufenden Ermittlungsverfahren hier bei der Staatsanwaltschaft Köln, kann ich eigentlich nur sagen: die Unterstützung war nicht gegeben."
Die Ministerien mauern. Weichen unangenehmen Nachfragen aus. Der Kölner Oberstaatsanwalt Bülles ermittelt jetzt gegen Mitarbeiter von Innenministerium und Auswärtigem Amt - wegen Bestechlichkeit in Zusammenhang mit den Reiseschutzpässen.
Egbert Bülles, Oberstaatsanwalt Köln: "Hier ist aber eigentlich erstmals ein Ermittlungskomplex ans Tageslicht gekommen, wo man quasi unter den Augen und mit Hilfe der Ministerien in größtem Stil Schleusungskriminalität durchgeführt hat."
Volker Happe: "Vielleicht gelingt es mit den Kölner Ermittlungen jetzt einmal, an die wahren Verantwortlichen heranzukommen, anstatt wie so oft die Opfer von Schleusern zu kriminalisieren, etwa Frauen, die zur Prostitution gezwungen wurden."