MILLIONENPROGRAMM VON PFIZER Brutkasten für Biotech-Start-ups
Von Steffan Heuer
Revolution in der Gesundheitsforschung: Biotechfirmen und Pharmariesen sind sich bisher aus dem Weg gegangen, nun ändert der US-Konzern Pfizer seine Strategie. Um schneller an Patente zu kommen, hilft er Neugründungen - mit modernen Räumen und viel Geld.
Anfangs kam sich Vaughn Smider etwas verloren vor. Über Monate hinweg war der Nachwuchs-Professor für Molekularbiologie am renommierten Scripps-Forschungsinstitut in San Diego der einzige Mieter in einem gähnend leeren Neubau, in dem man zwar keine Stecknadel fallen, aber sehr wohl das Summen der Neonröhren hören konnte.
Labortest einer Biotech-Firma: Ein Stückchen Innovationsgeschichte Am einen Ende des in Schwarz, Lila und Grün gehaltenen Ganges liegt Smiders Büro, am anderen Ende das Labor seiner Neugründung Fabrus, die sich mit Medikamenten auf Antikörperbasis beschäftigt. Dazwischen ein 2500 Quadratmeter großes Labyrinth aus Labors, Konferenzräumen und Gefrierschränken für Chemikalien und Gewebeproben.
Als er den Vertrag über die Nutzung dieser Räume unterzeichnete, schrieb Smider ein Stückchen Innovationsgeschichte, dessen Bedeutung weit über den Erfolg oder Misserfolg seines eigenen Unternehmens hinausgeht. Denn der Vermieter ist niemand anderes als Pfizer, mit zuletzt 48,4 Milliarden Dollar Jahresumsatz der größte Pharmakonzern der Welt – und der stellt interessanten jungen Unternehmen nicht nur das moderne Forschungsgebäude samt Geräten zur Verfügung, sondern auch Startkapital.
Dieses "Inkubator"-Konzept an sich ist nicht neu, doch für Pfizer stellt es einen bedeutenden Traditionsbruch dar: Der Pharmariese will früher an Innovationen heran kommen, die seine Medikamenten-Pipeline auffüllen und damit Ersatz für Mittel mit endendem Patentschutz bringen können.
Mittelfristig hofft Pfizer, den Anteil an Biotech-Produkten von 8 auf 20 Prozent zu steigern, und dazu bedarf es dringend neuer Ideen jenseits der eigenen Labors. Das mit grauen Steinplatten und Spiegelglas verkleidete Inkubator-Gebäude thront wie eine Hightech-Festung auf einem Tafelberg in La Jolla bei San Diego und war ursprünglich als Teil des dortigen Pfizer-Forschungscampus konzipiert. Aber in seinem Inneren soll es den neuen Geist der Zusammenarbeit und Synergie zwischen einem bald 160 Jahre alten Multi und einer Schar flinker Neugründungen nähren.
"Zumindest füllt sich der Laden jetzt. Ich freue mich darauf, andere Gründer zu treffen und Ideen auszutauschen", sagt Smider befriedigt. Inzwischen arbeiten insgesamt drei Start-ups am Science Center Drive: Neben dem Fabrus-Gründer haben sich die Teams von Wintherix und RGo Bioscience hier eingerichtet.
Alle drei Unternehmen sind Gründungen örtlicher Wissenschaftler, deren Forschung sich mit Pfizers neuer Strategie deckt, neben der Entwicklung neuer Moleküle – dem herkömmlichen Geschäft der Pharmaindustrie – vermehrt biologische Prozesse zu meistern, um so komplette Proteine zu schaffen und den Übergang zur persönlichen Medizin zu finden. Wintherix arbeitet an sogenannten Wnt-Signalwegen in Krebszellen, mit denen die Krankheit gestoppt werden könnte, RGo beschäftigt sich mit der schwierigen Frage, wie sich RNA-Moleküle, die bestimmte Gene lahmlegen können, intakt in den menschlichen Körper bringen lassen.
Externe Forschungsressourcen
Erstmieter Fabrus ist ein gutes Beispiel für die zunehmende Neigung von "Big Pharma", sich bei Forschung und Entwicklung externer Ressourcen zu bedienen. Das Unternehmen entstand aus der Arbeit von Smider am Scripps-Institut in San Diego. "Wir wollen eine Plattform schaffen, auf der sich massive Kataloge von Antikörpern auf ihre Funktion testen lassen. Unsere Technologie ist eine kühne Idee, aber sie füllt eine wichtige Lücke", erklärt der Gründer. Denn nach intensiver Forschung ist zwar mittlerweile von vielen natürlichen Antikörpern bekannt, an welche krank machenden Moleküle sie andocken, und sie lassen sich auch schon künstlich herstellen. Smider aber hofft Antikörper zu finden, die fremde Moleküle nicht nur binden, sondern auch bekämpfen; so ließen sich etwa gezielt Krebszellen in den Selbstmord treiben.
Eine vielversprechende Idee – doch ihre Realisierung im Rahmen eines Geschäftsplans hat einen erheblichen Haken: Die für die Finanzierung nötigen Wagniskapitalgeber investieren oft nur in Unternehmen, die schon ein neues Medikament in der Entwicklung haben. Für unbewiesene Konzepte mit langem Zeithorizont zücken sie selten das Scheckbuch. Andererseits ist die Mischung aus unerprobter Idee und universeller Anwendung genau das, wonach Pfizers Mann fürs Ungewöhnliche sucht. Inkubator-Chef Alex Polinsky betont die Unabhängigkeit vom Mutterhaus ein ums andere Mal. Als er von Smiders Idee hörte, stand der Deal innerhalb weniger Wochen. "Wenn es funktioniert, ist Fabrus’ Technologie ideal für Dutzende oder Hunderte von Pfizers Projekten", erklärt der gebürtige Russe, "mein Job ist es, Akademikern und anderen Innovatoren die Hand zu reichen. Früher waren wir so konservativ zu glauben, wir seien die Besten und entwickeln alles im eigenen Haus. Die Zeiten sind vorbei."
Pfizer verlangt 50 bis 75 Prozent des Firmenkapitals
Deswegen kann Polinsky im Verbund mit vier anderen Mitgliedern eines Beirates ohne Genehmigung der New Yorker Zentrale entscheiden, welche Start-ups aufgenommen wer den - "ich schicke ihnen hinterher ein Memo, mehr nicht". Interessante Neugründungen will er vor allem an den umliegenden Universitäten UCSD, UCLA sowie an den Forschungsinstituten Scripps, Salk und Burnham finden. Wer von ihm angesprochen wird oder sich bei ihm bewirbt, kann innerhalb von vier Wochen mit einer Entscheidung rechnen. Im Tausch gegen 50 bis 75 Prozent der Firmenanteile stellt Pfizer dann für maximal zwei Jahre bis zu vier Millionen Dollar Finanzierung bereit, dazu Büros, Laborflächen und andere Infrastruktur, etwa Gewebeproben oder radioaktive Isotope. Nach zwei Jahren kann der Inkubator das bebrütete Unternehmen übernehmen, es ausgründen oder seine Entdeckungen als Erster lizenzieren. "Wie man es auch rechnet, die Chancen auf einen Ertragsschub für Gründer sind besser, als wenn sie sich mit Wagniskapitalisten einlassen", sagt Polinsky.
Davon muss er die akademische Welt aber erst noch überzeugen. Wie er selber zugibt, halten viele Professoren und Post docs die Kolosse der Pharma-Welt für bürokratisch und langsam. "Wir mussten etwas Aufklärungsarbeit leisten", berichtet Polinsky, der selber an mehreren Start-ups beteiligt war, bevor er bei Pfizer anheuerte. "Aber wir haben nichts zu verbergen. Das Konzept funktioniert nur, wenn wir die Erwartungen der akademischen Gemeinde erfüllen. Wenn sie das Gefühl haben, sie werden bei uns ausgenutzt, können wir dichtmachen."
Seine Missionsarbeit scheint sich nach einem Jahr auszu zahlen. Alle drei Neugründungen in La Jolla berichten, dass sie dank Pfizers Forschungsapparat schnell Zugang zu teuren Geräten bekamen und so viel Zeit und Geld in Millionenhöhe sparten. Alexander Chucholowski, einer von zwei deutschen Mitgründern von RGo Bioscience, sieht die Ehe mit dem Pharmariesen sogar als entscheidenden Vorteil: "Im Gegensatz zu einem Biotech-Start-up müssen wir keine heiße Luft produzieren, um unsere VCs zu beeindrucken. Hier gibt es Meilensteine alle sechs Monate – das ist gut für uns und gut für Pfizer."
Der Inkubator ist zudem ein vergleichsweise preiswertes Experiment. Für den Standort La Jolla sind für die nächsten fünf Jahre 50 Millionen Dollar budgetiert. Zum Vergleich: Pfizers gesamtes Forschungs- und Entwicklungsbudget beläuft sich auf 7,6 Milliarden Dollar im Jahr. Noch bevor La Jolla gefüllt ist, will Polinsky in diesem Jahr zwei weitere Inkubatoren in den Life-Sciences-Hochburgen Boston und San Francisco eröffnen. "Und wenn ich in Island eine bahnbrechende Idee finde, lasse ich mir auch dort etwas einfallen."
© Technology Review, Heise Zeitschriften Verlag, Hannover
Quelle: http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,539490,00.html ----------- Wir leben alle unter dem gleichen Himmel, aber wir haben nicht alle den gleichen Horizont. Konrad Adenauer |