hier mal der komplette artikel..interessante wenn auch provokative ausschnitte aus dem neuen buch. nach dem lesen fragt man sich, wieso das eigentlich so provokativ klingt...der mann bleibt bei fakten, zahlen u. wirkt direkt aber nicht komplett ablehnend...so zumindest mein eindruck
Man muss kein Hellseher sein, um zu prognostizieren, dass ein Stillstand der Bevölkerungsveränderung noch lange nicht erreicht ist. In dem anhaltenden Prozess steckt eine enorme Dynamik. Wir erkennen das an der alljährlichen Zunahme der Anzahl von Einwandererkindern bei der Einschulung. Heute liegen wir insgesamt bei durchschnittlich 67 Prozent, wobei der Anteil in den Schulen des Neuköllner Nordens schon bis auf 95 Prozent angestiegen ist.
Die Zahl der Schulabgänger spiegelt diese Entwicklung ebenfalls wider, zeigt aber auch die Geschwindigkeit, mit der sie erfolgt. Im Jahr 2000 hatten noch 20 Prozent der Kinder, die unsere Schulen verließen, einen Migrationshintergrund. Zum Schuljahresende 2013 waren es knapp 60 Prozent. Innerhalb von gut einem Jahrzehnt hat sich der Anteil also verdreifacht.
Es ist klar, dass diese Zahlen uns ein Signal geben, wie sich die Bevölkerung Neuköllns in 10 bis 15 Jahren zusammensetzen wird. Ich sage voraus, dass Einwanderer und ihre Nachkommen in den Jahren 2020 bis 2025 in Neukölln einen Bevölkerungsanteil von 75 bis 80 Prozent ausmachen werden. Es wird dann eine migrantisch geprägte Stadt sein.
Mein erster Gedanke bei dieser Erkenntnis ist: Das ist doch kein Beinbruch. Richtig. Ein Einwanderer, ein Migrant, der Sohn oder die Enkelin eines Einwanderers sind an sich nicht der besonderen Erwähnung wert, warum auch? Bei den sozial schwachen Einwanderern und ihren sozial schwachen Nachkommen sieht das schon anders aus. Viele von ihnen erwarten einfach, dass die Gesellschaft ihnen die Wege ebnet, damit sie ihren bestehenden niedrigen Status verlassen können.
Meine These dazu ist: Die Gesellschaft ist auch gut beraten, wenn sie das tut. Welchen Benefit erzielt sie denn, wenn sie weiter zuschaut, wie wir junge Menschen nahtlos von der Schule zum Job-Center transferieren? Keinen. Deshalb glaube ich, dass sich jede Anstrengung organisatorischer, personeller und finanzieller Art lohnt, um aus Menschen, die zu scheitern drohen, lebenshungrige, mündige und kompetente Gesellschaftsmitglieder zu formen.
Das hört sich eigentlich, wie ich finde, logisch und einfach an. Man muss es nur wollen. Wer will schon Hartz-IV-Empfänger schmieden?
Ganz so einfach kann es dann aber doch nicht sein. Sonst würden wir an dieser Aufgabe ja nicht seit Jahrzehnten scheitern. Wie kommt es, dass es Menschen auch nach 20, 30, 40 Jahren Aufenthalt in Deutschland nicht gelingt, sich in eine mitteleuropäische Gesellschaftsordnung zu integrieren und ihren Kindern das Rüstzeug zu vermitteln, das sie für ihr eigenes erfolgreiches Leben benötigen?
Ich habe in den letzten Monaten mit vielen Einwanderern oder ihren Kindern gesprochen und ihnen genau diese Frage gestellt. Insbesondere interessierte mich, wie sich die Einwandererfamilien sehen, die sozusagen »unsichtbar« sind. Die neben uns leben, ohne dass wir sie bewusst als Einwanderer zur Kenntnis nehmen. Die ihrer Arbeit nachgehen, die einen Gewerbebetrieb führen, deren Kinder das Gymnasium besuchen - ja, auch so was gibt es reichlich in Neukölln - und hervorragende Abiture machen. Ich habe zum Teil sehr beeindruckende Einblicke gewonnen, aber ich habe auch Unverständnis und Kopfschütteln über das Verhalten der deutschen Gesellschaft kennengelernt.
Dort, wo Aufstiegs- und Leistungswille ein Zuhause gefunden haben, urteilt man sehr hart über diejenigen, die ich dezent zurückhaltend als Trittbrettfahrer bezeichnen möchte.
Es ist noch nicht lange her, dass es in der Politik und auch bei Organisationen und Institutionen nur eine Sichtweise zur Frage der Integration gab: Integration in Deutschland ist eine einzigartige und unglaubliche Erfolgsgeschichte. Diejenigen, die wie ich über Integrationsdefizite klagten und darüber Aufsätze verfassten, wurden als Nestbeschmutzer, als Alarmisten bis hin zu Rassisten und Rechtspopulisten diskreditiert.
Dabei liegen die Problemfelder unübersehbar vor uns. Sie sind im Übrigen nicht neu. Ich darf an dieser Stelle auf die Prognosen des ersten Ausländerbeauftragten der Bundesrepublik Deutschland, Heinz Kühn, hinweisen. Bereits 1979 prophezeite er in seinem ersten Memorandum, was passieren wird, wenn wir den Bildungsaspekt bei der Integration der damals so genannten Gastarbeiter vernachlässigen.
Der Volksmund würde sagen: »Na siehste, Schuld eigene.«
Inzwischen scheint sich der Wind aber etwas zu drehen. Ich habe mit großem Interesse das Jahresgutachten des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2014 gelesen. Bisher neigte auch diese Institution eher zum Schonwaschgang oder zu einer Einschätzung, wie sie uns die Gesundbeterin Frau Prof. Dr. Böhmer, die ehemalige Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, immer wieder versucht hat einzureden.
Ich will aus dem erwähnten Jahresgutachten nur einige Schlaglichter wiedergeben. Da ist die Rede von Licht und Schatten in der Integrationspolitik der letzten fünf Jahre. Es wird eine »zuwanderungspolitische Gesamtstrategie« vermisst und ein »nationaler Aktionsplan Migration« gefordert. Das hat mich etwas verwundert.
Wir haben doch einen ganz erfolg- reichen und umfassenden Integrationsplan, den uns Frau Prof. Böhmer als Problemlöser anempfohlen hatte. Aber nun gut. Der Sachverständigenrat kritisiert, dass ein Dialog über eine zuwanderungspolitische Gesamtstrategie bislang nicht erfolgt sei. Darüber hinaus vermisse er eine Migrationspolitik aus einem Guss.
Einigen gelungenen Initiativen stünden nach wie vor Baustellen und verpasste Chancen gegenüber.
Das könnte alles von mir sein. Nichts anderes rede und schreibe ich seit Jahren. Ich verweise auch immer auf handfeste Daten, die ich aus dem Kulminationspunkt namens Neukölln regelmäßig liefere. Nicht, weil sie nur hier ablesbar sind. Nein, sie wären es auch anderswo.
Jedenfalls dort, wo die Bevölkerungsstruktur vergleichbar und die sozialen Verhältnisse identisch sind. Trotzdem gilt das Benennen von sozialen Verwerfungen nach wie vor als verpönt oder in Neusprech als unkorrekt. Das scheint mir auch der Grund zu sein, warum mein Leitspruch »Neukölln ist überall« zuweilen mit einem empörten »bei uns nicht« erwidert wird.
Mir macht der Sachverständigenrat Mut. Dessen Studie ist für mich seit langer Zeit wieder einmal ein prominenter Hinweis darauf, dass wir in Fragen der Integration und des mit der Einwanderung einhergehenden gesellschaftlichen Wandels einfach eine Schippe zulegen und uns diesen Themen vielleicht doch mit unverstellterem Blick nähern sollten.
Ich bin nicht so vermessen zu glauben, dass das nun auch gleich zu einem Durchbruch meiner Sichtweise führt. Aber ich spüre einen Hauch Realismus, und das ist doch schon einmal ein guter An- fang. Irgendwann wird dann auch der Letzte begreifen, dass nur eine starke, selbstbewusste, vor allem eine intervenierende und Leitlinien setzende Gesellschaft den Wandel in ein modernes Einwanderungsland bestehen wird. Der Fortschritt ist nun einmal eine Schnecke.
Ich finde, das Wort Wandel ist positiver besetzt als Veränderung. Wenn Sie durch Neuköllns Straßen gehen, dann springt Ihnen der Wandel förmlich in die Augen. Geschäfte, deren Namen und Reklamen an der Hauswand Sie nicht lesen können. Menschen, die anders gekleidet sind, als es den mittel- europäischen Gewohnheiten entspricht. Verhaltensweisen, die gewöhnungsbedürftig sind.
Das Aufeinandertreffen von unterschiedlichen Kulturen und Lebensgewohnheiten erfordert Toleranzbereitschaft, Liberalität und Offenheit. Ich glaube, darüber muss man sich nicht austauschen. Aber das darf keine Einbahnstraße sein.
Wie bereits gesagt, wer seine Heimat verlässt, um sich in einen fremden Kulturkreis zu begeben, der weiß, dass er auf andere Lebensgewohnheiten und andere gesellschaftliche Rituale stoßen wird. Es irritiert mich immer wieder, wie man darüber unterschiedlicher Meinung sein kann.
Selbstverständlich bedeutet Wanderung und Einwanderung, dass jemand partizipieren will am Wohlstand eines anderen Landes. Selbstredend bedeutet das dann, dass derjenige sich nicht nur zum eigenen Nutzen, sondern auch zum Nutzen der Gemeinschaft einzubringen hat. Es ist doch lächerlich, dies in Frage stellen zu wollen. Der demagogische Spruch vom Land mit viel Geld für nix kann doch nicht ernsthaft Gegenstand des Diskurses sein.
Integrationsbereitschaft ist nur ein anderer Begriff für Anpassungsfähigkeit. Nämlich die Fähigkeit, sich für die Lebenswelt der neuen Heimat zu öffnen. Das heißt natürlich nicht, die zu Hause erlernten und von Vorfahren überlieferten Werte nun plötzlich über Bord zu werfen. Man muss nicht schlagartig Heino gut finden, wenn man aus Somalia stammt. Man muss auch nicht fortan Bier für eine Offenbarung oder Schweinekotelett für eine Delikatesse halten. Obwohl ich bei Letzterem durchaus offen bin.
Anpassungsfähigkeit hat nichts mit Assimilation, mit Selbstaufgabe zu tun. Sie bedeutet eigentlich nichts anderes als Respekt und vielleicht auch Hochachtung vor dem Land und den Menschen, die es zu einem erstaunlich höheren Wohlstand gebracht haben als die eigene Heimat. Auch wenn es nicht immer gerne gehört wird, so möchte ich doch an eines erinnern: Einwanderer verlassen ihre Heimat nicht, weil sie es gar nicht mehr aushalten vor lauter Wohlstand, Bildungseinrichtungen, Sozialleistungen und Gesundheitsversorgung.
Nein, die Menschen kommen, weil es ihnen dort, wo sie geboren wurden, dreckig geht. Weil sie verfolgt werden oder weil sie ihre Familie nicht ernähren können. Weil die Kinder nicht zur Schule gehen können, weil es eben keine gibt. Oder weil sie nicht wissen, ob sie gegen einen Gewehrkolben rennen, wenn sie die Tür öffnen. Das ist doch der reale Hintergrund von Wanderung, auch der aus Südosteuropa.
Wer sich die Lebensbedingungen in Bulgarien und Rumänien einmal zu Gemüte führt, der weiß, warum Menschen nach Frankreich, Deutschland oder Skandinavien wollen. Sie sind auf der Suche nach Glück und einem besseren Leben. Aber kann das wirklich die isolierte Aufgabe des Sozialsystems einzelner Länder sein? Ist es nicht eher ein Gebot für die Europäische Union, auf eine Verbesserung der Lebensverhältnisse und Lebensbedingungen beispielsweise in diesen beiden (Mitglieds-)Ländern zu dringen? Die Diskriminierung der Roma dort zu beenden?
Die Sozialsysteme der anderen EU-Länder können nicht die Lösung für diese Binnenprobleme sein. Hartz IV ist nicht der Schlüssel zur Behebung gesellschaftlicher Ungereimtheiten und Ungerechtigkeiten in anderen Mitgliedsstaaten.
In Neukölln leben Menschen aus rund 160 Nationen. Nationen sind kleinere Maßeinheiten als Kulturkreise. Insofern will ich mich auch nicht in der Zuschreibung von Nationalitäten ergehen. Ich bin der festen Auffassung, dass die Nationalität kaum Bedeutung für das Verhalten im Ankunftsland hat, eher der Kulturkreis. Kulturelle Übungen, Eigenheiten und Gewohnheiten prägen die Menschen.
Werte, die jemand verinnerlicht hat, steuern sein Verhalten und sein Verhältnis zu anderen Menschen. So wie die Werte meines Elternhauses mich sozialisiert und geprägt haben.
Ich empfinde bestimmte kulturelle Riten anderer Kulturkreise als abscheulich. Ich bin überhaupt nicht bereit, auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, ob sie zur Identität eines Menschen gehören und damit hingenommen werden müssen oder nicht.
Nach Angaben von Terre des Femmes werden in weiten Teilen Afrikas bis zu 90 Prozent aller Frauen körperlich grauenhaft verstümmelt. Wer dies aber auch bei uns tut und glaubt, das damit rechtfertigen zu können, dass es nun mal zu seiner Identität gehöre, anderen Menschen Schmerzen zuzufügen, sie zu quälen und ihnen ein Stück Lebensqualität zu rauben, mit dem möchte ich nicht in einen Diskurs treten.
Der gehört für mich schlichtweg hinter Schloss und Riegel. Ich will damit ausdrücken, dass die Akzeptanz anderer kultureller Lebensweisen Grenzen in unserer Ethik und Sozialordnung findet.
An dieser Stelle begegne ich unweigerlich dem Begriff des Kulturrelativismus. Egal, wie schrecklich und grausam wir in der westlichen Welt bestimmte Riten und Bräuche empfinden, solange sie in den Herkunftsländern akzeptiert (oder gewollt) sind und so gelebt werden, müssen wir das wohl oder übel hin- nehmen. Was ist aber, wenn Menschen aus einem Kulturkreis in einen anderen wechseln? Sie sind beherrscht von erlernten und eingeübten Gepflogenheiten.
Kann von ihnen erwartet werden, dass sie die Riten des neuen Kulturkreises respektieren und achten? Oder können sie darauf bestehen, ihre Heimatbräuche weiterzupflegen und zu konservieren? Ahmed Aboutaleb, der Bürgermeister von Rotterdam, hat einmal gesagt: »Ich diskutiere mit niemandem die Gesetze dieses Landes.« Das ist eine leichter verständliche Formulierung als die staats- tragenden Worte über Kulturrelativismus. Noch einfacher ist der Satz »Hier ist Österreich«, den ich in der Alpenrepublik bei solchen politischen Diskussionen oft gehört habe.
All diese Aussprüche meinen das Gleiche. Einwanderer haben sich der neuen Heimat nicht zu unterwerfen, aber anzupassen. Ich habe einmal etwas trivialer formuliert, dass derjenige, der in einen Fußballverein eintritt und dort Handball spielen will, ein Problem bekommen wird.
Genau an dieser Stelle sind wir. Daraus resultieren viele gesellschaftliche Diskussionen und Reibungen. Allerdings treten diese nicht durchgängig bei allen Einwanderern auf. In Neukölln lebt eine erstaunlich große Zahl von Menschen, die hinduistisch orientiert sind, es gibt russisch-orthodoxe, Juden und Muslime. An dieser Stelle nähern wir uns einem hochsensiblen Thema, nämlich dem von Religion, speziell dem Islam.
Ich bin inzwischen zu der Überzeugung gelangt, dass der Islam für mich nur bedingt als eine reine Religion zu betrachten ist. Für seine Anhänger ist er eher eine Weltanschauung, eine Weltordnung, eine Schöpfung der Gesellschaft nach göttlicher Fügung. So sehen sie ihn.
Der Islam gibt seinen Gläubigen nicht nur eine spirituelle Ebene vor, sondern er beansprucht auch bis in die heutige Zeit, der bestimmende Faktor des täglichen Lebens und der täglichen Handhabungen für sich selbst oder gegenüber den Mitmenschen zu sein.
Dies kollidiert in eklatanter Weise mit den Grundüberzeugungen westlicher Demokratien, wie es auch Deutschland eine ist. Dort setzen irdische Instanzen die Normen und erwarten für diese Respekt und Normentreue. Davon kann die Berufung auf eine höhere Gewalt niemanden freisprechen. |