Umweltkatastrophe könnte Wende in US-Energiepolitik bringen
Von Frank Herrmann
Washington. Noch belässt es das Weiße Haus bei dürren Zweizeilern. Außer knappen Erklärungen, in denen steht, dass sich Barack Obama regelmäßig über die Ölpest unterrichten lässt, dringt nichts nach draußen. Dabei kann die Umweltkatastrophe die Pläne des US-Präsidenten dramatisch durchkreuzen, eine Energiepolitik, die sein Stab gern als Ausdruck pragmatischen Denkens verkauft.
Angesichts des Desasters klingt es wie eine Ironie der Geschichte, aber es ist erst vier Wochen her, da legte Obama eine Kehrtwende hin, mit der er Freund und Feind überraschte. Nach seinem neuen Konzept soll die Ölförderung vor den Küsten massiv ausgebaut werden. Im Atlantikschelf, von der Mündung des Flusses Delaware bis hinunter nach Florida, darf wieder nach dem schwarzen Gold gebohrt werden. Ein Moratorium, seit drei Jahrzehnten in Kraft, wird ad acta gelegt. Das Pazifikufer bleibt zwar tabu, dafür wird im Golf von Mexiko, bisher schon neben Texas das Öl-Mekka Amerikas, die Zone, in der Bohrinseln stehen dürfen, weiter nach Osten ausgedehnt, dichter heran an die Strände Floridas. Die angekündigte Großoffensive bei alternativen Energien, im letzten Wahlkampf eines der zentralen Themen, kommt nicht recht voran.
Umweltverbände, die vor den ökologischen Gefahren eines Förderbooms im Golf von Mexiko warnten, standen allein auf weiter Flur, bevor die Plattform "Deepwater Horizon" im Meer versank. Dass Amerika den Europäern um Jahre hinterherhinkt, macht eine Nachricht deutlich, die eigentlich als Erfolgsmeldung gedacht war. Während bei Borkum der erste Offshore-Windpark Deutschlands in Betrieb ging, gab Obamas Riege grünes Licht für Windräder in der Nähe der Atlantikinsel Nantucket. Vorausgegangen waren neun Jahre heftigen Streits. Bürgerinitiativen, die den idyllischen Meeresblick nicht durch Kunstgebilde verschandelt sehen wollen, laufen weiter Sturm gegen das Projekt.
Rund ein Drittel des Rohöls, das in den USA gepumpt wird, kommt von den 3500 Plattformen vor der Südküste. Knapp vierzigtausend Arbeiter stehen dort in Lohn und Brot. Es sind gut bezahlte Jobs, wie es sie etwa im armen, vom Hurrikan Katrina verwüsteten Mississippi-Delta nur selten gibt. Anrainerstaaten wie Texas, Louisiana, Mississippi und Alabama schätzen die Bohrinseln denn auch als wichtigen Wirtschaftspfeiler, während Florida, stärker als die anderen vom Tourismus lebend, stets skeptischer blieb.
Gut möglich, dass der riesige Ölteppich die Karten neu mischt. Als 1969 vor dem kalifornischen Santa Barbara unkontrolliert Öl aus einer Bohrquelle ausfloss, bedeutete es das Ende der Förderung im Pazifikschelf. Das Trauma verschmutzter Strände, es sitzt bis heute so fest in den Köpfen, dass kalifornische Abgeordnete reflexartig alles blockieren, was die Mineralölkonzerne an neuen Ideen auftischen. Wiederholt sich der Albtraum von Santa Barbara vor New Orleans, dürfte das Unglück eine Zäsur markieren, nicht nur am Golf.
Senatoren, die Obamas Öl-Offensive ohnehin für falsch halten, fühlen sich jedenfalls in ihren Bedenken bestätigt. "Wir glauben, dass es gefährlich ist, die Bohrungen auszudehnen", warnen Frank Lautenberg und Robert Menendez, beide Parteifreunde des Präsidenten, beide aus dem Atlantikstaat New Jersey, in einem offenen Brief. Der Plan lenke nur ab von dem, was das Land wirklich brauche: "erneuerbare Energien, die unsere Wirtschaft dem 21. Jahrhundert anpassen".
© Copyright Bremer Tageszeitungen AG Ausgabe: Bremer Nachrichten Seite: 4 Datum: 30.04.2010 |