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Die Energiewende vollzieht sich nur langsam. Doch unbemerkt von einer breiten Öffentlichkeit finden sich überraschende neue Netzwerke, die auch politisch sehr bald einflussreich genug werden könnten, um die Macht der großen Energieversorger zu brechen. Kommentar von Jochen Schönmann
Die erneuerbaren Energien haben neue Verbündete entdeckt, die es ihnen in diesem Jahrzehnt ernsthaft ermöglichen könnten, die Vormachtstellung bei der Energieversorgung zu übernehmen. Es handelt sich dabei interessanter Weise um den Gegner von einst: Die Stadtwerke.
Die vormals stockkonservativen und reichlich verstaubt daher kommenden Lokalmonopolisten sind inzwischen landauf, landab die entschiedensten Innovationstreiber im Bereich der regenerativen Energien und – beinahe noch wichtiger – die Schlüsselspieler im Transformationsprozess, von der zentralen hin zu einer dezentralen Energieversorgung.
Die Gründe der neuen Liaison liegen wie so häufig in einem gemeinsamen Feindbild, dem ohne gebündelte Anstrengungen nicht beizukommen ist: Die Rede ist von den vier großen Energieversorgern – aufgrund der hochgradig effizienten Unterbindung marktwirtschaftlicher Wettbewerbsstrukturen im Energiesektor mittlerweile gern als „Besatzungsmächte“ tituliert.
In den edelstahlgebürsteten Firmenzentralen von RWE, EON, EnBW und Vattenfall entstehen mit Hilfe enormer finanzieller Mittel und überaus effektiver Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit die Bremsklötze, die den längst überfälligen Umbau in der Energieversorgung blockieren. In vertraulichen Hintergrundgesprächen geben das auch Bundes- wie Landespolitiker gerne zu.
Dass dieser Umbau nicht nur aus Gründen der CO2-Minderung notwendig ist, hat Herrmann Scheer in seiner Funktion als Präsident des Eurosolar e.V. mehrfach deutlich gemacht: Es gehe dabei, sagt Scheer, natürlich um den Klimaschutz. Aber mindestens genauso sehr geht es um ökonomische und soziale Gründe. Dem Alptraum sich zügig verknappender fossiler Ressourcen mit all seinen dramatischen Folgen für Preise, allgemeinen Wohlstand, sozialen Zusammenhalt und bilaterale Konflikte steht nämlich ein sehr reales grünes Wirtschaftswunder gegenüber.
Das Problem: Es wäre ein Wirtschaftswunder, das an den Großen Vier vorbei ginge. Mehr noch: Es könnte sie in Zukunft völlig überflüssig machen. Der Grund ist einleuchtend: „Die regenerativen Energiequellen finden wir als natürliche Umgebungsenergie überall“, sagt Scheer. Man könne sie nicht zentral zusammenraffen und verkaufen.
Die Wertschöpfung bleibt zu 100 Prozent vor Ort
Es geht also um nicht weniger als um einen epochalen Umbruch: Die dezentrale Energieversorgung mit erneuerbaren Energien schützt nicht nur die Umwelt – sie demokratisiert die Branche. Und so wünschenswert das ist – es ist gleichzeitig das eigentliche Problem. Es geht um den Verlust von Machtpositionen und um den Verlust von Geld. Unglaublich viel Geld.
Denn was in der alten Welt der zentralen Energieerzeugung mit riesigem Aufwand über Leitungsnetze mit hundertausenden Kilometern Gesamtlänge an dezentral lebende Verbraucher und ans Gewerbe geleitet und verkauft wird, fließt lediglich in die Taschen einiger weniger Anteilseigner. Die erneuerbaren Energieträger hingegen, in ihrem Facettenreichtum, in ihrer Kleinteiligkeit, die sich den lokalen Gegebenheiten vor Ort anpassen, lassen meist sehr viele Bürger profitieren: „Die Wertschöpfung bleibt dann oftmals zu 100 Prozent vor Ort“, sagt Scheer.
Die Vorteile sind vielfältig: Der Kraftwerksbau, je kleiner und einfacher er sich gestaltet, lässt sich von regionalen Betrieben umsetzen, die Menschen vor Ort beschäftigen. Die Erzeugung und der Betrieb sichern regional zusätzlich Arbeitsplätze. Die Gewinne können durch die kommunalen Eigentümer lokal abgeschöpft und für gemeinwohlorientierte Zwecke verwendet werden. Die Gewerbesteuer stärkt die Stadtkasse und, und, und.
Die Stadtwerke München etwa erwirtschaften mit ihrer strategischen Orientierung auf regenerative Energiequellen inzwischen in guten Jahren rund 300 Millionen Euro für die Münchner Stadtkasse und damit für die Bürger. Bis 2015 sollen 100 Prozent des privaten Energiebedarfs durch alternative Energien gedeckt werden, bis 2025 soll auch die komplette Industrie versorgt sein. Andere Kommunen, die ihre Energieerzeugung in den 90ern an Investoren veräußert haben, können davon nur träumen.
Für Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) ist der Weg der Dezentralisierung deshalb nicht mehr diskutabel: „Wir brauchen in Zukunft hochwertige, stabile und lokal verantwortlich steuerbare Einheiten. Das ist die Lehre, die wir aus dem Bankrott marktradikaler Extrempositionen ziehen müssen.“
Beispiele für erfolgreiche Kooperationen gibt es genug: Die Wirsol Solar AG aus Baden-Württemberg treibt mit ihren Klimaschutz-Initiativen die Partnerschaften mit den Städten voran. Das Unternehmen erstellt Solarkataster für die Kommunen und steht anschließend als Partner bei Projektierung und Installation von Photovoltaikanlagen zur Verfügung. Lokale Handwerker werden in die Prozesse integriert.
Der Projektdienstleister Juwi entwickelt Genossenschaftsmodelle, bei denen die Bürger gleichermaßen als Investor wie als Verbraucher für die erzeugte Energie fungieren. Das Ziel bleibt immer das gleiche: Energieautonomie für Kommunen und Bürger. „Was wir brauchen, ist nicht die Shareholder-Value-Mentalität“, sagt Ude. „Was wir brauchen ist der Citizen-Value.“
Größe schützt nicht vor dem Aussterben
Es scheint, allmählich kündigt sich die Dämmerphase des herkömmlichen Energiesystems an. Die großen Vier sind in diesem Kontext – wie die großen Energieerzeuger weltweit – Dinosaurier. Sie stehen kurz vor dem Aussterben.
Allein die Ordnungspolitik müsste noch die letzten wirtschaftsklimatischen Weichen stellen, um den Weg für das Neue freizuräumen und die Kooperation von Stadtwerken und Unternehmen im Bereich der erneuerbaren Energien zu unterstützen. Doch genau hier, in der Verwaltung, befinden sich oftmals die letzten Bastionen strukturkonservativen Gedankenguts.
Denn nach wie vor lassen sich die für Umwelt und Gesellschaft dringend erforderlichen Transformationsprozesse allzu leicht durch absurde Regularien ausbremsen. So gelten beispielsweise in Baden-Württemberg noch immer 95 Prozent der Fläche als Windkraftausschlussgebiet.
Und während Mecklenburg-Vorpommern inzwischen 45 Prozent seiner benötigten Energie mittels Windkraft erzeugt, sind es in Baden-Württemberg gerade mal 0,8 Prozent. Dass dies an schlechteren Windverhältnissen im Großraum Stuttgart oder Mannheim liegt, behauptet inzwischen nicht einmal mehr Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU), obwohl der um waghalsige Schlussfolgerungen ansonsten nicht verlegen ist.
100 Prozent sind möglich
„Wir könnten die Ziele der Bundesregierung für den Ausbau erneuerbarer Energien spielend übertreffen“, sagt der ideologisch unverdächtige Geschäftsführer der Stadtwerke Schwäbisch Hall, Johannes van Bergen. Bis 2030 will er die Energieversorgung im Gebiet seiner Stadtwerke zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien gewährleisten. Industrie inklusive. Der kommunale Energieversorger arbeitet dabei hochprofitabel.Es gebe unglaubliche Möglichkeiten für Stadtwerke im Bereich der regenerativen Energien, sagt Van Bergen: „Aber durch diese abstruse Raumordnungspolitik sind wir total blockiert.“
Wie man die die behördlichen Ampeln in Zukunft von rot auf grün stellen könnte, hat zumindest Scheer schon vorgeschlagen: „Die erneuerbaren Energien brauchen nicht nur Vorrang bei der Energieeinspeisung – sie brauchen auch Vorrang in der Baurechtsplanung.“ Damit, so der Mitbegründer des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, werde der gängigen Verhinderungspraxis eine wichtige Waffe genommen.
Um das Ziel einer vollständigen Vorfahrt für erneuerbare Energien zu erreichen, ist allerdings ein echter Bewusstseinswandel am Allerwichtigsten. „Wir müssen endlich aufhören, gedanklich den Bürger vom Verbraucher zu trennen“, sagt Ude. Der Verbraucher wolle immer die billige Energie, der Bürger müsse dann mit den Folgekosten leben.
Doch Bürger und Verbraucher seien nun mal identisch. In die eine Tasche rein, aus der anderen Tasche raus. Man bestehle sich also selbst. Die Erneuerbaren, sagt der Münchner OB, sind nicht weniger effizient als die herkömmlichen Energieträger, sie böten nur alle enthaltenen Kosten auf einen Blick.
Das nennt man nicht teuer, sondern ehrlich. Quelle:
WIRSOL | Jochen Schönmann 2010 |