Ostseezeitung vom 22.02.2010 Das Maß ist voll Nach dem spielerischen Offenbarungseid blockierten aufgebrachte Fans die Zufahrt zum Stadion. Der Druck wird immer größer — auch für Trainer Andreas Zachhuber.
Sonntag, 11.07 Uhr, Trainingsgelände des FC Hansa. Andreas Zachhuber versammelt seine Versager um sich. Der Chefcoach hält eine kurze Ansprache. Danach gehen der Fußball-Lehrer und die Spieler geschlossen zum Zaun. Dort warten bereits mehr als 50 Anhänger. Sie sind frustriert. Nach dem 0:1 (0:1) gegen den FC Augsburg ist das Maß voll.
Mit einem freundlichen „Guten Morgen, Jungs“ geht Zachhuber auf die Zaungäste zu. Er weiß, dass es harsche Kritik hageln wird. Zachhuber hat Verständnis dafür: „Die Fans sind enttäuscht und beklagen, dass wir uns ihnen zu selten stellen.“ Alles verläuft friedlich. Der Sicherheitsdienst bleibt im Hintergrund.
Bereits unmittelbar nach der fünften Heimniederlage hatten rund 300 aufgebrachte Fans am Sonnabend die Stadionausfahrt blockiert und ihrem Unmut gegenüber den Profis Tim Sebastian, Kevin Schlitte, Alexander Walke sowie Klubsprecher Karsten Lehmann Luft gemacht.
Der Ärger ist verständlich. Die Partie gegen den Aufstiegsaspiranten Augsburg war erneut ein spielerischer Offenbarungseid. Kein Zug zum Tor, keine Spielfreude. Stattdessen prägten Fehlpässe, Missverständnisse und Aussetzer das Geschehen — einfach gruselig. „In einem Heimspiel muss man mehr erwarten. Das war jetzt das fünfte schlechte Spiel hintereinander“, kritisierte FCH-Manager René Rydlewicz ein. Die Fans quittierten das niveaulose Gekicke mit Pfiffen und Schmährufen („Das hat mit Fußball nichts zu tun“). Klubchef Dirk Grabow musste sich „Grabow-raus!“-Rufe gefallen lassen.
Der FC „Harmlos“ erarbeitete sich gegen den Tabellendritten lediglich zwei hochkarätige Chancen: Kai Bülow scheiterte nach einem Carnell-Freistoß freistehend aus vier Metern mit einem Flachschuss an FCA-Schlussmann Simon Jentzsch (10.). Der eingewechselte Tobias Jänicke hatte Pech, als sein Linksschuss vom Pfosten in die Arme des Gäste-Keepers sprang (66.).
Die biederen Bayern, die kurzfristig auf ihren Top-Torjäger Michael Thurk (Magenprobleme) verzichten mussten, hatten vor 8000 Zuschauern nur eine Hundertprozentige — und nutzten sie. Die völlig verunsichert wirkenden Hanseaten ließen sich dabei übertölpeln. Ausgangspunkt war ein Ballverlust von Carnell in der gegnerischen Hälfte. Zwei Pässe, dann hatte Nando Rafael freie Bahn und überwand FCH-Torhüter Walke mit einem Flachschuss.
„Das war eigene Blindheit. Da muss man im Mittelfeld ein taktisches Foul machen“, wetterte Rydlewicz. Auch Zachhuber wurmte der Gegentreffer in der Nachspielzeit der ersten Hälfte mächtig: „Da haben wir uns stümperhaft angestellt. Wenn man einen derart dummen Fehler macht, braucht man sich nicht zu wundern, wenn man so ein Spiel verliert.“ Hansa hinkt den eigenen Ansprüchen weiterhin hinterher und tritt auf der Stelle — nicht nur in der Tabelle. Die Truppe entwickelt sich nicht weiter. Vom Saisonziel (Platz 8 bis 12) redet schon niemand mehr. Nur zwei von 15 möglichen Punkten geholt, lediglich zwei Tore erzielt, der Vorsprung auf Relegationsplatz 16 auf drei Zähler geschrumpft — die Rückrundenbilanz der Rostocker ist erschreckend.
„Die Zahlen sprechen gegen uns. Deswegen spielen wir wieder gegen den Abstieg“, meinte Trainer Andreas Zachhuber. Der zweimalige Retter (1999 und 2009) gerät immer mehr in die Schusslinie — auch bei den Fans. „Herr Zachhuber, Bochum war gestern, heute zählen Punkte“, stand auf einem Transparent. Misserfolg wird schnell am Trainer festgemacht, weiß auch der Coach. „Das ist in unserem Geschäft so.“ Oliver Schröder mag sich mit dem Gedanken an dauerhaften Abstiegskampf nicht anfreunden: „Es kann nicht unser Anspruch sein, immer nach unten zu gucken. Aus der Nummer müssen wir uns selber wieder rausziehen.“ Das geht nur mit Erfolgserlebnissen. Im Heimspiel am Mittwoch gegen den 1. FC Union Berlin (18.30 Uhr) ist ein Dreier Pflicht. Andernfalls steht der FCH bei Zachhubers einjährigem Jubiläum wohl dort, wo er sich bei dessen Amtsantritt am 8. März 2009 befand: auf einem Abstiegsplatz. „Die Alarmglocken müssen bei allen an sein“, fordert der Coach.
Die Fans haben die Gefahr längst erkannt. Das wurde gestern während der 22-minütigen Aussprache deutlich, die mit einem aufmunternden Applaus endete. Zachhuber brachte es auf den Punkt: „Wir stehen in der Schuld!“
STEFAN EHLERS
Schlitte: Wir spielen absoluten Mist
Er rackerte 90 Minuten, doch ohne durchschlagenden Erfolg: Hansa-Profi Kevin Schlitte stand nach dem Schlusspfiff die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben.
OZ: Straßenblockade,Pfiffe und Schmährufe – die Fans sind stinksauer. Haben Sie dafür Verständnis? Schlitte: Ja, wir spielen gegenwärtig absoluten Mist. Von daher ist es das gute Recht der Fans, uns zu kritisieren. Wir haben uns das selbst zu zuschreiben. Was fußballerisch momentan abläuft, ist eine Katastrophe. Nur Einsatz reicht nicht. Wenn wir den Ball haben und dann keinen richtigen Fußball spielen, kann man nicht gewinnen. OZ: Hat die Mannschaft das Fußballspielen verlernt? Schlitte: Ich weiß nicht, mir fehlen die Worte. Ich bin einfach nur enttäuscht, weil wir uns gegen Augsburg viel vorgenommen hatten. Jetzt ist alles wieder kaputt. OZ: Was muss sich ändern? Schlitte: Wie gesagt: Der Einsatz ist okay, aber fußballerisch fehlt’s überall. Jeder, der den Ball hat, hat’s am schwersten. Es fehlt die Bewegung, die Laufwege, einfach alles. OZ: Was hat Trainer Zachhuber in der Halbzeitpause gesagt? Schlitte: Das wir weitermachen sollen. Kämpferisch war’s ja okay. Wir sollten den Kopf hochnehmen und beweisen, dass wir ein Spiel drehen können. Man hat ja gesehen, was dabei rausgekommen ist. OZ: Zachhuber hat in den vergangenen Wochen viel probiert, rotiert und das System verändert. Hat das Unruhe in die Mannschaft gebracht? Schlitte: Nein, es ist ja auch für den Trainer schwierig. Die Leistung ist nicht da. Die Situation ist momentan für niemanden einfach. Wir müssen uns da alle zusammen rausziehen – und zwar so schnell wie möglich.
Interview: S. EHLERS
Die Hansa-Profis in der Einzelkritik
Alexander Walke: Wenig geprüft. Beim 0:1 machtlos. Kevin Schöneberg: Nach einem Spiel Denkpause wieder dabei. Engagiert, aber bei weitem nicht fehlerfrei. Kai Bülow: Riesenchance zum 1:0, scheiterte an FCA-Torhüter Jentzsch. Mehrere Stockfehler. Tim Sebastian: Einmal mehr bester Rostocker. Konnte vor dem 0:1 den entscheidenden Pass von Hegeler nicht unterbinden. Bradley Carnell: Erstes Spiel nach mehrwöchiger Verletzungspause. Schwache Partie. Folgenschwerer Ballverlust vor dem 0:1. Oliver Schröder: Ungewohnt hohe Fehlerquote. Martin Retov: Nur der Einsatz stimmte. Konnte keine Impulse geben. Das war Alibi-Fußball. Kevin Schlitte: Er rackerte viel, offenbarte aber Zweikampfschwächen. Unpräzise Pässe. Helgi Valur Danielsson: Mitläufer. Ein Rückschritt im Vergleich zur Koblenz-Partie. Fin Bartels: Sorgte für Betrieb, verzettelte sich dabei aber immer wieder. Gardar Jóhannsson: Wurde überhaupt nicht in Szene gesetzt. Wirkte wie ein Fremdkörper. Tobias Jänicke: Belebte mit seiner Schnelligkeit das Spiel. Bei Pfostenschuss (66.) im Pech. Enrico Kern: Unterirdisch. Ein Schatten vergangener Tage. Felix Kroos: ohne Bewertung. http://www.fc-hansa.de/index.php?id=132&oid=10919 |