Der Öldurst ist lange nicht gestillt von Claus Hecking Wer angesichts des Preissturzes der Ölpreise auf das Ende der Hausse bei Energieträgern spekuliert, könnte bitter enttäuscht werden. Die Märkte bleiben bullish.
Ölreserven und Fördermengen -Die Gesichter an der Zapfsäule sind nicht mehr ganz so lang wie vor ein paar Wochen. Knapp 20 Cent weniger müssen Deutschlands Autofahrer momentan für einen Liter Normalbenzin bezahlen als vor einem Jahr. Die Stimmung an den internationalen Rohölbörsen hat sich merklich entspannt. Anfang August kostete ein Barrel (159 Liter) der US-Referenzsorte WTI mehr als 78 $, Mitte September waren es nur noch 61 $.
Doch wer sich jetzt auf das Ende der seit fünf Jahren anhaltenden Hausse an den Energiemärkten freut, könnte bitter enttäuscht werden. "Der jüngste Preissturz der Rohöl- und Benzinpreise ist übertrieben", warnt Goldman Sachs, die wohl einflussreichste Investmentbank am Ölmarkt. Schon im vierten Quartal werde der WTI-Durchschnittspreis wieder auf 75 $ je Barrel ansteigen.
Die Mehrheit der Experten denkt ähnlich. "Weil die großen Hurrikane bislang ausgeblieben sind und sich der Konflikt um das iranische Atomprogramm etwas beruhigt hat, haben sich die Risikoprämien verringert. Aber dieser Trend kann schnell wieder drehen", sagt Dora Borbély, Ölanalystin der Deka-Bank. "Mittelfristig werden die Preise wieder steigen, denn die Fundamentaldaten des Marktes haben sich nicht geändert."
Angst vor Engpässen
Ölreserven und Fördermengen - Zwar reichen die nachgewiesenen globalen Reserven des "schwarzen Goldes" noch rund vier Jahrzehnte. Doch die Ängste vor kurzfristigen Engpässen sind groß: Schließlich operiert die Ölwirtschaft seit einigen Jahren am Rande ihrer Kapazitäten; weder Förderung noch Lagerung, Transport oder Verarbeitung lassen sich zurzeit in nennenswertem Umfang ausweiten.
"Weil der Preis in den 80er und 90er Jahren am Boden lag, hat die Industrie kaum in neue Anlagen investiert", sagt Christoph Eibl, Leiter Rohstoffhandel bei Tiberius Asset Management.
Das gilt auch für die Verarbeitung des Rohöls zu Benzin, Heizöl, Kerosin oder anderen Produkten. Seit 1976 wurde in den USA keine neue Raffinerie mehr gebaut. Zwar fahren Multis wie Exxon Mobil, BP oder Shell ihre Investitionen in Förderung und Verarbeitung angesichts der Vervierfachung des WTI-Preises seit 2001 neuerdings massiv hoch.
"Doch bis eine Förderanlage in Betrieb geht, dauert es mindestens vier Jahre", gibt Jochen Hitzfeld, Rohstoffstratege der HypoVereinsbank, zu bedenken.
Die Nachfrage steigt Und währenddessen wächst die Nachfrage weiter: Schließlich ist der Öldurst der Welt noch lange nicht gestillt. Nach einer Prognose der Internationalen Energieagentur (IEA) wird der globale Konsum bis 2009 um gut 15 Prozent steigen.
Dann wird die Weltwirtschaft weit über 90 Millionen Barrel ihres liebsten Schmierstoffs vertilgen - nicht etwa pro Jahr, sondern Tag für Tag. Allein Chinas täglicher Verbrauch ist seit 2000 von 4,8 Millionen auf sieben Millionen Barrel nach oben geschnellt.
Aber auch die Nachfrage vieler Industriestaaten nimmt zu: Die US-Wirtschaft etwa verschlingt pro Tag schon mehr als 20 Millionen Barrel. Nur in einigen EU-Staaten stagniert der Konsum seit einiger Zeit - das aber auf hohem Niveau. "Das Angebot kommt mit der Nachfrage nicht mehr mit", beklagt Borbély.
Für zusätzliche Unsicherheit sorgt die ungleiche geografische Verteilung der globalen Ölvorräte. Westliche Staaten wie die USA, Kanada, Norwegen oder Großbritannien gehören heute noch zu den größten Förderern der Erde; ihre Vorkommen werden aber in Kürze zur Neige gehen.
Im Gegenzug befinden sich 62 Prozent der weltweiten Reserven in den Krisenregionen Naher und Mittlerer Osten. Insgesamt verfügen die Opec-Staaten und Russland sogar über mehr als 85 Prozent des bisher weltweit entdeckten Erdöls.
In diesen Regionen aber bekommen westliche Konzerne kaum noch ein Bein auf den Boden. "Regierungen intervenieren zunehmend auf dem Markt, der Zugang für private Unternehmen wird schwieriger", räumt Christof Rühl, stellvertretender Chefökonom von BP, ein.
Und so bleibt den Multis nur, sich in immer komplexere und teurere Fördermethoden wie Tiefwasserbohrungen zu flüchten. Deka-Strategin Borbély hält daher einen Mindestpreis von 60 $ pro Barrel für fundamental gerechtfertigt.
Den Verbrauchern bleibt immerhin ein Trost: "Wer sich gegen steigende Benzinpreise absichern will, kann in den Ölmarkt investieren und so von den Kurssteigerungen profitieren", sagt Goldman-Sachs-Experte Dirk Heß. Mittlerweile bieten zahlreiche Banken Zertifikate auf WTI und andere Sorten an.
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