Handlungszwang und Herdentrieb
Manfred Gburek, 7. Oktober 2011 http://www.gburek.eu/
Was haben der Berliner Wahlerfolg und der anschließende demoskopische Höhenflug der Piratenpartei mit den Protesten gegen das (Finanz-)Establishment in Griechenland und in den USA zu tun? Zumindest das: Die jugendliche Facebook- und Twitter-Generation ist es leid, politisch von oben manipuliert zu werden und den Milliarden-Spielen der Banker zusehen zu müssen, während ihre eigenen Ideale auf der Strecke zu bleiben drohen.
Die Protestwahlen in Deutschland werden sich fortsetzen, die Straßenproteste anderswo auch. Das zeigt sich allein schon daran, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander geht – womit wir nicht nur beim generellen Thema Verteilungskampf sind, sondern auch beim speziellen Thema Euro. Denn es gibt nun mal reiche und arme Euro-Länder. Da sich die Lage in dieser Hinsicht von Tag zu Tag zuspitzt, wird es höchste Zeit, im Folgenden die Fakten zu analysieren und die Konsequenzen aufzuzeigen.
Zunächst fällt auf, dass Politiker, hohe Beamte, Notenbanker, Vertreter von Aufsichtsbehörden und internationalen Organisationen immer hektischer von einer Verhandlungsrunde in die nächste stolpern. Dabei wird ihre jeweilige Agenda von den Ereignissen bestimmt, das heißt, sie sind zu Getriebenen geworden, statt von sich aus Reformen voran zu treiben. Die Verhandler vermitteln den Eindruck von Rat- und Kopflosigkeit; zeitweise verlieren sie sogar total den Überblick, was ja ihre vielen widersprüchlichen Aussagen zur Höhe des Rettungsschirms EFSF und zu den Modalitäten der Euro-Rettung belegen.
Der Rettungsschirm, so viel steht bereits heute fest, wird gigantische Ausmaße annehmen, die alle aktuellen Schätzungen weit übertreffen. Das liegt in erster Linie daran, dass die hoch verschuldeten Euro-Länder und die sogenannten systemrelevanten Banken ein ganz dickes, wirres Knäuel bilden: Blüht einem Land die Pleite, droht es gleich viele Banken mitzuziehen; und weil es sich dabei auch um Banken aus anderen Ländern handelt, wird daraus ein Politikum. Die neuesten Tricks von Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy sprechen in dieser Hinsicht Bände: Er möchte den Rettungsschirm offenbar am liebsten gleich vornehmlich für französische Banken aufspannen.
Die weit überwiegende Mehrzahl der Ökonomen ist ratlos, was die Krisenbewältigung angeht. Die einen tun so, als gäbe es keine Krise, und halten an ihren zum Teil absurden Theorien von gestern fest. Derweil breiten die anderen ihre Vorschläge penetrant in den Medien aus, weil sie bei den Politikern kein Gehör mehr finden, was wohl auch an deren Ignoranz und Hektik – siehe oben – liegt.
In Zeiten wie jetzt lohnt es sich mehr als sonst, von Experten besetzte Veranstaltungen zu besuchen. So wie die Immobilienmesse Expo Real in der abgelaufenen Woche. Da legte zum Beispiel Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank, eine beeindruckende Grafik vor. Danach hat der Deka-Finanzmarktstress-Indikator zuletzt einen Gipfel erklommen, gegen den der vorangegangene Anstieg vom Herbst 2008 – immerhin nach der Lehman-Pleite – wie ein sanfter Hügel aussieht. Quintessenz: Das Risiko lauert überall.
Die Messe bildete auch die Bühne für den Crash-Propheten Max Otte, der eine bemerkenswerte These vertrat: Beim großen Spiel ums Geld gehe es nicht so sehr um den Euro oder um Griechenland, sondern darum, das finanzielle Risiko der Investmentbanken letztlich auf deutsche, niederländische und österreichische Steuerzahler zu verlagern. Diese These hat viel für sich, denn die Finanzwelt richtet ihren Fokus – nicht zuletzt mit kräftiger Unterstützung der Medien – seit eineinhalb Jahren auf ein Land, dessen volkswirtschaftliche Daten zwar miserabel sind, dessen Bruttoinlandsprodukt aber in Relation zum gesamten Euro-Raum verschwindend gering ist. Das heißt, Griechenland hätte längst von anderen Euro-Ländern gerettet werden können, falls die sich zu einer einheitlichen Willensbildung durchgerungen hätten.
Dass dies nicht geschehen ist, liegt wohl kaum am mangelnden Willen, sondern an einer Fehlkonstruktion, die darin besteht, dass dem Euro früher nicht einmal der Hauch einer politischen Union vorangegangen war. Im Übrigen gilt, was Peter Bofinger, einer der Wirtschaftsweisen, kürzlich gesagt hat: „In Deutschland wird total übersehen, dass es kein Land gibt, in dem so viele Sparmaßnahmen innerhalb so kurzer Zeit und so massiv durchgesetzt worden sind wie in Griechenland.“ Allein, es hilft nicht mehr.
Blickt man zurück in die Geschichte, sind bisher fast jedem Staatsbankrott gefolgt: kollabierende Banken, Kreditrestriktionen, Konjunktureinbrüche, Aufstände und Währungsreformen. Und heute: Banken werden gerettet, sofern sie systemrelevant sind, und am Ende verstaatlicht, was noch vor uns liegt. Keditrestriktionen gibt es schon in Hülle und Fülle; und wer dank guter Bonität einen Kredit ergattert, bekommt Konditionen mit Bankmargen aufgebrummt, die geradezu unanständig sind. Der Konjunktureinbruch geht bereits aus verschiedenen Frühindikatoren hervor, auch wenn er manchmal – wie zuletzt am Freitag mit dem scheinbar positiven US-Arbeitsmarktbericht – konterkariert zu werden scheint. Zu den Aufständen ist hier anfangs genug gesagt. Nur was die nächste Währungsreform betrifft, müssen wir uns noch etwas gedulden.
Die Renditen zehnjähriger Bundesanleihen und US-Staatsanleihen pendeln aktuell unter 2 Prozent. Das ist eine miserable Verzinsung, die den gerade aufgezeigten Risiken in den kommenden zehn Jahren überhaupt nicht gerecht wird. Sie ist, so paradox das scheinen mag, ein Beleg für das Sicherheitsbedürfnis der – überwiegend institutionellen - Anleger, die vor lauter Risiken wie erstarrt nur auf Staatsanleihen blicken, die sie für sicher halten. Hier handelt es sich um eine Form des Herdentriebs, wie wir ihn sonst eher aus Zeiten mit extremen Auf- oder Abwärtsbewegungen an den Aktien-, Rohstoff- und Derivatebörsen kennen.
Wann dieser Herdentrieb ein Ende haben wird, ist zwar nicht genau festzumachen; aber lange kann er nicht mehr vorherrschen. Das ergibt sich allein schon aus dem Handlungszwang der Politiker, Notenbanker usw. im Hinblick auf die sogenannte Euro-Rettung. Danach werden zehnjährige deutsche Bundesanleihen nämlich nicht mehr als so sicher gelten wie jetzt, US-Staatsanleihen auch nicht. Stattdessen wird Gold in seiner Funktion als sichere Anlage wieder an Fahrt gewinnen. Bis dahin dürfte sein Preis weiterhin für die eine oder andere starke Schwankung gut sein. Dann heißt es: Nur nicht die Nerven verlieren, denn das Beste kommt erst noch. |