ATTACKE AUF HOCHSCHWANGERE
"Das Kind muss weg"
Von Roman Heflik, Lübeck
Vor fünf Monaten maskierte sich ein 18-jähriger Mazedonier und überfiel seine hochschwangere Freundin. Sie verlor das gemeinsame Kind und starb fast selbst. Grund für die brutale Tat: Die Eltern sollten nichts von der Beziehung des Muslims zu einer Christin erfahren. Jetzt steht der Mann vor Gericht.
Lübeck - Mustafa hat die Schreie gehört, damals, in der Nacht. Eine Frau schrie da, und sie schrie um ihr Leben - und das Leben ihres Kindes. Mustafa kannte diese Frau: Es war Maria*, die schwangere Freundin seines Kumpels Enver*.
Mustafa sah aus dem Wohnungsfenster im vierten Stock auf den Ahrensburger Rathausmarkt herunter und versuchte, etwas zu erkennen. Er wusste, dass sein Freund Enver irgendwo da unten war, verhüllt mit einer schwarzen Stoffmaske, dazu schwarze Hosen, eine schwarze Lederjacke und schwarze Turnschuhe. Genau in diesem Augenblick benutzte Enver diese Turnschuhe, um Maria in den Bauch zu treten, ein Mal, zwei Mal, noch mal. Das Kind da drin, das musste weg.
"Mein Baby, mein Baby!"
"Ich habe geschrien, dass ich schwanger bin und habe gerufen 'mein Baby, mein Baby'", berichtet die 18-jährige Maria. Sie sagt heute vor der Jugendstrafkammer des Landgerichts Lübeck aus. Ihr gegenüber auf der Anklagebank sitzt Enver. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm versuchten Mord, schwere Körperverletzung und Schwangerschaftsabbruch vor. Enver hat die Tat gestanden, die alles andere als ein spontaner Wutausbruch war. Wer diesen Jugendlichen mit den dunklen, glatt zurückgekämmten Haaren, der hohen Stirn und dem Bärtchen anschaut, kann nur schwer begreifen, dass er damals diesen brutalen Plan gefasst hatte.
Wenn die portugiesischstämmige Maria auf die Fragen des Vorsitzenden Richters Christian Singelmanns antwortet, kommen ihre Antworten zügig und präzise. Nur wenn Maria sich an einige Augenblicke der Nacht vom 18. auf den 19. August 2005 erinnert, wird ihre Stimme brüchig.
Angst vor dem Vater
Maria war schwanger, Mitte September sollte das Kind zur Welt kommen. Sie wusste, dass Enver das Kind nicht wollte, denn Enver hatte Angst. Immer wieder hatte er Maria gebeten, angefleht, von ihr ultimativ verlangt, dass sie das Kind abtreiben solle. Vor einer geplanten Abtreibung hatte sie einen Rückzieher gemacht, jetzt war es zu spät. "Ich wollte nicht, dass ich Vater werde. Ich fühlte mich zu jung, ich war erst 18, und ich hatte keinen Job", sagt Enver vor Gericht aus. Seine beiden Brüder hätten ihn gedrängt, etwas zu tun. Und vor allem: Sein Vater hätte es niemals toleriert, dass Enver als Muslim mit einer Christin ein Kind haben würde. "Ich hatte Angst, dass er mich verstößt", berichtet Enver vor Gericht. Sein Entschluss stand fest: "Das Kind muss weg."
In jener August-Nacht 2005 sind Maria und Enver gerade beim Fernsehen, als Mustafa anruft. Enver verabredet sich mit dem Freund und verschwindet. Da ist es etwa halb zwei. Gegen drei Uhr klingelt Marias Telefon: Enver bittet sie, zu ihm zu kommen. Seine Eltern, vor denen er die Beziehung geheim hält, kämen morgen zurück aus dem Urlaub, diese Nacht sei vorerst die letzte Gelegenheit, einander zu sehen. Maria sagt zu, sie macht sich auf den kurzen Fußweg.
Schritte in der Unterführung
In einer Unterführung hört sie plötzlich schnelle Schritte hinter sich. Sie dreht sich um: Ein ganz in schwarz gekleideter Mann mit einer Maske rennt auf sie zu. "Erst dachte ich, der sieht irgendwie aus wie Enver", sagt Maria. Doch als der Mann sie plötzlich brutal umreißt, verwirft sie den Gedanken wieder. Dann beginnt der Mann, auf den dicken Bauch der Hochschwangeren einzutreten. Wie viele Tritte, das weiß Maria heute nicht mehr. Nur an die schwarzen Sohlen kann sie sich noch erinnern.
Die Schwerverletzte schleppt sich zu der nahen Wohnung ihres Freundes, doch seltsamerweise öffnet ihr niemand. Schließlich wählt sie den Notruf, wird ins Krankenhaus gebracht. In der Klinik bemüht sich die Ärztin, die Herztöne des Kindes zu finden, vergebens. "Die Ärztin hat den Raum ganz ruhig verlassen, aber ich hörte, wie sie auf dem Flur anfing zu rennen", sagt Maria. Wenige Augenblicke später wird sie zum Ultraschall gebracht. "Auf dem Bildschirm hat man nur eine schwarze Lache von dem ganzen Blut gesehen", sagt Maria im Gerichtssaal und verbirgt das Gesicht. Ihr Rücken bebt.
Enver übergibt sich erstmal
Später an diesem Morgen des 19. August beginnen die wahnsinnigen Schmerzen. Maria hat innere Blutungen. In einer Notoperation retten die Ärzte ihr Leben. Doch ihr Kind ist tot. Enver ist in der Zwischenzeit in seine Wohnung zurückgekehrt, reißt sich die schwarzen Klamotten vom Körper - und übergibt sich erstmal im Bad. "Ich habe mich schlecht gefühlt", gibt er zu Protokoll. Dann verstauen er und Mustafa die Kleider auf einem Dachabsatz neben dem Balkon.
Der nächste Teil des Plans wird umgesetzt. Enver ruft Marias Mutter an, fragt, wo die Freundin denn bleibe. "Ich wollte nicht, dass der Verdacht auf mich fällt." Er fährt sogar mit der Mutter ins Krankenhaus. "Er hat mir sogar den Bauch geküsst", berichtet Maria dem Lübecker Gericht. Doch alle Heuchelei hilft nichts. Einen Tag später wird Enver unter dringendem Tatverdacht in Untersuchungshaft genommen. Kurz danach legt er ein umfassendes Geständnis ab.
Heute sagt Enver, dass es ihm leid tut. "Ich weiß, dass ich das nicht entschuldigen kann." Wenn es nach seinem Anwalt geht, wird der Junge nach dem Jugendstrafrecht wegen vollendeter Körperverletzung und Schwangerschaftsabbruch verurteilt werden. Das Gesetzbuch sieht für diese Taten Strafen von insgesamt bis zu zehn Jahren vor. Die Verteidigung hofft auf milde drei bis vier Jahre.
"Ich dachte, ihr passiert schon nichts"
Doch es könnte schwierig werden für Enver: Zu gut war seine Tat geplant. Den Richtern drängte sich wohl der Eindruck auf, dass Enver lieber den Anschlag ausheckte, als eine wirkliche Lösung zu suchen. Etwa zwei Wochen vor der Tat habe Enver schon von seinen Plänen erzählt, berichtet Mustafa. Enver sagt dagegen, den Entschluss habe er ein paar Tage vorher gefasst. Nach einem stichfesten Anhaltspunkt dafür, dass Enver Maria bei seiner Attacke umbringen wollte, suchen die Richter bislang noch.
Was sie bislang fanden, war eher an Dummheit grenzende Gedankenlosigkeit: "Ich dachte, Maria würde schon nichts passieren", sagt Enver immer wieder - und dass er das Kind nicht hätte haben wollen. Zu groß sei der Druck vom Vater gewesen. Der bestätigte dann auch, was die Richter nicht so recht glauben wollen: dass er seinen eigenen Sohn wegen der Beziehung zu einer Christin verstoßen hätte. Jawohl, bestätigt Envers Vater, so sei es bei ihnen zu Hause Sitte. Wer so jemanden als Freundin anschleppe, der könne gleich seine Koffer packen. Noch nicht mal sein ältester Sohn, immerhin 29 Jahre alt, darf seine russische Freundin in die elterliche Wohnung mitbringen. Nach dem Angriff auf Maria hat er seinen Sohn Enver übrigens nicht verstoßen. Er hat ihn im Gefängnis besucht. |