Habe gerade ein neues Interview im Netz entdeckt, welches aus der Tageszeitung "Die Presse" vom 30.12.2020 stammen soll:
„So kommen wir von einer Milliarde Euro auf zwei“
Der Chef des steirischen Chipherstellers AT&S, Andreas Gerstenmayer, baut Werke in Chongqing und Leoben kräftig aus.
Die Presse: Im Sommer haben Sie angekündigt, 200 neue Jobs in Leoben-Hinterberg zu schaffen. Bleibt es dabei?
Andreas Gerstenmayer: Ja, natürlich. Insgesamt fließen 120 Millionen Euro über drei Jahre in das Werk.
Viele Industrieunternehmen haben ihre Investitionen verschoben oder gestrichen. Bereitet Ihnen das keine Sorgen?
Nein. Wir überlegen uns das sehr genau, wenn wir investieren. Vor allem geht es um das Segment Mikroprozessoren und IC-Substrate.
Das Jahr lief also gut für Sie?
Bis zum Ende des Geschäftsjahres soll der Umsatz bis um 15 Prozent wachsen, bei einer vernünftigen Ebitda-Marge. Wir hatten verschiedene Entwicklungen. Sehr gut laufen der Bereich IC-Substrate und das Geschäft mit mobilen Endgeräten. Die Medizintechnik hat sich ab dem zweiten Quartal wieder stabilisiert. Sehr viel Volatilität hatten wir im Bereich Industrie und Automobilelektronik.
Sie bleiben also optimistisch, obwohl die Automobilbranche und die Luftfahrt schwächeln?
Wir haben wesentliche Investitionen in andere Bereiche getätigt. Der Bereich der Halbleiter, Mikroprozessoren und IC-Substrate entwickelt sich extrem gut, auch infolge steigender Anforderungen der Digitalisierung und des 5G-Ausbaus. Wohingegen man davon ausgehen muss, dass die Automobil- und Industrieelektronik bis 2022, vielleicht sogar bis 2023, brauchen wird, um sich auf ein Niveau wie vor der Krise zu entwickeln.
Würden Sie sich als Corona-Gewinner bezeichnen?
Wir wollen das nicht. Es ist eine ethische Geschichte. Wieso soll man Krisengewinner sein? In Krisen gibt es massive Veränderungen und immer welche, die massiv verlieren. Für mich ist das nicht die richtige Betrachtungsweise. Krisen bieten immer wieder Chancen und Veränderungen. Als Unternehmen tut man gut daran, Chancen, die sich auftun, zu nutzen.
Sie wollen Ihren Umsatz bis 2024 verdoppeln. Wie wollen Sie das anstellen in einer Rezession?
Das ist nicht etwas, was wir glauben irgendwann einmal erreichen zu können, sondern unsere Projekte sind in der Umsetzung. Der Ausbau von Werk 1 in Chongqing ist weitestgehend abgeschlossen. Das Werk 2 bauen wir aus. Das dritte Werk in Chongqing befindet sich im Bau und wird 2023 in die Produktion gehen. So kommen wir von einer Milliarde Euro auf zwei.
Dieses dritte AT&S-Werk in Chongqing soll fast doppelt so groß sein wie die beiden anderen zusammen. Das Investitionsvolumen beträgt eine Mrd. Euro. Warum bauen Sie das in China?
Wir haben bereits ein Werk dort, das die Technologie produziert. Aufgrund der engen Verbindung haben wir Effizienzvorteile und generieren wirtschaftliche Skaleneffekte. Über die Zeit werden die asiatischen Märkte mehr Bedarf haben an der Halbleitertechnologie. Wir sind in China nach wie vor der erste Produzent, der in dem Volumen produzieren kann. Damit sollten wir den entstehenden Halbleitermarkt im asiatischen Raum dann sehr gut bedienen.
Bei der Mikroelektronik macht Asien etwa 70 Prozent der Wertschöpfungskette aus, Amerika 20 Prozent und die EU nur acht Prozent. Warum ist Europa hier so irrelevant?
Da haben wir leider über die letzten Jahrzehnte sehr viel versäumt. Erstens haben wir versäumt, die Anwenderseite zu entwickeln. In Amerika gibt es Google, Amazon oder Facebook. Vergleichbare Unternehmen gibt es in Europa nicht. Zweitens ist es uns leider nicht gelungen, eine entsprechende Supply-Chain im europäischen Raum zu halten. Drittens sind auf den Abnahmemärkten in Asien nun Produktionsketten entstanden. Somit hat sich Europa bei der Mikroelektronik ziemlich ins Abseits gestellt. Man unternimmt jetzt große Anstrengungen, Förderprogramme aufzusetzen. Aber man muss realistisch sein. Die Wirkung und die Reichweite von solchen Dingen sind relativ. Wurden Lieferketten nicht aufgebaut, dauert es sehr lang, bis das so funktionieren kann. Außerdem haben wir in Europa extreme Kostennachteile gegenüber dem asiatischen Raum. Das macht es uns nicht leichter.
Dennoch bleibt die Zentrale in Österreich?
Wir haben derzeit keinen Beschluss, die Zentrale zu verlegen. Dennoch ist es eine Herausforderung, und wir werden sehen, was wir uns einfallen lassen können, um die Position im europäischen Raum weiterzuentwickeln.
Wozu braucht man eigentlich IC-Substrate?
IC-Substrate sind eine Komponente eines Mikroprozessors. Ein Mikroprozessor ist quasi das Gehirn eines Computers, eines Servers, in Zukunft eines Autos. Dieser bestehen aus Siliziumchips und dem IC-Substrat, auf das die Chips montiert werden und das letztendlich die Verbindung zu den Chips, aber auch nach außen hin darstellt. Es ist eine hochtechnologische Schnittstelle, die die komplexen Strukturen eines Chips an die Außenwelt anschließt.
Was ist da der Unterschied zu Leiterplatten, die Sie z. B. für Beatmungsgeräte zuliefern?
Auf einer Hauptplatine sind viele Komponenten wie Dioden, Widerstände, Kondensatoren, Mikroprozessoren, etc. All diese werden über die Hauptplatine verbunden. Auf kleinstem Raum werden die Komponenten eines Gerätes miteinander verbunden.
1971 hatte ein Halbleiter 2300 Transistoren, heute 3,35 Milliarden. Was bedeutet dieser Sprung in der Entwicklung?
Denken Sie an das Mobiltelefon von vor 15 oder 20 Jahren. Die Hauptfunktion war das Telefonieren, SMS-Schreiben – und im Wesentlichen war es das schon. Durch die Leistungssteigerung in der Mikroelektronik wurden die Geräte nicht wesentlich größer, aber signifikant leistungsfähiger. Was heute ein vernünftiges Smartphone kann, konnte vor zwei, drei Jahren ein Notebook-PC. Sich Videos auf das Handy herunterzuladen war vor 15 Jahren vollkommen undenkbar. Und das in einem Gerät, das relativ handlich ist. Die Größe wird durch den Bildschirm und die Batterie definiert, nicht durch die mikroelektronischen Komponenten.
Was wird in Zukunft noch möglich sein?
Es werden weitere Leistungssteigerungen kommen in Form von neuen Architekturen in der Mikroelektronik – mehr Funktionen auf gleicher Größe. Corona befeuert die Digitalisierung. Erste Schätzungen zeigen, dass die Pandemie Europa zehn Jahre nach vorn katapultiert hat. Es wird eine Unmenge an Daten generiert. Diese werden übertragen, analysiert, verarbeitet, gespeichert. Dabei braucht man überall Mikroelektronik, also Substrate und Leiterplatten. Wir sind eher am Anfang als im Zenit. Digitalisierung wird nicht aufhören.
Von welcher Größenordnung sprechen wir da?
Da reden wir über Zettabyte – eine Zahl mit zwölf Nullen.
Ein Zettabyte sind zwölf Gigabyte bzw. neun Terabyte.
Ja, genau. Es wird davon ausgegangen, dass sich das globale Datenvolumen im Jahr 2019 von 40 Zettabyte bis 2024 auf 175 Zettabyte erhöhen wird. Das bedeutet eine durchschnittliche Wachstumsrate von 28 Prozent. Das ist schon gigantisch, was da passiert.
Mit Simone Faath als Finanzvorstand hat Ihr Management wieder eine Frau. Im Aufsichtsrat sind es drei von 13 Personen. Eine fehlt Ihnen noch zur Erfüllung der gesetzlichen Quote. Empfinden Sie diese als Einschränkung unternehmerischer Freiheit?
Wir bei AT&S orientieren uns weniger an Quoten, sondern daran, was für das Unternehmen gut ist. Ich war immer überzeugt, dass eine gute Mischung – auch im Sinne von Kultur und Internationalität – hilfreich ist. Wir haben in Leoben allein mehr als 45 verschiedene Nationen. Wir haben seit Jahren einen sehr hohen Frauenanteil in der Produktion, selbst im Dreischichtbetrieb. AT&S war das erste Unternehmen in Österreich, das den Weg für die Frauen in die dritte Schicht möglich machte. Nicht aus Zwang, sondern weil uns die Frauen darum gebeten hatten. Ich bin seit jeher skeptisch, wenn es um Quoten geht. Wenn ich Dinge nur mache, weil es eine Quote gibt, wo bleibt dann die Grundsatzüberzeugung?
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