Tsunami tötete bis zu viermal mehr Frauen als Männer
Die Tsunami-Katastrophe in Asien hat einer Untersuchung zufolge deutlich mehr Frauen als Männer das Leben gekostet. In den am schwersten betroffenen Gebieten seien bis zu viermal mehr Frauen als Männer gestorben, berichtet eine internationale Hilfsorganisation.
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DPALeichensäcke in Banda Aceh: Mehr Frauen als Männer unter den Toten |
Bis zu 300.000 Menschen hat der Tsunami in Asien vor einem halben Jahr in den Tod gerissen. Der Verdacht, dass deutlich mehr Frauen als Männer umkamen, bestand schon länger. Eine zuverlässige Untersuchung existierte allerdings nicht. Jetzt hat die internationale Hilfsorganisation Oxfam erstmals Zahlen zu dem Thema vorgelegt. Das Ergebnis: In den am schwersten getroffenen Gebieten in Indien, Indonesien und Sri Lanka kamen bis zu viermal mehr Frauen als Männer ums Leben, schreibt Oxfam-Expertin Rhona MacDonald im Fachblatt "PLoS Medicine" (Bd. 2, Ausg. 6, S. e178).
In der indonesischen Provinz Aceh zählte Oxfam die Überlebenden in acht Dörfern, die vor der Katastrophe insgesamt mehrere tausend Einwohner besessen hatten. In vier Dörfern des Bezirks Aceh Besar waren demnach nur 189 Frauen unter den 676 Überlebenden. In vier Siedlungen im Bezirk Nord-Aceh befanden sich 284 Frauen unter 366 Toten - ein Anteil von 77 Prozent.
Ungleichgewicht hat kulturelle Gründe Auch in Indien bot sich ein ähnliches Bild. In Nagapattinam, der am schwersten getroffenen Region in Südindien, tötete der Tsunami offiziellen Angaben zufolge 2406 Frauen und 1883 Männer. Im Cuddalore, dem Bezirk mit den zweithöchsten Opferzahlen, starben demnach 391 Frauen und 146 Männer. Aus Sri Lanka, wo mehr als 30.000 Tote zu beklagen waren, liegen laut Oxfam keine nach Geschlechtern sortierten Zahlen vor. Allerdings schienen die Verhältnisse hier ähnlich zu sein wie in Indien und Indonesien.
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DLR/ Space ImagingSatellitenbilder von Aceh vor und nach dem Tsunami: Welle erwischte Frauen in den Häusern |
Oxfam nennt vor allem soziale und kulturelle Gründe für das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern. Als der Tsunami an einem Sonntagmorgen die Siedlungen an der Küste dem Erdboden gleichmachte, hätten sich viele männliche Dorfbewohner auf ihren Fischerbooten befunden - und überlebten, da sich ein Tsunami erst im flachen Küstenwasser zu seiner monströsen Größe auftürmt, kleine Boote auf dem Meer aber oft unversehrt lässt.
Als die Welle auf Land traf, seien zahlreiche Frauen bei dem Versuch gestorben, Kinder und Verwandte zu retten. Zudem sei die Fähigkeit, zu schwimmen und auf Bäume zu klettern, unter Männern in der Region traditionell weiter verbreitet als unter Frauen. Eine Rolle spiele bei Flutkatastrophen auch die körperliche Kraft: Während viele Männer es geschafft hätten, sich an Trümmer zu klammern und sich über Wasser zu halten, seien mehr Frauen erschöpft in den Fluten ertrunken.
Regionale Besonderheiten verstärkten den einen oder anderen Faktor, wie Rhona MacDonald betont. So nähmen etwa die Frauen in Indien traditionell rege am Fischfang teil. Als der Tsunami einschlug, hätten viele am Ufer auf die Rückkehr der Fischer gewartet, um den Fang zum Markt zu tragen.
Dass die Flutwelle mehr Frauen als Männer getötet hat, könnte jetzt zu tief greifenden sozialen Problemen in der Krisenregion führen, schreibt MacDonald. In den überfüllten Auffanglagern, in denen die meisten der rund 1,6 Millionen Obdachlosen nach der Katastrophe untergekommen sind, bestehe die Gefahr von sexuellen Übergriffen. Zudem könnten Frauen verstärkt zur Eheschließung und zu Schwangerschaften gezwungen werden.