Zivilbevölkerung ist zu schonen
Aber das Völkerrecht läßt dem Krieg Raum
/Von Reinhard Müller
FRANKFURT, 18. Juli. Zivilpersonen sind zu schonen. Schon im eigenen Interesse greifen Konfliktparteien sie in der Regel nicht gezielt an. Andererseits gibt es immer wieder Versuche, unschuldige Zivilisten als Schutzschild zu mißbrauchen. Doch auch darauf gibt es Antworten im Völkerrecht.
An Kampfhandlungen dürfen sich nur Kombattanten beteiligen. Zivilisten ist das untersagt. Denn nur dann kann von den Streitkräften verlangt werden, die Zivilbevölkerung nicht in ihre Angriffe einzubeziehen. Den Kombattanten obliegt es, sich besonders kenntlich zu machen. Was aber geschieht, wenn Zivilpersonen dennoch an Kämpfen teilnehmen, sei es im Verbund mit regulären Truppen, sei es auf eigene Faust? Sie bleiben Zivilpersonen, werden also dadurch nicht zu Kombattanten. Solange sie selbst kämpfen, dürfen sie aber auch bekämpft werden. Sie können für ihr Tun in rechtsstaatlichen Verfahren zur Verantwortung gezogen werden.
Wenn sich der Gegner hinter Zivilpersonen versteckt, so ist die andere Seite nicht von ihrer Pflicht entbunden, Zivilpersonen zu schonen. Andererseits gilt jedoch der schon in der Haager Landkriegsordnung verankerte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit: Auch ein Angriff auf ein militärisches Ziel darf keine Verluste unter der Zivilbevölkerung verursachen, die in keinem Verhältnis zum konkreten militärischen Vorteil stehen. Der militärische Führer hat die Pflicht, sich im Rahmen des Möglichen Informationen über das zivile Umfeld zu verschaffen und entsprechend zu handeln.
Aber was sind militärische Ziele? Zunächst die gegnerischen Streitkräfte, deren Fahrzeuge aller Art und Kasernen. Aber die Formulierung der "Objekte" im - vom Libanon, aber nicht von Israel ratifizierten - 1. Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen war sehr umstritten. Militärische Ziele sind demnach Objekte, "die auf Grund ihrer Beschaffenheit, ihres Standortes, ihrer Zweckbestimmung oder ihrer Verwendung wirksam zu militärischen Handlungen beitragen und deren gänzliche oder teilweise Zerstörung, Inbesitznahme oder Neutralisierung unter den in dem betreffenden Zeitpunkt gegebenen Umständen einen eindeutigen militärischen Vorteil darstellen". Damit sollte ein totaler (Bomben-)Krieg eingegrenzt werden, wie er im Zweiten Weltkrieg geführt worden war.
Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz hatte schon Mitte der fünfziger Jahre eine Liste von militärischen Zielen erstellt. Sie führt auch Transportlinien, Fernsehstationen und Industrien auf, soweit sie militärisch von grundlegender Bedeutung sind. Ist in einem Krieg nicht auch die Zulieferindustrie von wichtiger Bedeutung? Es besteht die Gefahr, daß nahezu jeder Teil der Infrastruktur zum militärischen Ziel erklärt wird. Eine Blockade, wie sie Israel gegenüber dem Libanon durchzusetzen beginnt, ist ein altes Mittel des (See-)Kriegs. Auch dieser Methode setzt das Völkerrecht allerdings Grenzen - wieder zum Schutz für die Zivilbevölkerung. Hilfslieferungen müssen durchgelassen werden. "Hungerblockaden" sind verboten.
Aber darf nicht Israel auch zu unzulässigen Mitteln greifen, wo es doch durch terroristische Angriffe gegen seine Zivilbevölkerung von libanesischem Gebiet beeinträchtigt wird? Grundsätzlich ist es erlaubt, auf Rechtsverstöße des Gegners mit völkerrechtswidrigen Zwangsmaßnahmen zu antworten. Solche Repressalien müssen aber zum einen verhältnismäßig sein und dürfen zum anderen nicht gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt werden.
Text: F.A.Z., 19.07.2006, Nr. 165 / Seite 6
MfG kiiwii |