Die Hamas ist wieder in ihrem eigentlichen Element - der Gewalt Israels Militäraktion in den palästinensischen Gebieten ist der Anfang vom Ende der Hamas-Regierung.
von Richard Herzinger
Dutzende von führenden Mitgliedern der radikalislamischen Organisation, darunter zahlreiche Minister und Abgeordnete, wurden von Israels Armee festgenommen. Die von der Hamas geführte Administration steht damit vor dem Zusammenbruch - und mit ihr womöglich jeglicher Ansatz von Staatlichkeit in Palästina.
Als Bewegung ist die Hamas damit jedoch keineswegs tödlich getroffen. Vielmehr kehrt sie wieder in ihr eigentliches Element zurück: in direkter Konfrontation mit dem "zionistischen Feind" für den "heiligen Krieg" zu mobilisieren. Durch die massive Reaktion Israels auf die Verschleppung eines Soldaten durch palästinensische Extremisten - inzwischen wurde ein weiterer Soldat als Geisel genommen - wurde sie aus einer ungeliebten Doppelrolle befreit. Sie mußte als verantwortliche, international kooperationsfähige Regierungspartei posieren und dennoch versuchen, die Vorhut im kompromißlosen Krieg gegen Israel zu bleiben. Alle Hoffnungen, die Radikal-Islamisten könnten durch diesen Spagat politisch zivilisiert, zumindest aber in Extremisten und Gemäßigte gespalten werden, sind mit den Ereignissen dieser Woche zerplatzt.
Ob der Anschlag auf einen israelischen Kontrollstützpunkt an der Grenze zum Gaza-Streifen am vergangenen Sonntag von der im syrischen Exil sitzenden politischen Leitung der Hamas und ihres Chefs Chalet Mascha direkt angeordnet oder nur billigend in Kauf genommen wurde, spielt keine entscheidende Rolle. Die Provokation, die zum Gegenschlag der Israelis führen mußte, kam der Hamas wie gerufen, um von ihrer Verantwortung für das ständig anwachsende Chaos in der palästinensischen Gesellschaft abzulenken.
Ihre Weigerung, die Forderungen von USA und EU nach Anerkennung des Existenzrechts Israels, Gewaltverzicht und Einhaltung gültiger Verträge mit dem jüdischen Staat zu erfüllen, führte zum Versiegen internationaler Hilfsgelder und hat die palästinensische Gesellschaft in noch tieferes Elend gebracht, als es unter dem korrupten Regime der Fatah schon der Fall war. Vor diesem Hintergrund eskalierte der Konflikt zwischen der Hamas und den Anhängern der abgewählten Fatah in den vergangenen Monaten bis an den Rand eines Bürgerkriegs. Der Druck auf die Radikal-Islamisten wuchs, sich mit Präsident Mahmud Abbas zu einigen und von ihrer starren Konfrontationslinie abzurücken. Jetzt kann die Hamas wieder auf den brutalen Feind verweisen und bekräftigen, Gespräche mit ihm seien sinnlos.
Ob die Hoffnungen auf eine realpolitische Läuterung der Hamas jemals begründet waren, ist ohnehin zweifelhaft. "Hamas erkennt Israel indirekt an", meldeten deutsche Medien vergangenen Dienstag, nachdem sich die verfeindeten Palästinenserfraktionen angeblich auf eine gemeinsame Grundlage für künftige Verhandlungen mit dem jüdischen Staat geeinigt hatten. Doch die frohe Botschaft war voreilig verbreitet worden.
Zwar hatten sich Hamas und Fatah offenbar tatsächlich auf einen gemeinsamen Text verständigt. Das Dokument, auf dem er basieren soll, wurde im Mai dieses Jahres von in Israel inhaftierten palästinensischen Führern formuliert. Vertreter von vier Organisationen - Fatah, Hamas, Islamischer Dschihad und PFLP - haben es unterzeichnet. In dem seitenlangen Papier ist von einer "Zwei-Staaten-Lösung" jedoch nur indirekt und an einer Stelle die Rede. "Das palästinensische Volk zu Hause und im Exil", heißt es dort, strebe danach, "sein Land zu befreien und seine Rechte auf Freiheit und Unabhängigkeit zu verwirklichen." Das beinhalte unter anderem auch "das Recht, einen unabhängigen Staat mit Jerusalem als Hauptstadt auf dem gesamten Gebiet zu errichten, das 1967 besetzt wurde."
Diese Formulierung klingt so, als akzeptierten die Unterzeichner im Umkehrschluß die Existenz Israels in seinem territorialen Zustand vor dem Ausbruch des Sechs-Tage-Kriegs 1967. Doch gleich im Anschluß werden Bedingungen gestellt, deren Annahme das Ende Israels bedeuten würde: das "Recht auf Rückkehr der Flüchtlinge" sowie die "Befeiung aller Gefangener und Internierter auf der Basis des historischen Rechts unseres Volkes im Land unserer Vorfahren".
Diese Formulierung bezieht das gesamte Gebiet ein, das einst von Palästinensern bewohnt wurde, einschließlich des Territoriums des heutigen Israel. Ein Rückkehrrecht für alle von israelischem Boden geflüchteten Palästinenser und ihrer Nachkommen würde aber die jüdische Bevölkerung im Staat Israel bald in die Minderheit geraten lassen. Die Zahl der Flüchtlinge und ihrer Nachkommen beträgt nämlich über dreieinhalb Millionen - bei einer jährlichen Wachstumsrate von 3,1 Prozent.
Eine "Zwei-Staaten-Lösung" nach den Kriterien des palästinensischen Einigungspapiers liefe somit auf die Bildung zweier palästinensischer Staaten hinaus - einem in den Grenzen des von Israel besetzten Gebietes und einem in den Grenzen Israels bis 1967.
Das Dokument beschäftigt sich im übrigen hauptsächlich mit der Stärkung und Bündelung aller Kräfte des "Widerstands gegen die Besatzung". Dabei wird das "Recht des palästinensischen Volkes" betont, "neben politischer Aktion, Verhandlungen und diplomatischer Arbeit" die "Option des Widerstands mit allen Mitteln" aufrechtzuerhalten. Diese Aktionen sollten auf die besetzten Gebiete "konzentriert" werden - was Terrorakte auch im israelischen Kernland nicht gänzlich ausschließt.
Daß die Hamas in der Frage der Anerkennung des jüdischen Staats überhaupt irgendein Zugeständnis gemacht habe, wird von ihren Führern bereits wieder in Abrede gestellt. Davon, daß der israelische Staat in den Grenzen von 1967 akzeptiert werde, sei "in dem Papier keine Rede", sagte der Vizechef der politischen Führung der Organisation im syrischen Exil, Abu Marsuk, am Freitag. Es gehe darin "allein um die Zukunft unseres Volkes und darum, wie eine vereinte Regierung aus allen palästinensischen Fraktionen am Aufbau eines eigenständigen Staats arbeiten kann."
Abu Marsuk bestreitet auch, daß es einen Interessenskonflikt zwischen der Auslandsführung der Hamas, ihren Vertretern in der palästinensischen Regierung und den bewaffneten Kräften der Radikal-Islamisten gebe, der Israel seit dessen Abzug aus dem Gaza-Streifen mit Kassam-Raketen beschießt: "Die Regierung, der militärische Flügel und das politische Büro, alle verfolgen dieselbe Strategie, nur arbeitet eben jeder entsprechend seinen Aufgaben", sagt Abu Marsuk. Daß Hamas-Ministerpräsident Hanija diplomatischer redet als die Chefs der politischen Leitung im syrischen Exil, und daß die Hamas keine direkte Verantwortung für Gewalttaten übernimmt, zeugt nicht von Differenzen innerhalb der Bewegung, sondern von einer wohlkalkulierten Rollenverteilung.
Die Hamas wird den Staat Israel niemals anerkennen können, ohne ihre Identität zu verlieren. Als islamistische Organisation, die 1987 aus dem palästinensischen Ableger der ägyptischen Muslimbruderschaft hervorgegangen ist, geht es ihr nicht nur um die Errichtung eines palästinensischen Nationalstaats. Für sie ist ganz Palästina heiliges Land des Islam. Die Existenz Israels empfindet sie nicht nur als Unrecht, sondern als Sakrileg.
Wer den jüdischen Staat anerkennt oder ihm gegenüber auch nur Zugeständnisse macht, ist in ihren Augen ein Frevler gegen den allmächtigen Gott, der sein Leben verwirkt hat. In ihrer Charta beruft sie sich in Artikel 32 gar auf die "Protokolle der Weisen von Zion", jener berüchtigten Fälschung der russischen Geheimpolizei vom Ende des 19. Jahrhunderts, die dem Antisemitismus seitdem als Beleg für seine Theorie von der jüdischen Weltverschwörung diente.
Bestenfalls könnte Hamas zu einem taktischen Burgfrieden mit Israel gezwungen werden. Denkbar wäre das nur unter dem Druck einer palästinensischen Bevölkerung, die des Opferkultes ihrer Führer müde wird. So lange die Gegenschläge der israelischen Armee jedoch ihrerseits heftiges Leid über die Zivilbevölkerung bringen, wird wohl das genaue Gegenteil geschehen - Haß und Verzweiflung in Palästina werden weiter wachsen und den Gewaltpropheten des Dschihad neue Rekruten zutreiben.
Artikel erschienen am 2. Juli 2006
Quelle: http://www.wams.de/data/2006/07/02/941774.html
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