Habe mich einige Wochen nicht mehr hier gemeldet und will einige Punkte nachholen. Hm, wo fange ich an…fangen wir mal mit den positiven Dingen an:
Auch in dieser schwierigen Lage gibt es einige Punkte, von denen TUI profitiert: - Der Öl-Preis ist stark gesunken - Man hat ein straffes Kostensenkungsprogramm gestartet, Investitionen zurückgefahren - Man darf aufgrund des Kredites wohl auch erst mal keine Boni mehr an das Management bezahlen, sprich: weitere P&L Einsparungen (für mich zweiseitig, da man gute Leute verlieren könnte und ich glaube, die machen alle momentan einen Höllenjob, wofür die etwas verdient hätten) - Als Großer der Branche sollte man von der Marktbereinigung profitieren wenn kleinere vom Markt verschwinden, das gleiche gilt wenn der Condor Deal platzt (um das klarzustellen: mir wäre es viel lieber wenn all diese Arbeitsplätze dauerhaft in D gesichert werden würden!! Da würde ich lieber auf nen Euro im TUI Kurs verzichten). - Der Deal mit TUI Cruises ist gerade noch rechtzeitig gekommen.
Das liest sich vllt viel, aber auf der Contra-Seite gibt es leider wesentlich mehr und ich verstehe hier einige Foristi nicht, die noch von 12 Euro reden (vom Steve-auf-Speed, der immer alles super-toll findet, will ich gar nicht schreiben). Dass das ganze hier eine für das Unternehmen existenzielle Bedrohung ist und ein Großteil des Geschäftsmodells in Frage steht, scheint nicht bei allen angekommen zu sein. Dass es auch große treffen kann, wurde mit Thomas Cook erst vor kurzem gezeigt.
Bei vielen Unternehmen in der Corona-Krise wird wahrscheinlich ein kurz- bis mittelfristiger Schaden sein, die Leute werden sich zukünftig weiterhin Handys, Brillen, Klamotten, etc. kaufen. Aber mein Depotwert TUI, da stehen für mich große Teile des Geschäftsmodells in Frage. TUI wird sich anpassen, keine Frage, aber auch das wird Geld kosten. Als Beispiel: Fieber-Kontrolle beim Betreten des Kreuzfahrtschiffes, keine Gemeinschafts-Löffel mehr in den Hotel-/Schiffrestaurant (Ausgabe nur durch zusätzliches mit Handschuhen bewaffneten Personals), etc.
Ich muss hier nicht alle Risiken für TUI aufzählen, die sind den meisten bewusst. Vllt nur noch: Touristik-Aktien werden zukünftig immer mit solchen Pandemien und Gerüchten darüber in Verbindung gebracht werden. Fünf Tote mit Lungenentzündung in Wuhan (selbst wenn kein Corona) und die TUI-Aktie schmiert 5% ab? Ich weiß es nicht, kann das aber nicht ausschließen. Weitere Nebeneffekt: EUR/GBP Kurs ist schlecht für TUI gelaufen, Boeing Kompensation wird (kurzfristig) unwahrscheinlicher, die Dividendenrendite als Attraktivität fällt aus, etc.
Im Speziellen noch einige Gedanken zum Kredit von Freitag. Den ich finde ich grundsätzlich positiv und zwar aus den folgenden Gründen: - das Unternehmen kann erst mal überleben (siehe mein o.a. Kommentar) - wäre die Alternative gewesen, dass die Liquiditätsbeschaffung über eine Kapitalerhöhung mit Staatsbeteiligung erfolgt wäre, dann hätte TUI hier 75% der aktuellen Marktkapitalisierung reinholen müssen mit einer signifikanten Verwässerung der Aktionäre. Dann wären die historischen TUI Kurse so gut wie nie wieder zu erreichen gewesen - Dass die Banken hier 360 Mio EUR Kredit beisteuern sehe ich als Zeichen einer positiven Fortführungsperspektive aus Sicht der Banken - Dass die Möglichkeit einer Dividenden-Zahlung vorerst nicht mehr gegeben ist, dürfte nur eine Enttäuschung für diejenigen sein, die den Schuss noch nicht gehört haben. Für mich steht seit Wochen fest, dass Corona einen immensen Schaden in der Bilanz von TUI hinterlässt und dass es einige Jahre dauern wird bis dieser behoben/“ausgeschwitzt“ ist. Soll heißen: schon vor der Kreditmeldung war eine Dividende illusorisch - Nicht vergessen: das ist meinem Verständnis nach eine Kreditlinie, die je nach Bedarf gezogen werden kann; heißt also nicht, dass TUI die sofort zu 100% zieht und Zinsen darauf bezahlen muss. Ich gehe auch davon aus, dass diese als erstes zurückgezahlt werden würde.
Zusammenfassend: ist sehr schade zu sehen, dass ein eigentlich gesundes Unternehmen, das vorher bei 12 Euro notierte und ohne den 737 Max Schaden eher jenseits der 15 Euro hätte notieren sollen, durch zwei externe nicht selbst verschuldete Ereignisse so gefährdet ist. Was in dieser Konstellation ein fairer Kurs wäre, ich habe überhaupt keine Ahnung – könnten 0, 2, 6 oder 10 Euro in einigen Jahren sein. Ich weiß daher auch nicht, ab wann ich hier zukaufen würde und freue mich über Gedanken/Ideen von Euch. Aber hier von einer kurzfristigen Rückkehr zu 12 Euro oder mehr zu fabulieren, ist mMn Wunschdenken. Mein persönliches Risiko-Management hat hier versagt, ich kann mir nur zu Gute halten, dass ich nicht nachgekauft und nur einen geringen Anteil in die Aktie gesteckt habe. Und bei allen Schäden in unseren Depots sollte man nicht vergessen: für uns ist das ein (temporärer) Vermögensrückgang, für Tausende Angestellte von TUI geht es um Job, Existenz und wie die Kinder zukünftig ernährt werden sollen. Denen wünsche ich alles Gute und hoffe, dass das Unternehmen in 1-2 Jahren wieder in ruhigeren Fahrwassern ist.
Sorry für das lange Posting, freue mich über Rückmeldungen.
P.S. Willy, Du kannst Dich noch an mein Posting von vor einigen Wochen erinnern, oder? Damals schrieb ich, dass Boeing statt eine Dividende zu zahlen besser mal eine 10%ige Kapitalerhöhung bei >300 USD machen sollte, um das Unternehmen mit >20 Mrd USD mehr Eigenkapital durch die Krise zu steuern. Vertane Chance und ich verstehe nicht, warum krisenerfahrene Manager solche Fehler begehen. |