04. Mai 2004 Zwei Männer wurden Weltmeister. Beide sind derselbe. Der lustige, brillante Ronnie nahm den Scheck von 250.000 Pfund entgegen. Und grinste mit einem Gruselgebiß, wie man es in Scherzartikelläden erhält; ein kleiner Gruß an Mentor Ray Reardon, den man wegen seiner Zähne einst "Dracula" nannte.
Dann kam der andere Ronnie, der traurige, oft innerlich gelähmte. Er widmete den Sieg seinem Vater. Und vergoß Tränen. Der Vater sitzt seit 1992 eine lebenslängliche Freiheitsstrafe wegen Mordes ab. Auch die Mutter, die den Sohn am Montag abend nach dem WM-Sieg minutenlang herzte, war einst in Haft: ein Jahr wegen Steuerbetrugs, nachdem sie die Pornoläden des Gatten unkorrekt weitergeführt hatte.
Eine "Sinfonie" des Snooker
Ronnie O'Sullivan ist für die Briten eine der faszinierendsten Figuren des Sports: ein Wanderer zwischen den Welten. Zwischen dem Zwielicht des Londoner East End, wo der Vater seltsame Geschäfte betrieb, bis er in einem Nachtklub im Streit einen Mann erstach, und dem Rampenlicht des Snooker, des kommerziell erfolgreichsten Kneipensports der Welt. Zwischen einem einmaligen Talent und einer schwierigen Persönlichkeit. Populär verkürzt: ein Wanderer zwischen Genie und Wahnsinn.
In den letzten 17 Tagen sah man in den täglichen BBC-Live-Sendungen aus Sheffield das Genie, einen, der spielte wie keiner zuvor; der Kommentatoren von einer "Sinfonie" des Snooker schwärmen ließ. Wer dieses unglaublich schwierige, vielschichtige Billardspiel mit 22 Kugeln auf dem Riesentisch je ausprobiert hat, kann die Huldigungen nachvollziehen. O'Sullivan brillierte beispiellos: 13:3 Frames (Partien) im Viertelfinale gegen Anthony Hamilton, 17:4 im Halbfinale gegen den siebenmaligen Weltmeister Stephen Hendry, 18:8 im Finale gegen Graeme Dott. "Das größte Talent, das dieses Spiel je sah", so der "Guardian", "wurde sein größter Champion."
Gutaussehend, charmant, wild, widerlich
Einst das Wunderkind, das schon mit acht Jahren mehr Zeit am Billardtisch als auf der Schulbank verbrachte; das als Teenager alle Rekorde brach; dann der schwierige Popstar des Spiels, gutaussehend, charmant, wild, widerlich; der einen Offiziellen schlug und biß, einen Sieg wegen Marihuanakonsums einbüßte, der, um Gegner zu demütigen, demonstrativ mit der linken, der schwächeren Hand spielte; endlich nun der Meister, ja Klassiker, oder, wie der "Guardian" schrieb, "Snookers Antwort auf Tiger Woods": Die Metamorphose des Ronnie O'Sullivan fasziniert das Publikum. Für die Welt des Snooker, das von blassen Typen nur so wimmelt, ist er unbezahlbar.
Doch es ist keine Einbahnstraße, hin zum Besseren. Schon nach seinem ersten WM-Titel 2001 fiel O'Sullivan in eine Depression, die ihn mit 25 am Ende seiner Karriere erscheinen ließ. "Vielleicht fasse ich nie wieder ein Queue an", sagte er, sprach von seinem "Haß" aufs Spiel - und kam zurück, getrieben, unberechenbar wie je. Schon früh hatten sie ihn "Rocket" genannt, Rakete. Er spielte atemraubend schnell und brillant, schaffte bei der WM 1997 ein Maximum-Break von 147 Punkten, also 37 versenkte Kugeln, in 5:20 Minuten - eine Rakete, die vor Ungeduld auszubrennen drohte.
Depressionen und Angstattacken
Schon als Jungprofi hatte O'Sullivan, früh vom Vater auf Snooker geeicht, Anzeichen für das Monomanische und Selbstverzehrende, das Ungeduldige und Labile gezeigt, das zunehmend Weltklassesportler in seelische Grenzgebiete bringt. Von Kindesbeinen an auf Erfolg in einem einzigen Ausschnitt der Welt fixiert, kommt mancher mit dem Rest der Welt und der eigenen Persönlichkeit nicht klar. O'Sullivan erlitt Depressionen, Angstattacken, suchte Hilfe in Psychoanalyse, Hypnose, Antidepressiva, ging für einen Monat ins Kloster. Nur mühsam fand er eine Balance. So spielt er nun, um der inneren Isolation der Billard-Perfektion zu entkommen, die er in Tagen der Obsession bis zu zwanzig Stunden am Tisch suchte, lieber geselligen Fußball als einsames Golf.
Spiel- und Lebenshilfe kam von Ray Reardon, den O'Sullivan senior vor vier Monaten aus seinem Gefängnis auf der Isle of Sheppey in Kent anrief. Der Junge brauche "jemanden, der nach ihm schaut". Der 71jährige Rentner, einst sechsmaliger Weltmeister, willigte ein. Und half dem Junior mit Humor und Lebensweisheit, Motto: Es ist nur ein Spiel. Er erzählte vom Leben, vom richtigen, von dem, das nicht im Karree bunter Kugeln stattfindet. Davon, daß er als Bergmann verschüttet und fast tot war, lange bevor er auch nur einen Penny mit Snooker verdiente.
O'Sullivan, der den gleichaltrigen, aus der gleichen Gegend kommenden David Beckham schon als Jugendlichen kannte, aber anders als der Fußballstar Glamour haßt und zu seinen Abgründen steht, genoß die Gesellschaft des Alten: "Ich glaube, ich kann noch viel besser werden, nicht nur im Snooker, auch im Leben." Der Billardmeister als Lebenslehrling, er findet Antwort auf die große Frage im Leben eines labilen Genies: "Was ist Druck? Nur ein Gefühl, das du in deinem Kopf erschaffst."
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.05.2004 / Nr. 103
Bildmaterial: AP , AP
da kann man nur gewinnen.
21.04.2005 13:18Einzel Ronnie O'Sullivan (ENG) - Alistair Carter (ENG) (Wie viele Frames werden im Spiel gespielt?)Weniger als 19,5-20.001.90- 21.04.2005 13:17Einzel Ronnie O'Sullivan (ENG) - Alistair Carter (ENG) (Wer gewinnt die 1. Session?/Wer gewinnt das Spiel?)Spieler 1/Spieler 1-20.001.60- 21.04.2005 13:17Einzel Ronnie O'Sullivan (ENG) - Alistair Carter (ENG) (Wem gelingt das höchste Break im Spiel?)O'Sullivan-20.001.40- 21.04.2005 13:17Einzel Ronnie O'Sullivan (ENG) - Alistair Carter (ENG) (Wie hoch wird das höchste Break im Spiel sein?)Mehr als 130-20.002.30-