Der Ölpreis ist in diesem Jahr aus vielen Gründen gestiegen: Die weltweite Nachfrage steigt um geschätzte 2,4 % (aufs Jahr hochgerechnet), was deutlich über dem durchschnittlichen Anstieg des letzten Jahrzehnts liegt (+1,7 %). Die weltweiten Überkapazitäten sind fast verschwunden. Hinzu kommen die Terrordrohungen im Irak und sonst wo. Die haben zu einer Risikoprämie beim Öl geführt, die einige mit 5 bis 10 Dollar je Barrel quantifizieren. Dann gibt es da noch eine Spekulationsprämie. Wie bei jedem Markt der letzten Jahre üben Hedgefonds und andere Spekulanten starke, wenn nicht dominierende, Einflüsse aus, die beim Ölpreis für 3 bis 9 Dollar je Barrel verantwortlich sein könnten.
Jeder Dollar Ölpreiserhöhung kostet die amerikanische Volkswirtschaft beim derzeitigen Konsum rund 7,5 Milliarden Dollar pro Jahr. Wenn der Ölpreis also 20 Dollar über dem Niveau liegt, dass er ohne Terrorismus und Hedgefonds hätte, dann bedeutet das eine implizite Extrasteuer von 150 Milliarden Dollar jährlich, was 1,4 % der Wirtschaftsleistung entspricht. Wenn man die Preis Heraufsetzungen bedenkt - denn Rohöl wird bei zahlreichen Produkten verwendet und an den Endnutzer verkauft - dann liegen die erhöhten Kosten wahrscheinlich eher bei 2 % der Wirtschaftsleistung.
Man kann es auch aus einer anderen Perspektive sehen: Die steigenden Energiekosten haben die Inflationsrate in den letzten 12 Monaten um 1 % steigen lassen. Deshalb ist die Kaufkraft der Konsumenten um 1 % zurückgegangen.
Zusätzlich zu der Befürchtung, dass der jüngste Anstieg des Ölpreises das US-Wirtschaftswachstum dämpfen wird, kommt die Sorge, dass die teuren Energiepreise ewig weiter bestehen werden. Andere wiederum denken, dass die weltweite Produktion in einem Jahrzehnt oder so ohnehin ihren Höhepunkt überschritten haben wird.
Denn diese Leute denken, dass keine großen, wirtschaftlich nutzbaren Ölfeldern mehr gefunden werden können. Und sie denken nicht, dass Erdgas, Erdölschiefer in Alberta, Kohle, Wasserenergie, Atomenergie, Wind, Geothermik, Solar- oder Biomassen-Energie, etc. das Erdöl wirklich ersetzen können.
Ich glaube, dass dieser Ausblick zu pessimistisch ist. Kontinuierliche technologische Verbesserungen ermöglichen das Entdecken von großen neuen Ölvorkommen, und sie ermöglichen wahrscheinlich eine erhöhte Produktion bei den bestehenden. Und sicherlich werden auch die Energiequellen außerhalb des Rohöls ausgebeutet werden.
Und die Ölnachfrage steigt langsamer als das reale Wirtschaftswachstum der Welt, und im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt geht der Ölverbrauch zurück. Das ist natürlich einer größeren Effizienz beim Energieverbrauch zu verdanken. Es ist auch der Tatsache zu verdanken, dass in entwickelten Volkswirtschaften das Wirtschaftswachstum größtenteils dem wachsenden Dienstleistungssektor und nicht dem produzierenden Gewerbe - das Öl braucht - zu verdanken ist. Diese Kräfte werden weiter bestehen, und sie werden sich wahrscheinlich intensivieren.
Ein letzter Faktor, der bedacht werden sollte, ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Ölpreis deutlich fallen wird. Und er ist Ende August gefallen, bis in den September hinein. Die Tatsache, dass der danach folgende schnelle Preisanstieg und das hohe Niveau heute überall in den Medien breit getreten werden, spricht dafür, dass wir uns in der Nähe eines Topps befinden. Dafür spricht auch die Entscheidung vieler globaler Banken, in ihrem normalen Herdendenken, sich jetzt mit Öl-Traden und Absicherungsgeschäften zu befassen.
Werden sich diese positiven und negativen Faktoren gegenseitig aufheben? Wird der jüngste Ölpreisanstieg für die US-Wirtschaft und den Rest der Welt wenig Signifikanz haben? Oder werden die negativen Faktoren die Oberhand behalten und das Wirtschaftswachstum ernsthaft stören?
Es ist ja nicht so, dass die Ölproduzenten durch den hohen Ölpreis nicht zu einer Erhöhung ihrer Kapazitäten angespornt würden. Trotz des Widerwillens der großen westlichen Erdölriesen. Die Zahl der Probebohrungen in Nordamerika, dem Mittleren Osten und der ehemaligen Sowjetunion steigt. Kuwait könnte bald ausländischen Erdölgesellschaften erlauben, im kuwaitischen Erdölsektor zu investieren. Das würde Druck auf andere Produzenten im Mittleren Osten ausüben, diesem Beispiel zu folgen. Die Saudis haben Pläne, die Produktion auf 12 Millionen Barrel je Tag zu erhöhen, oder sogar 15 Millionen - von aktuell 10,5 Millionen. Besonders Russland will seine Ölproduktion erhöhen, denn die Ölexporte sind die Basis des aktuellen russischen Wirtschaftswachstums, und die primäre Quelle für Devisen.
Wenn die US-Wirtschaft heute in einer starken Verfassung ist, dann wird der Ölpreisanstieg wahrscheinlich nicht genug sein, um die Aktivität nennenswert einbrechen zu lassen. Aber das ist nicht der Fall. Ironischerweise wird der Ölpreis wahrscheinlich innerhalb der nächsten 12 Monate oder so substanziell fallen, aber nur deshalb, weil die Nachfrage aufgrund einer Wachstumsschwäche in den USA und in anderen Ländern zurückgehen wird.
Grund zur Sorge bereiten auch der unter Druck stehende US-Konsument, das globale Kapazitäts-Überangebot, die Zinserhöhungen der Fed, die hohen Energiepreisen, der schwache Aktienmarkt und die Unsicherheit über die Präsidentschaftswahlen. Fast immer ist das schließliche Ergebnis einer solchen Kombination eine Rezession.
Das Fazit ist dann, dass der jüngste Ölpreisanstieg für die Welt nicht annähernd so zerstörerisch ist wie die früheren Ölschocks, besonders die der 1970er. Nichtsdestotrotz kann die "Steuer", die die Energie exportierenden Länder von den amerikanischen Energieverbrauchern kassieren, groß genug sein, um eine Rezession in den USA beginnen zu lassen - da es schon genug andere Belastungsfaktoren gibt -, die sich dann weltweit ausbreiten würde. Besonders dann, wenn China eine sogenannte "harte Landung" haben würde. Das wäre das sechste Mal, dass ein Anstieg des Ölpreises eine amerikanische Rezession begründen würde. |