+++++++++++++++++ Die Photovoltaik überstrahlt den Osten
Von Christian Geinitz Die vergangene Woche war eine der schwärzesten in der noch jungen Geschichte der Solarindustrie. Der Hamburger Sonnenkonzern Conergy - mit 750 Millionen Euro Umsatz und 2500 Mitarbeitern die größte Solargruppe Europas - musste eingestehen, das Geschäftsjahr vermutlich mit einem Verlust abzuschließen. Daraufhin brach der Aktienkurs um ein Drittel ein und zog den Tec-Dax mit sich in die Tiefe. 5 der 30 Titel in dem Technologieindex gehören zur Photovoltaik, und sie vereinigen fast 30 Prozent der Gewichtung auf sich. Doch der Spuk währte nur kurz. Conergy-Aktien gaben zwar weiter nach, die anderen Unternehmen steckten das Zwischentief aber schnell weg, darunter der zweitgrößte Zellenhersteller der Welt, Q-Cells aus Sachsen-Anhalt.
Die Bonner Solarworld, der Modulhersteller Solon aus Berlin sowie Ersol, ein Erfurter Hersteller von Siliziumscheiben (Wafern) und Solarzellen, schafften sogar Rekordstände. Die unterschiedliche Entwicklung illustriert, dass die Branche schon lange kein einheitlicher Block mehr ist und dass Größe allein am Markt nicht ausreicht. Conergy, das auch in die Windkraft eingestiegen ist, sei zu schnell gewachsen, habe sich verzettelt und finanziell überhoben, heißt es in jenen Banken, die jetzt den Verkauf der Papiere empfehlen. Das Unternehmen selbst gesteht ein, dass wichtige Zulieferungen ausgeblieben seien und man deshalb nicht wie geplant wachsen könne. Tatsächlich zeigen die Einbußen nicht eine Schwäche des Marktes an, sondern sein ungebremstes Wachstum: Abgestraft wird, wer mit der Entwicklung nicht Schritt halten kann. Erfolgreich ist, wer sich weite Teile der Wertschöpfung sichert, sei es durch Beteiligungen oder längerfristige Lieferverträge.
Silizium wir knapp
Die Kette beginnt bei dem knapp gewordenen Rohstoff Silizium und verläuft über die Wafer-, Zellen- und Modulherstellung bis zur fertigen Solaranlage. Weitsichtige Anbieter decken die wichtigsten Schritte ab und investieren in die siliziumsparende Dünnschichttechnik - so Q-Cells mit EverQ, CSG Solar, Calyxo und Brillant234 am gemeinsamen Standort Wolfen bei Bitterfeld. Solon hat nicht nur einen milliardenschweren Liefervertrag mit Ersol geschlossen, sondern sich auch am Elektronikdienstleister ML&S in Greifswald beteiligt, wo man eine neue Modulfabrik baut. Einer der am weitesten integrierten Konzerne ist Solarworld, das im sächsischen Freiberg Silizium, Wafer, Zellen und Module herstellt. Der Mainzer Spezialglashersteller Schott schlägt einen ähnlichen Weg ein - und auch er tut dies in den neuen Bundesländern. In Kürze beginnt die Serienfertigung von Dünnschicht-Solarmodulen am Schott-Gründungsstandort Jena. Ebenfalls dort haben zu Wochenbeginn Schott und die Münchner Wacker Chemie den Grundstein für ein gemeinsames, 300 Millionen Euro teures Wafer-Werk mit 600 Mitarbeitern gelegt. Bis 2012 will die Wacker Schott Solar GmbH zum fünftgrößten Solarwaferhersteller der Welt aufsteigen.
Es fällt auf, dass die Photovoltaik in den neuen Ländern besonders stark wächst. Nach Angaben des Bundesverbands Solarwirtschaft (BSW) wird hier rund die Hälfte des deutschen Jahresumsatzes von 3 Milliarden Euro erwirtschaftet. Derzeit investiere die Branche mehr als eine Milliarde Euro; darunter in 15 neue Solarfabriken, von denen die meisten in Ostdeutschland entstehen. Gerade hat Q-Cells die größte europäische Fertigungslinie für Solarzellen eröffnet. Ersol folgt mit einer zweiten Fabrik am 16. November. Conergy fährt in der ehemaligen Chipfabrik in Frankfurt (Oder) eine der modernsten Modulfertigungen der Welt hoch, in der Nachbarschaft sind die Zellenhersteller First Solar und Odersun schon in Betrieb.
Hohe Subventionen
Einen ähnlichen Schub meldet Sachsen, wo zuletzt der Zellenproduzent Arise und der Modulfertiger Sunfilm ihre Fabrikbauten begannen. Selbst Berlin versteht sich als „Solarpolis“, nachdem die Neugründung Inventux ankündigte, dort Dünnschichtmodule fertigen zu wollen. Als „Solar Valley“ fühlt sich auch Sachsen-Anhalt. Wirtschaftsminister Reiner Haseloff (CDU) wirbt damit, dass 10 Prozent aller Solaranlagen mit heimischen Teilen bestückt seien. Entlang der Adresse „Sonnenallee“ rund um Q-Cells arbeiteten 2500 Personen. Immer wieder heißt es, vor allem die verfügbaren und hochqualifizierten Arbeitskräfte sprächen für den Osten. So profitierten die Wolfener von den Beschichtern, Ingenieuren und Facharbeitern des ehemaligen Orwo-Film- und Chemiestandorts.
Wichtiger freilich dürften die Geldgeschenke sein. Über die Investitionszulage, die GA-Förderung und andere Beihilfen können sich die Unternehmen bis zur Hälfte ihrer Investitionen vom Steuerzahler finanzieren lassen. Bei First Solar sind es 45,5 von 115 Millionen Euro, bei Conergy 40 von 250 Millionen. Auf diese Weise fließen Millionen in Unternehmen, die zu den profitabelsten Aktiengesellschaften und den größten Kursgewinnern zählen. Solarworld oder Q-Cells erzielen Ebit-Margen von mehr als 20 Prozent; ihre Aktienkurse haben sich vervielfacht. Hinzu kommen die Privilegien aus der Förderung der regenerativen Stromerzeugung: Denn die große Nachfrage nach Solarzellen wird vor allem durch Quersubventionen aus einer Stromkostenumlage für alle Verbraucher vorangetrieben. Ohne diese Hilfe des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), das stellte Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) kürzlich bei Q-Cells klar, sei die Photovoltaik nicht wettbewerbsfähig.
Die mehrfach gepäppelte Solarbranche in Ostdeutschland macht sich Hoffnungen auf einen weiteren Geldsegen. Sie will an dem „Spitzencluster-Wettbewerb“ von Glos' Ministerium teilnehmen. Daraus soll die Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft an fünf Standorten prämiert werden - mit insgesamt 200 Millionen Euro. Schon jetzt kann die Wirtschaftsinitiative für Mitteldeutschland damit werben, die wichtigste internationale Cluster-Konferenz nach Leipzig gelockt zu haben, die um den 9. November 2009 herum abgehalten wird.
Text: F.A.Z., 03.11.2007, Nr. 256 / Seite 22 ++++++++++++++++
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