Dies ist mir schon seit Längerem ein Bedürfnis, denn es ist mir zu viel vereinfachendes und verschwörendes Denken in manchen Posts, z.B. immer alles auf die LVs zu schieben oder auf die großen Indizes oder auf die Politik. Die sind alle mitschuldig (pos. wie neg.) an Kursverläufen, aber das meiste ist von der fundamentalen Perspektive zu erklären.
Leerverkäufer gehen nie eine unbegründete Position ein. Sie spekulieren zwar auf sinkende Kurse, aber vorher plausibilisieren sie es sich ja. Und so wie man z.B. Südzucker oder Freenet gut shorten konnte, weil beim einen der Zuckerpreis nun "politisch freigelassen wurde" und beim anderen Unsicherheit darüber herrscht, wie man an den 5G-Frequenzen beteiligt wird, ist es auch bei Aurelius: Die haben frühzeitig angekündigt, dass dieses Jahr ein Übergangsjahr wird. D.h., auf der Exitseite wird es eher mau aussehen, und zwar in Verkaufsanzahl wie Verkaufserlösen. Das ist natürlich eine willkommende Einladung für Leerverkäufer. Hinzu kommen Aussagen von Externen, die immer wieder an die Short-Attacke vom 2017 erinnern. Diese "Vorbelastung" gab es in den stets steigenden Kursverläufen bis 2017 nicht und bis dato wurden auch die einzelnen NAV-Werte angegeben. Man kann die sich zwar weiterhin grob zusammenrechnen, aber die Mühe dazu machen sich ja die wenigsten. Ein wichtiger Orientierungspunkt (und Beruhigungspille) früherer Zeiten ging also verloren. Zudem gibt es einen bedauernswerten Sockel an KGV-Gläubigen, die vom NAV nichts gehört haben und sich damit nicht auskennen, noch auskennen wollen. Sollte man aber, denn wenn nicht, stiftet er Verwirrung. Im Frühjahr vor der Dividende gab es hier im Forum eine ganze Horde von Usern, die zum Kauf rieten, weil das KGV so niedrig sei. Vom NAV her waren Kursen >= 60 € nie zu rechtfertigen. Sagte man dies, wurde man direkt angefeindet. Ein Schelm, wer da eine Masche witter ;-)
Es ist ja so, dass die Neuerwerbe zeitverzögert Eingang in den NAV finden. Zunächst mit den Anschaffungskosten, dann nach 6 Monaten erstmals vollkonsolidiert (also auch mit einem Wert, den man als Verkaufspreis realisierbar hält) und während der 5 bis 7-jährigen Unternehmenszugehörigkeit wird regelmäßig erhöht oder verringert, je nach Geschäftsentwicklung der Beteiligung. Und je nach Kaufdatum tauchen die Kaufpreise und NAV-Ansätze mal im Halbjahresbericht auf oder im Jahresbericht und nie alleine auf. Dass macht es dann nochmals schwieriger, ihren Beitrag zum NAV nachzuhalten. Gleichzeitig fallen Restrukturierungsaufwendungen an, die das Cash verringern. Dividendenzahlungen verringern Cash ebenso, wie Zins- und Tilgungszahlungen, ggf. kommen Abschreibungen auf die eigenen Aktien hinzu. So etwas kann nicht in derselben Geschwindigkeit von den Neuerwerben kompensiert werden. Beim Exit hingegen ist das Missverhältnis nicht so stark gegeben. Da wandert der Exiterlös aus dem NAV des Portfolios fast deckungsgleich auf die Cashseite und verbleibt somit erstmal noch einige Zeit (auf jeden Fall bis zur nächsten HV) im Unternehmen. Dauert es aber lange, bis es zu einem Exit kommt, sinkt der NAV weiter und weiter und es scheint dann so, als ob etwas faul sein müsste. Aber das ist ein Trugschluss: Dem Unternehmen geht nach wie vor gut, obwohl sich der NAV vom einstigen Hoch um 9-stellige Beträge verringerte. Und das Management kann und darf ja auch nie konkrete Aussagen tätigen, wann und in welcher Höhe in Zukunft gekauft und verkauft werden kann. Das macht es für ungeduldige Anleger unerträglich.
Wer also Aureliusaktien kauft, sollte das Geschäftsmodell wirklich gut verstehen und die Lage gut einschätzen können, um die Trockenperiode zwischen Sähen und Ernten auszuhalten.
Aurelius' Kurs ist ein klassischer Dividendenkurs. Er verläuft gemächlich, wie es andere Dividendenwerte auch tun, hat aber leider weniger Voraussehbarkeit wie z.B. Telekommunikationsfirmen. Dafür fällt die Dividende aber auch noch üppiger aus. Und während der Kurs von Freenet und anderen klassischen Dividendenwerten fällt, weil es operative Probleme geben könnte, kann bei Aurelius der Kurs fallen, obwohl es es dem Business blendend geht. Nie zuvor hatte Aurelius so viele Unternehmen im Portfolio, die für 9-stellige Beträge weggehen könnten. Noch nie waren so viele Unternehmen in der Wachstums- und Reifephase (zumindest ab 2019).
Und solange man selbst keine Liquiditätsprobleme hat und es bei Aurelius operativ gut läuft, halte ich sinkende Kurse für Kaufkurse. Normale Leerverkäufe sind mir egal (die kaufen ja irgendwann auch wieder zurück), das Kurszucken auf politische Äußerungen ebenso sowie die Spirale bei Fonds und ETFs a la "Kurse fallen, ich muss verkaufen, Kurse fallen dadurch weiter, ich muss noch mehr verkaufen, usw.). |