Mai 2001: Ein nagelneuer Porsche 911 schwebt an einem Kran 50 Meter hoch über dem Potsdamer Platz. Es ist ein Dotcom-Crash der anderen Art, mit dem der Berliner Mobile-Marketing-Anbieter Yoc (kurz für Your Opinion Counts) auf dem deutschen Werbemarkt aufschlägt. 78.000 User stimmen per Handy ab: Cash oder Crash? Wird der Sportflitzer auf dem Boden zerbersten oder per Gewinnspiel verlost? Am Ende siegt Schadenfreude über Gier. Der 140.000-D-Mark-Männertraum zerschellt am 5. Mai auf dem Pflaster. 52 Prozent der Nutzer hatten für den Akt der Zerstörung votiert.
Crash bringt Cash
Eine Launchkampagne, die den Yoc-Gründern Dirk Kraus und Patrick Chaillié zu gewaltiger Popularität verhilft. Die „Bild“- Zeitung, Boulevard-Magazine wie „Explosiv“, selbst der Newskanal CNN berichten über das Schrott-Happening. Millionen Menschen im ganzen Land wissen plötzlich, dass ihre Handys nicht nur zum Telefonieren dienen. Und auch die Werbekundschaft wird hellhörig. Große Markenartikler, Pepsi, Procter & Gamble, Müller Milch – sie alle setzen plötzlich auf SMSMarketing. Das Unternehmen wächst und gedeiht, Niederlassungen in Wien, London, Madrid und Paris kommen hinzu, 2006 wagen die Berliner den Sprung an die Börse. Mit dem Aufkauf des Technologiedienstleisters Sevenval 2007 und der Gründung des Affiliate-Netzwerks Belboon diversifiziert Yoc in weitere Geschäftsfelder. 2010 schnellt der Kurs auf über 39 Euro, 2013 fällt er dann unter einen Euro. Yoc tanzt auf zu vielen Hochzeiten, gerät ins Schleudern: Dirk Kraus war bereits Ende 2012 – nicht ganz freiwillig – von Bord gegangen, um vom Aufsichtsrat durch seinen Kompagnon Dirk Freytag ersetzt zu werden. Man war sich über die künftige Ausrichtung des Unternehmens uneins. Im Juli 2013 geht Sevenval für 6,5 Millionen Euro an deren Gründer Jan Webering zurück – weit unter Wert, zu lange war der Verkauf verschleppt worden. Ende 2013 dann erneut ein Bäumchen-wechsel-dich: Der Yoc-Aufsichtsrat holt Kraus zurück, Freytag geht. Gläubiger und Aktionäre sind irritiert. Kreditlinien sollen gekündigt werden. Yoc steht kurz vor der Insolvenz. Anfang 2015 können die rund 70 Beschäftigten aufatmen. Kraus ist zuversichtlich: „Wir haben momentan eine gute Ausgangssituation für Investoren. Die finanzielle Situation ist geklärt, das Geschäft zieht wieder an. Für gewöhnlich zieht dann auch der Aktienkurs nach.“ Momentan pendelt er sich um die 2-Euro-Marke ein. 2014 machte Yoc mit Mobile Advertising rund 10 Millionen Umsatz, nächstes Jahr soll es deutlich mehr werden. Kraus rechnet mit zweistelligen Wachstumsraten. Man habe allerdings ein hartes Jahr hinter sich, gibt der Yoc-Gründer zu, dem die Rettung seines Babys schon allein deswegen ein Anliegen ist, weil neben Herzblut auch eigenes Vermögen im Unternehmen steckt. Im vierten Quartal 2014 habe das negative Ebitda „nur“ 300.000 Euro betragen. Zum Vergleich: In den ersten drei Quartalen 2013 machte Yoc durchschnittlich zwei Millionen Euro Verlust. Damit sei man schon ganz nah am Ziel, betont Kraus: „Unserer Planung zufolge erreichen wir im vierten Quartal 2015 die schwarze Null, ab 2016 wird das Unternehmen auf Gesamtbasis schwarze Zahlen schreiben.“ Besonders stolz ist Kraus aber auf seine Personalpolitik. „Yoc hatte in 2012/2013 viele personelle Abgänge. Meine Strategie war, die guten Leute zurückzuholen und gute Leute, die gehen wollten, zu halten.“ Die Rückkehr von Führungskräften wie Jan Gräwen als Country Manager Deutschland oder Bernd Speicher als Head of Business Development sieht Kraus als vertrauensbildendes Maßnahme im Markt. Dazu kamen Restrukturierungen, Verhandlungen mit Gläubigern und harte Kosteneinsparungen, die Yoc in Summe positive Eigenkapitaleffekte von 6,1 Millionen Euro sowie Cash-Effekte in Höhe von 4,5 Millionen einbrachten. Einer der wichtigsten Schritte: der Verkauf von Belboon. Im Juli 2014 wurde die Affiliate- Tochter an die Münchner Beteiligungsgesellschaft Arcus Capital AG veräußert – zur Behebung kurzfristige Liquiditätsprobleme, so die Vermutung von Analysten, um sich künftig auf die Kernkompetenz Mobile Advertising zu fokussieren, so die offizielle Begründung.
Investition in Programmatic
„In einem Markt, der so schnell wächst und sich so schnell verändert, darf man sich nicht in zu vielen Geschäftsfeldern verzetteln“, sagt Kraus. „Man kann nicht ein Affiliate-Netzwerk wie Belboon zum Wachsen bringen, sich parallel um den Bereich Mobile Technology kümmern und dann zeitgleich auch noch Mobile Advertising aufbauen. Sonst wird man immer schwächer sein als die Wettbewerber, die sich auf einen Bereich konzentrieren.“ Die Veräußerungserlöse für Belboon fließen laut Kraus direkt in die Entwicklung neuer Produkte. „Wir wollen die Positionierung von Yoc als Mobile-Programmatic- Spezialisten vorantreiben.“ Dazu zählt die Etablierung von Private Marketplaces (PMP) und der Launch von Yoc Programmatic Data Targeting zur datenbasierten Zielgruppenansprache für Werbungtreibende. Publisher und Advertiser können über PMPs fest definiertes Inventar zu festgelegten Konditionen handeln. In Großbritannien hat Yoc seine über Trading Desks etablierten Private Marketplaces im August letzten Jahres gestartet. Jetzt ziehen die Berliner auf dem deutschen Markt nach. Für das erste Quartal 2015 ist der Launch eines Publisher-Frontends geplant, der den beteiligten Partnern Einblick in ihre Echtzeitbuchungen geben soll. Auch ein Reporting Tool für die Advertiser ist in Vorbereitung. „Klassisches Mobile Advertising bleibt ein wichtiger Teil unseres Business“, unterstreicht Kraus. „Programmatic wird jedoch sehr stark wachsen, wir werden damit in absehbarer Zeit die Hälfte des Umsatzes erzielen.“ Bereits 2015, so seine Schätzung, wird der automatisierte Handel rund 20 Prozent des Umsatzes ausmachen. „Für uns ist das eine Riesenchance, wieder eine innovative, führende Rolle in der Industrie einzunehmen“, glaubt Kraus. „Die Marke Yoc genießt nach wie vor eine hohe Reputation und wird schon seit über einem Jahrzehnt mit der Rolle des Vorreiters assoziiert“ – einem Vorreiter, der mit dem Crash eines Porsche 911 Furore machte und den Crash des Unternehmens vielleicht gerade noch rechtzeitig zu verhindern wusste.
Quelle: INTERNET WORLD Business
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