Der Greenspan-Put WiWo nr. 34 / S.96ff Was kommt nach dem Kreditchaos, das Alan Greenspan, der Ex-Chef der amerikanischen Notenbank, hinterlassen hat? Viele werden noch bluten. <!-- Ausgabe darf nicht leer sein! --> Wie besorgt sollte man sein? Nun, das hängt natürlich davon ab, ob man mit unerschütterlichem Frohsinn und Optimismus gesegnet ist oder das Pech hat, ein eher empfindsames Wesen zu sein. Wir haben uns wegen des Unheils, das sich auf dem Kreditmarkt zusammenbraut, jedenfalls dermaßen Sorgen gemacht, dass wir nicht imstande waren, uns auf das historisch wirklich bedeutende Ereignis der Woche – wenn nicht des Jahres oder gar des Jahrhunderts – zu konzentrieren: Barry Bonds ist im US-Baseball sein 756. Home- run gelungen. Mit diesem unvergesslichen Four Bagger, wie ein Homerun auch genannt wird, übertraf Bonds nicht nur den alten Rekord von Hank Aarons. Er bewies damit auch sein Talent und seine unerschütterliche Hingabe an sein Handwerk, ein sauberes Leben und Steroide – wenn auch nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Aber was hatte uns in einen solchen Zustand höchster Nervosität versetzt? Es war die Aussicht, die Gesellschaft der Besitzenden – jene wunderbare Vision und herausragende innenpolitische Leistung George W. Bushs – könnte sich vor unseren entsetzten Augen in eine Gesellschaft der Zahlungsunfähigen verwandeln. Eine derartige Vorstellung lässt wohl jedem mit Ausnahme der Berufsoptimisten an der Wall Street die Haare zu Berge stehen. Nervös zu sein heißt aber noch nicht, kein Mitleid empfinden zu können. Während wir zusahen, wie sich das von den Finanzingenieuren konstruierte verworrene Gespinst aufdröselte, mussten wir daran denken, wie extrem unbehaglich sich wohl Alan Greenspan fühlen musste. Dieser exzellente Diener des Staates hatte sich schließlich während seiner gefeierten Amtszeit an der Spitze der US-Notenbank (Fed) mehr als sonst jemand Verdienste um die Förderung der Gesellschaft der Besitzenden erworben. DAMIT ES NICHT IN VERGESSENHEIT GERÄT: Es war Greenspan, der mehr als sein Scherflein dazu beitrug, Leute ungeachtet ihrer finanziellen Verhältnisse zum Kauf eines Eigenheims zu ermutigen. Dazu ließ er die Kreditkosten so nahe gegen null sinken, wie sich gerade noch rational begründen ließ, und legte ihnen nahe, eine jener neu konzipierten variablen Hypotheken mit zu Beginn trügerisch niedrigen Zinsen zu nutzen. Was Greenspan auszeichnete, war nicht nur sein Geschick, eine Abfolge „intelligenter Blasen“ stets so zu erzeugen, dass die jeweils jüngste (wie die Immobilienblase) den von ihrer geplatzten Vorgängerin (der Börsenblase) angerichteten Schaden ausgleichen konnte. Es war auch seine Fähigkeit, sich die Gunst seiner politischen Herren zu sichern (er wollte vor allem immer geliebt werden). Nach seinem langen Dienst bei der Fed wusste Greenspan dann auch noch mit der Wahl des Zeitpunktes für sein Ausscheiden aus diesem erhabenen Gremium zu beeindrucken. Wie sein Nachfolger, der nette Ben Bernanke, nun zweifellos zu seinem Schmerz erkennen muss, ist ein Schlamassel einfach herzustellen. Man muss nur wissen, wann es Zeit ist, sich davonzuschleichen und die Aufräumarbeiten einem anderen zu überlassen. In dieser Beziehung hat sich Greenspan als unbestrittener Meister erwiesen. FINANZPOLITISCHER UNFUG dieses Umfangs kann natürlich niemals das Werk eines Einzelnen sein. Man muss nicht extra erwähnen, dass Greenspan an der Wall Street, in Washington und an weiteren Orten im Norden, Süden und Westen tüchtige Helfer zur Seite standen. Aber das mindert nicht im Mindesten seine Verantwortung. Für die Geringschätzung des Risikos, die die enormen Extravaganzen auf den Häuser- und Finanzmärkten erst ermöglichte und die auf dem Vertrauen beruhte, Greenspan werde den Marktteilnehmern notfalls schon zu Hilfe eilen, wurde ein hübscher, eigener Terminus geprägt: der Greenspan-Put. Aber auch der aktuelle Zusammenbruch der Wohnbau- und Finanzmärkte verdient eine eigene Bezeichnung, die seinen Beitrag angemessen würdigt. Wie wäre es mit „Greenspan kaputt“. Präsident Bush bemühte sich jedenfalls, die angeschlagenen Finanzmärkte zu beruhigen und dem Volk zu versichern, alles sei in bester Ordnung. Dazu sind Präsidenten ja da. Uns dünkt jedoch, er dürfte beunruhigend viel gelobt haben: Nachdem er am vorvergangenen Mittwoch sein volles Vertrauen in die fundamentale Stärke der US-Wirtschaft erklärt hatte, wiederholte er dieselbe Botschaft mit gleicher Eindringlichkeit noch einmal am Donnerstag. Irgendjemand muss es offenbar versäumt haben, Bush auf die ganz offensichtlichen Ängste der Zentralbanken hinzuweisen: Diese befürchten, die Liquidität könnte gänzlich versickern, sollte sich die Hypothekenkrise über den gesamten Erdball ausbreiten. Die Europäische Zentralbank, der Spekulation sonst nicht hold, beschloss, unschuldig in Not geratenen Banken mit insgesamt etwa 130 Milliarden Dollar zum normalen Kreditzinssatz auszuhelfen und schob zur Sicherheit bis Ende der vergangenen Woche noch einmal 83,9 Milliarden Dollar nach. Das nährte Gerüchte, eine große deutsche oder französische Bank könnte sich in Schwierigkeiten befinden. Auch unsere geliebte Fed verpasste dem System kräftige Geldspritzen. TROTZ SEINER BESCHWORENEN Entschlossenheit, sich auf die Bekämpfung der Inflation zu konzentrieren, wird Greenspans Nachfolger Bernanke nun wohl früher, als noch vor einigen Tagen zu erwarten war, die Zinsen senken. Zumindest falls sich – was zu vermuten ist – die Kreditkrise verschärft. Damit könnte man wohl den Jammer über die Kredite von den Titelseiten wegbekommen und den Finanzmärkten etwas Aufwind verschaffen. Doch ist keineswegs ausgemacht, dass das Problem mit diesem Zauberstab nachhaltig zu lösen ist. Was fehlt, kann nur durch eine alles zusammenziehende finanz- und geldpolitische Arznei geheilt werden. Und diese sind unsere hohen Tiere weder geneigt zu verschreiben noch gar zu verabreichen. Marc Faber, unser guter alter Freund, Investmentguru, Verfasser des stets informativen und aufschlussreichen „Gloom, Boom & Doom Reports“ sowie hochgeschätztes Mitglied des „Barron’s“-Roundtables, hat zu den Turbulenzen auf den Kapitalmärkten Relevantes und Scharfsinniges zu bemerken. Faber kommt unserer Vorstellung eines echten globalen Investors wohl am nächsten. Er hatte den Charme der Schwellenmärkte schon lange vor der Prägung dieses Begriffs entdeckt. In seiner Betrachtung der gegenwärtigen Investmentlandschaft und der dank des Zerfalls der Subprime-Immobilienkredite dort stattfindenden Eruptionen erinnert er daran, dass im Jahr 2000, als der Nasdaq die Talfahrt begann, die meisten Experten der Wall Street davon überzeugt waren, es werde sich nur um eine kurze Korrektur handeln. Auch 2005, als die lange so gewinnträchtigen US-Wohnbauaktien abrutschten, hieß es allgemein, man solle sich bloß keine Sorgen machen, der Häusermarkt sei fundamental in Ordnung. Die meisten, so Faber, reagierten ähnlich gelassen, als sich im vergangenen Jahr die ersten Probleme bei den Subprimes zeigten. Und, fügt er seufzend hinzu, jene Schlaumeier, die die Wohnbau- und die Hypothekenblase nicht erkennen konnten, erklären jetzt lauthals, die Probleme bei den CDOs (forderungsbesicherten Wertpapieren) seien nicht von Bedeutung. Das stimmt so nicht, rät Faber zur Vorsicht. Er meint, die Probleme seien durchaus beträchtlich und könnten, „falls die zu- grunde liegenden Wertpapiere zu Marktpreisen bewertet werden müssen, Finanzinstitutionen und deren Kunden ganz ordentlich bluten lassen“. Er konkretisiert seine Befürchtungen, indem er Schätzungen zitiert: Von den 2006 verkauften CDOs im Wert von etwa 500 Milliarden Dollar sollen mehr als die Hälfte aus zweitklassigen Hypotheken bestehen. Damit wären grob 250 Milliarden Dollar gefährdet. Das sind angesichts der Kapitalausstattung der US-Geschäftsbanken in Höhe von 875 Milliarden Dollar nicht gerade Peanuts. Letzten Endes könnten laut Faber große Verluste auf dem CDO-Markt sehr hässliche Auswirkungen nach sich ziehen, insbesondere eine deutliche Verlangsamung des Finanzkreditwachstums, wofür Anzeichen bereits auszumachen seien. Das könnte für die Konjunktur natürlich sehr unangenehme Folgen haben. Ganz nüchtern gibt er zu bedenken, dass angesichts der Hebel, die praktisch an allen Ecken und Enden des Finanzsystems – auch bei Futures und Optionen und diversen strukturierten Produkten – zum Einsatz kommen, „die aktuellen Kreditexzesse sowohl hinsichtlich Quantität als auch mangelnder Qualität“ jene der tollen Zwanzigerjahre bescheiden erscheinen lassen. Sehr beruhigend. VERGEBEN SIE UNS DEN GRABESTON unseres Geschreibsels. Aber der Kuchen ist eben am Zerbröckeln, und – Mann! – gibt das vielleicht Brösel! Letzten Freitag berichtete Bloomberg, der acht Milliarden Dollar schwere Hedgefonds Global Alpha von Goldman Sachs habe dieses Jahr bereits 26 Prozent an Wert verloren. Global Alpha ist – oder war? – der größte Hedgefonds von Goldman. Eine derartig negative Wertentwicklung schmerzt in zweierlei Hinsicht: Erstens verdient Goldman weniger an Gebühren. Diese betrugen laut Bloomberg im vergangenen Jahr nicht unelegante 700 Millionen Dollar. Zweitens werden aber auch die Anleger verschreckt, die, was nicht überrascht, oft mit dem Abzug ihrer Gelder aus dem Fonds reagieren. Auf eine Anfrage von Bloomberg wollte ein Sprecher von Goldman dazu keine Stellung nehmen. Aber kann man ihm das verübeln? Was hätte er denn sagen sollen. BEI DEN CDO-GESICHERTENKREDITEN SOLLEN WEITERE 250 MILLIARDEN DOLLAR GEFÄHRDET SEIN ___________________________________________ "Zwei Dinge sind unendlich: das Universum und die menschliche Dummheit. Aber beim Universum bin ich mir nicht ganz sicher." Albert Einstein :-)) Ommea |