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Kreative Zerstörer (27) FTD: Helmut Thoma - Der Privatmann 14.01.2009 - 19:47
Vor 25 Jahren eroberte Helmut Thoma Deutschland mit dem Kommerzsender RTL und machte ihn zum Marktführer. Das einstige Schmuddel-TV verändert seither die Sehgewohnheiten und stellt auch das Werbegeschäft auf den Kopf.
Geplant war alles ganz anders. Ein Monopol hatte sich Helmut Thoma erhofft, wenigstens für eine gewisse Zeit. Einzig und allein RTL, sein Piratensender, sollte die deutschen Zuschauer von Luxemburg aus mit kommerziellem Fernsehen versorgen - und die Industrie mit Werbezeiten. Schließlich blockierte die Politik den Start von privatem TV in Deutschland.
Thoma sitzt daheim in seinem herrschaftlichen Anwesen in Hürth bei Köln und blickt zurück. Nichts in "Burg Schallmauer" erinnert auch nur entfernt an die Lebenswirklichkeit des Kommerzfernsehens. RTL ist Thomas Lebenswerk. Sein Lebensmittelpunkt ist es schon lange nicht mehr.
Thoma, der einstige RTL-Geschäftsführer, hat die Geschichte schon tausendmal erzählt. Die Legende von der Fernsehrevolution aus der Garage. Vom kleinen Dilettantensender, der die festgefügten Strukturen des Medienmarkts aufbricht. Von der aufgedrehten Radio-Luxemburg-Mannschaft, die plötzlich Fernsehen machen soll - und nichts ahnend den Grundstein legt für Deutschlands Marktführer, für einen Milliardenkonzern. "Es wäre kühn zu behaupten, ich hätte damals gewusst, dass es ein solcher Erfolg wird", sagt Thoma.
Denn sein Traum vom Monopol platzt bereits, bevor es richtig losgeht. 1982 wird Helmut Schmidts sozialliberale Koalition, die sich an den vermeintlich wohlgesinnten öffentlich-rechtlichen Rundfunk klammert, abgewählt. "Schmidt wollte ja den fernsehfreien Tag einführen", echauffiert sich Thoma. Der neue CDU-Bundeskanzler Helmut Kohl dagegen ebnet den Weg für das Privatfernsehen, von dem er sich Unterstützung erhofft.
Die großen Printverlage gründen mit dem Filmhändler Leo Kirch in Ludwigshafen ihren eigenen Sender. Konkurrenz für Thomas Projekt RTL Plus: Die Programmgesellschaft für Kabel- und Satellitenrundfunk (PKS), das spätere Sat 1, startet schon am 1. Januar 1984. RTL Plus geht erst einen Tag später auf Sendung Geschadet hat es nicht. 2009 wird RTL 25 und Thoma 70. Gemeinsam haben sie den deutschen Medienmarkt revolutioniert.
RTL, 1988 nach Köln umgezogen, ist seit 1991 Marktführer in der werberelevanten Zielgruppe - vor den Öffentlich-Rechtlichen und vor Sat 1, dem "Kind der Medienpolitik". Die Mediengruppe RTL Deutschland macht heute etwa 2 Mrd. Euro Jahresumsatz und knapp 340 Mio. Euro Gewinn (2007). Mit RTL, Vox, N-TV, RTL 2 und Super RTL gehören ihr ganz oder zum Teil fünf Free-TV-Kanäle, dazu Digitalsender und Onlineportale. Deutschland ist das wichtigste Profitcenter der Luxemburger RTL Group, die 2007 etwa 5,7 Mrd. Euro umsetzte. Es avanciert zur Cashcow des Bertelsmann-Konzerns. Die Gütersloher beteiligen sich schon beim Start an RTL Plus und halten heute gut 90 Prozent an der RTL Group.
Als Werbeträger sind die Privaten längst unverzichtbar. 2007 schalteten die Werbetreibenden Spots für fast 4,2 Mrd. Euro. Bis 1984 gibt es Fernsehwerbung nur in homöopathischen Dosen im Vorabendprogramm von ARD und ZDF. Konzerne wie Procter & Gamble erhalten von den TV-Anstalten bisweilen ein Zehntel der gewünschten Werbesekunden. Mit RTL und Sat 1 bekommen sie endlich neue Adressaten für ihre Millionen - auch wenn die Sender zunächst nur wenige Tausend Zuschauer erreichen. Schon im ersten Jahr erlöst das Luxemburger Experimentalfernsehen 10 Mio. Euro.
Zum Leidwesen der Zeitschriftenverleger. Sie trifft die neue Bewegtbild-Konkurrenz am härtesten. "Die Zeitschriften waren eine Art gedrucktes Fernsehen, ein Ersatz", sagt Thoma. Vor dem Start von RTL und Sat 1 sammeln sie rund 40 Prozent der Werbeerlöse ein, das Fernsehen gut 20 Prozent. "Bis Ende der 90er haben sich die Marktanteile umgekehrt", sagt Wolfgang Schuldlos, Managing Director der Mediaagentur Zenithmedia. Und obwohl der Werbemarkt bis 2000 kräftig wächst, verlieren die Zeitschriften Stück für Stück an Boden.
Im Wettbewerb um Marktanteile geht es zwischen den jungen Kontrahenten RTL und Sat 1 ruppig zu. "Es erschien uns anfangs als Überlebenskampf", sagt Sat-1-Gründungsvater Jürgen Doetz, heute Chef des Privatfernsehverbands VPRT. "Wir konnten uns nicht vorstellen, dass es Platz für zwei Anbieter geben könnte."
Noch heute, wenn Thoma zurückblickt, keilt er vor allem gegen Sat 1 aus, nicht gegen die Öffentlich-Rechtlichen. David gegen David. RTL, der Sender aus der Garage, gegen Sat 1, das Programm aus dem Ludwigshafener Keller. Doch richtig stimmig ist es nicht, das Bild vom Garagensender. Geburtsort ist zwar eine umgebaute Lkw-Halle. Doch so ärmlich, wie es klingt, geht es bei den RTL-Pionieren 1984 nicht zu. Von Anfang an nutzt man professionelle Technik. Schließlich macht das Mutterhaus schon seit Jahrzehnten Fernsehen. "Wir hatten die Infrastruktur. Was wir nicht hatten, war Programm", kratzt Björn-Hergen Schimpf an der Legende. Schimpf, Moderator und Nachrichtensprecher der ersten Stunde, ist die Stimme von "Karlchen", jener plappermäuligen Stoffpuppe, die RTL seinerzeit ins Programm hebt. Einer jener Dauerbrenner, die aus purer Not entstehen.
"Gestartet sind wir mit zwölf Filmen", sagt Thoma. Rivale Sat 1 dagegen sitzt auf Leo Kirchs gewaltigem Programmvorrat, der sich endlos herunterspulen ließ. Es ist der zentrale Baustein der RTL-Legende, dass diese Unterlegenheit am Ende zum Durchmarsch geführt hat. "Die Mangelsituation hat uns zu Höchstleistungen getrieben", sagt Thoma. Und selbst Doetz, der Sat 1 Anfang 2009 verlassen hat, sagt anerkennend: "Einfach nur Konserven zu senden fördert nicht gerade die Kreativität."
RTLs erste Programmformate entstehen im Café de Paris in Luxemburg. Hier brüten die 25 Gründungsmitglieder Ideen aus. "Machen Sie's", sagt Thoma meist. Der Fernsehmann ist ein Pragmatiker: "Hauptsache, es bewegt sich was auf dem Bildschirm." Schimpf erinnert sich gern an die "dufte Zeit": "Thoma hat uns an der ganz langen Leine laufen lassen."
Die Rechnung geht auf. Ob mit dem Boulevardmagazin "Explosiv", der Formel-1-Liveberichterstattung oder der ersten deutschen Seifenoper "Gute Zeiten schlechte Zeiten": RTL betritt Neuland, entwickelt Dauerbrenner und etliche Aufreger wie die Stripshow "Tutti Frutti". RTLs zunächst belächelte Hauptnachrichten mausern sich zum seriösen News-Format. Hans Meisers "Notruf" begründet das Reality-TV, seine Talkshow eröffnet den Reigen nachmittäglicher Plauderstunden. "Cobra 11" ist heute Deutschlands erfolgreichste Actionserie, "Wer wird Millionär" die beliebteste Quizshow und "DSDS" das quotenstärkste Castingformat. Dabei war RTL anfangs sogar den Boulevardmedien zu schmuddelig. Thoma nutzt die Aufregung geschickt, um seinen Sender als kulturellen Underdog zu positionieren. "Es hat funktioniert", erklärt er, "weil der Sender dem Zuschauer auf Augenhöhe begegnete. Bis dahin kam ihm das Fernsehen doch wie die Obrigkeit vor."
Manchmal hält er beim Reden inne, als lausche er fasziniert seinen eigenen Sätzen. Er ist berühmt für in Stein gemeißelte Sätze wie: "Der Wurm muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler", womit Thoma stets lästige Qualitätsdebatten vom Tisch fegt.
Der Fernsehmann weiß, was er kann und was er für seinen Sender geleistet hat. Seinen wichtigsten Gesellschafter lässt er das Ende der 90er-Jahre etwas zu deutlich spüren. Während Mitarbeiter das offene Ohr des "Hausvaters" und sein "Management by Walking Around" schätzen, gilt er mit seiner wenig zimperlichen Art bei Bertelsmann irgendwann als "nicht konzernfähig". Ohnehin kommen RTLs Inhalte in Gütersloh nicht immer gut an. Als er Pläne des Konzerns, ein Netz von Bezahlsendern aufzubauen, als "digitalen Rinderwahnsinn" abkanzelt, eskaliert der Streit. Im Herbst 1998 nimmt Thoma den Hut und wechselt als Berater zu seinem Freund Wolfgang Clement in die nordrhein-westfälische Staatskanzlei.
Doch das Loslassen fällt ihm schwer - zumal RTL da schon seit einigen Jahren die Puste auszugehen droht. Anfang 2000 endet der Höhenflug der Kölner vorerst. Die Marktanteile schrumpfen, neue Formate floppen, der Werbemarkt stagniert. Die sonnige Gründerzeit ist vorbei und das Privatfernsehen in der rauen Welt der Rendite angekommen.
Thoma mischt sich lautstark ein und geht mit dem neuen RTL-Management nicht gerade pfleglich um. Seinem Nachfolger Gerhard Zeiler wirft er vor, er habe "inhaltlich noch nie etwas getan" und ruhe sich auf Thomas Errungenschaften aus. Das Hauptproblem sei, "dass Zeiler sich überhaupt nicht kümmert, was ich zu wichtigen Sachen sagen könnte", mokiert sich Thoma nach seinem Abschied in entwaffnender Selbstüberhöhung. Solche Rempeleien nimmt man ihm bei RTL bis heute übel. Natürlich würdigt der Sender seine Aufbauleistung. Doch hält man den Ahnen in Köln für nicht mehr salonfähig.
Thoma hat längst andere Beschäftigungen. Als Aufsichtsratschef schlägt er sich mit den Querelen beim Telekomanbieter Freenet herum. Den Axel-Springer-Verlag berät er bei dessen Beteiligungen in der Türkei. Er macht weiter, bis es nicht mehr geht.
"Mein größter Fehler war, dass ich bei RTL nicht schriftlich auf meiner Beteiligung bestanden habe", sagt Thoma noch. Vielleicht wäre er dann auch heute noch streitlustiger Gesellschafter. "Aber Schwamm drüber."
Einmischen wird er sich trotzdem.
FTD-Serie: Kreative Zerstörer der Deutschen WirtschaftKommentare: Wie innovativ ist die deutsche Wirtschaft?Bis Februar drucken wir jede Woche einen Gastkommentar von führenden Ökonomen und Innovationsforschern zur Serie. Beteiligen auch Sie sich unter www.ftd.de/debatte Ressourcen: Videofragebögen, Filme, StudienWir zeigen Videofragebögen mit den Entrepreneuren lassen sie vor laufender Kamera Dinge zerstören, drehen Filme vor Ort und sammeln die wichtigsten Studien: www.ftd.de/zerstoerer Wettbewerb: "100 Sekunden kreative Zerstörung"Schicken Sie uns bis Ende Januar Videos, Animationsfilme oder Slideshows zum Thema. Wer am kreativsten ist, gewinnt einen Preis. Kontakt: zerstoerer@ftd.de
Autor/Autoren: Lutz Knappmann (Hürth)
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