Die "immateriellen Vermögenswerte" der Wirecard waren großes Thema schon früher und beispielsweise haben sich Melanie Bergermann und Christof Schürmann in der Wirtschaftswoche 2016 ausführlich damit beschäftigt.Sie wurden auch im Untersuchungsausschuss kurz erwähnt. Die immateriellen Vermögenswerte waren Schwerpunkt der Prüfung von EY 2018, steht auch im Testat, ebenso im Wambachbericht von Rödl.
Aus einer Analyse von Warburg aus 2016 (die auch Eingang in den erwähnten Bericht von Melanie Bergermann fand) stand:
Immaterielle Vermögenswerte: Kundenbeziehungen
Ein Element von Wirecards Strategie ist es, ein aktiver Konsolidierer in der Zahlungsindustrie zu sein. In der Vergangenheit hat Wirecard immaterielle Vermögenswerte – in erster Linie Kundenbeziehungen – mit einer Amortisationsdauer von rund zehn Jahren akquiriert. Als die ersten Akquisitionen in Asien getätigt wurden, wurde der Zeitraum auf 20 Jahre ausgeweitet. Auf den ersten Blick könnte man die Änderung der Amortisierungsrate hinterfragen. Wirecard ist ein Technologieunternehmen und technologische Änderungen könnten einen übergreifenden negativen Effekt auf den Transaktionswert der Kundenbeziehungen haben. Daher erscheint ein Zeitraum von 20 Jahren nicht konservativ. Wenn Wirecard mit einer 10-Jahresrate abgeschrieben hätte, hätte der negative Effekt auf das EBIT im Jahr 2014 bei EUR 15 Mio. gelegen.
Unseres Erachtens könnten jedoch zwei Aspekte berücksichtigt werden. Erstens liegt die Churn Rate bei Wirecards Kunden derzeit bei 1% innerhalb eines Jahres. Unter der Annahme einer konstanten Amortisierungsrate von 1%, könnte die Amortisierungsdauer theoretisch 100 Jahre betragen. Zweitens dürfte der durchschnittliche Transaktionswert eines Kundenportfolios im Laufe der Zeit wachsen. Ein Blick auf einige Transaktionen in der Zahlungsindustrie lässt außerdem interessante Beobachtungen zu:
Wirecard ordnet zwischen 60% und 70% des Kaufpreises Kundenbeziehungen zu und schreibt diesen Wert innerhalb von 20 Jahren ab. Nur rund 10-20% wird dem Goodwill zugeschrieben (nicht amortisiert).
(anschließend werden entsprechende Angaben von Peers zitiert)
Im Vergleich mit den oben erwähnten Transaktionen der Peers scheint Wirecards M&A- Rechnungslegung eher konservativ als aggressiv.
Schürmann schrieb 2016:
SAP hat bei seiner Einkaufstour vor allem im Cloudgeschäft einen Goodwill über 22,7 Milliarden Euro aufgebaut, bei einem Eigenkapital von 23,2 Milliarden Euro. Bei Wirecard schlug der Goodwill per Jahresende 2015 mit 489 Millionen Euro zu Buche, bei einem Eigenkapital von 1,28 Milliarden Euro. Auf lange Sicht dürfte bei beiden Unternehmen der Goodwill nichts mehr wert sein; vorsichtige Anleger müssten ihn schon jetzt vom Eigenkapital abziehen. SAP stünde dann theoretisch fast ohne Eigenkapital da; bei Wirecard blieben noch mehr als 60 Prozent des Kapitals übrig.
Nach Deiner Berechnung ist der Anteil bei etwa zwei Dritteln und somit nicht außergewöhnlich.
Insgesamt muss ich sagen: Ich kenne die Zahlen der jeweiligen Berichte ehrlich gesagt nicht auswenig. Die einzige relevante Zahl ist die im Insolvenzugutachten, nicht die im ohnehin als ungültig erklärten Bericht.
Das Amtsgericht schreibt: (Quelle https://openjur.de/u/2452245.html )
Der Antrag ist am 25.06.2020 beim Insolvenzgericht München eingegangen. Die Schuldnerin hat im Zuständigkeitsbereich des Insolvenzgerichts München ihren allgemeinen Gerichtsstand (§ 3 Abs. 1 Satz 1 InsO). Nach den Feststellungen des Gerichts sind Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung gegeben. (...) Im Übrigen werden die genannten Rechts-Tatsachen auch durch die Feststellungen des Sachverständigen und des vorläufigen Insolvenzverwalters getragen.
Der Beschluss ist vom 25.08.2020
Zur Diskussion um die Zahlen und ihre Deutung verweise ich auf das Insolvenzgutachten sowie auf die Sachstandsberichte. Ich möchte diese Dokumente derzeit nicht öffentlich kommentieren aufgrund einer laufenden juristischen "Diskussion" :)
Ich bezweifle, dass die Angaben im August 2020 der Realität entsprochen haben. Die Grundlagen des Insolvenzgutachtens bezweifle ich ebenfalls. Ein entsprechendes Gutachten wurde in Stadelheim gefordert. Dieser sachverhalt kann gegenwärtig nicht als abschließend ausdiskutiert betrachtet werden.
200 Mio Cash bei der Tochter Wirecard Bank waren vermutlich Einlagen derer Kunden. Zum Schutz dieser Einlagen wurde der Zugriff durch die Muttergesellschaft unterbunden.
Dies verdeutlich erneut das grundsätzliche Problem dieser Diskussionen hier.
"Vermutlich"???
25.06.2020
Um 7.19 Uhr ruft der neue Vorstandschef James Freis „unerwartet“ Chefkontrolleur Thomas Eichelmann an, wie dieser dem Aufsichtsrat knapp drei Stunden später bei einer Telefonkonferenz berichtet. Die Finanzaufsicht Bafin, so Freis, habe die „Liquiditätsanforderungen“ bei der konzerneigenen Wirecard Bank verschärft. Auf 200 Millionen Euro des Konzernguthabens habe die Wirecard AG jetzt keinen Zugriff mehr. Dem Konzern blieben jetzt nur noch 130 Millionen Euro „free cash“, wobei pro Woche 13 Millionen „verbrannt“ würden. Die Konzerngesellschaften würden nun „Stück für Stück fallen", wird Freis zitiert.
Es wurde diskutiert, ob und wann die temporär eingefrorenen Gelder wieder freigegeben werden würden. Bei 130 Millionen Cash und 13 Mio Cashburn pro Woche komme ich auf 10 Wochen Luft, ohne die von Markus Braun am 19. oder 20.06. per SMS ins Spiel gebrachte Milliarde.
Es war also das Geld der Wirecard, nicht, wie Du schreibst, Kundeeinlagen.
Quelle: Süddeutsche Zeitung
Ich bitte Dich, die hier genannten Fakten (!) in Deine Überlegung mit aufzunehmen. Vielen Dank.
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