Masse statt Klasse
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Masse statt Klasse 21.12.10 – Sascha Rentzing
Statt effizientere Zellen zu entwickeln, haben deutsche Photovoltaik-Hersteller stur auf den Ausbau der Massenproduktion gesetzt. Technologisch können sie daher kaum noch mit der kreativen Konkurrenz aus China und den USA mithalten.
Alles hat so gut angefangen. Als die rot-grüne Bundesregierung im Dezember 2003 mit dem sogenannten Photovoltaik-Vorschaltgesetz zum EEG eine stärkere Förderung des Solarstroms beschloss, zeigte die Maßnahme schnell Wirkung: 2004 wurde bereits fünfmal so viel Photovoltaik-Leistung installiert wie im Vorjahr. In der Folgezeit wurde Deutschland zum weltweiten Leitmarkt für Photovoltaik. 2010 stieg der jährliche Zubau von vier auf voraussichtlich rund zehn Gigawatt. Und 2011 wird nach einer Schätzung des US-Marktforschers "iSuppli" etwa die Hälfte aller weltweit produzierten Photovoltaik-Module in Deutschland installiert.
Auch die deutschen Photovoltaik-Hersteller haben dem Anschein nach Grund zum Feiern. Von 2003 bis 2009 haben sie ihre Investitionen mehr als verzehnfacht. Mittlerweile beschäftigt die deutsche Solarindustrie rund 65000 Menschen und setzt zwölf Milliarden Euro um – mehr als die Biotechnologie.
Dennoch haben die deutschen Anbieter den Anschluss verloren. Zwischen 2006 und 2009 ist ihr Anteil an der weltweiten Solarzellen-Produktion von rund 50 auf 30 Prozent geschrumpft. Den tiefsten Sturz erlebte Q-Cells aus Bitterfeld, das im Ranking der weltgrößten Zellenhersteller im vorigen Jahr vom ersten auf den vierten Platz abgerutscht ist. Der einstige Börsenliebling musste 2009 einen Nettoverlust von 1,4 Milliarden Euro hinnehmen. Auch Solarworld, der zweite große deutsche Photovoltaik-Konzern, hat Federn gelassen: Das Bonner Unternehmen hat seine Gewinnmarge in den letzten eineinhalb Jahren mehr als halbiert.
Ihren Marktanteil ausbauen konnten hingegen die chinesischen Produzenten. Die Ursache dafür klingt zunächst trivial: Laut einer Studie der Unternehmensberatung Roland Berger fertigen chinesische Hersteller Module für durchschnittlich 0,86 Euro pro Watt, deutsche Firmen hingegen für 1,35 bis 1,65 Euro. Den Grund für den Preisvorteil sieht Martin Heming, Chef des Mainzer Herstellers Schott Solar, in den "schnellen Genehmigungsverfahren und niedrigen Arbeitskosten" der Chinesen.
Doch das ist nur die halbe Wahrheit. An ihrer Misere ist die deutsche Solarindustrie auch selbst schuld. "Die Hersteller haben sich zu lange auf den Ausbau der Massenfertigung konzentriert und dafür kostensenkende Neuentwicklungen auf die lange Bank geschoben", sagt Gerd Stadermann, Geschäftsführer des Forschungsverbunds Erneuerbare Energien. Zwar senkt auch Massenproduktion die Preise, aber für die Wirtschaftlichkeit von Solarmodulen ist ein anderer Faktor noch wichtiger: der Wirkungsgrad. Jeder zusätzliche Prozentpunkt Wirkungsgrad senkt, so die Faustregel, die Kosten um sieben Prozent, da pro Watt weniger Material benötigt wird.
Um die Effizienz von Solarzellen zu erhöhen, sind aber erhebliche Investitionen in Forschung und Entwicklung (F&E) nötig. Genau daran hapert es bei den deutschen Herstellern. Laut Bundesverband Solarwirtschaft sank bei ihnen das F&E-Budget zwischen 2003 und 2009 um mehr als die Hälfte auf nur noch 1,7 Prozent des Umsatzes. Solange die vom EEG künstlich angefachte Nachfrage das Angebot an Solarmodulen ohnehin überstieg, war das kein Problem. Doch die Chinesen füllten die Angebotslücke und nutzten die Innovationsträgheit der deutschen Anbieter aus, um auch qualitativ aufzuholen.
"Chinesische Hersteller legen großen Wert auf aktuellste Technologien und produzieren auf moderneren Maschinen als mancher europäische Hersteller", sagt Wolfgang Seeliger, Leiter Konzernentwicklung des schwäbischen PV-Anlagenbauers Centrotherm. Suntech etwa, einer der drei großen chinesischen Anbieter, steigerte seine F&E-Quote im vorigen Jahr von 0,8 auf 1,8 Prozent des Umsatzes. Das Geld floss unter anderem in die Entwicklung einer neuen Zelle aus kristallinem Silizium, das mit 19,2 Prozent Wirkungsgrad 10 bis 15 Prozent effizienter ist als bisherige Suntech-Paneele. "Pluto", so der Name der Technik, wird derzeit in den Markt eingeführt und soll in Preisbereiche vorstoßen, die bisher den weniger effizienten Dünnschichtmodulen vorbehalten waren.
Damit zeigt sich, dass einige deutsche Hersteller in den vergangenen Jahren auf das falsche Pferd gesetzt haben. 2007 und 2008, als kristallines Silizium knapp und teuer war, stiegen sie in die Produktion von Dünnschichtmodulen aus sogenanntem amorphem Silizium ein. Solche Module haben zwar einen schlechteren Wirkungsgrad, lassen sich aber – zumindest prinzipiell – günstiger herstellen als Zellen aus kristallinem Silizium. Doch während die Produktionskosten kristalliner Module unter anderem durch die Fortschritte der chinesischen Hersteller in den vergangenen beiden Jahren um die Hälfte gesunken sind, stagniert die Entwicklung beim amorphen Silizium.
Am unteren Ende der Preisskala gibt der US-Hersteller First Solar den Ton an – und zwar mit Dünnschichtpaneelen auf Basis von Cadmium-Tellurid und elf Prozent Wirkungsgrad, die für 0,60 Euro pro Watt herzustellen sind. Auch hier sind die günstigen Preise nicht in erster Linie die Folge der Massenherstellung. "Die Kosten kriegen wir mit hohen Forschungsinvestitionen runter", sagt Technikchef Dave Eaglesham. Fast vier Prozent des Umsatzes gab First Solar 2009 für F&E aus. Dabei hätten die Deutschen ihren Wettbewerbern technologisch längst die Hacken zeigen können. Forscher vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme in Freiburg oder vom Institut für Solarenergieforschung in Hameln präsentieren regelmäßig Zellen mit hohen Wirkungsgraden. Umgesetzt wurde bisher aber keines der Konzepte. "Der Transfer von neuen Techniken aus dem Labor in die Serienfertigung läuft im Gegensatz zu asiatischen Kunden nicht optimal, weil einige deutsche Hersteller die nötigen Investitionen scheuen", erklärt Seeliger.
Ein Beispiel dafür sind Zellen aus Kupfer, Gallium, Indium und Selen (CIGS) mit einer Rekordeffizienz von 20,3 Prozent, die das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung (ZSW) in Stuttgart im letzten Juli vorgestellt hatte. Doch statt die Kommerzialisierung der Rekordzelle anzugehen, hat sich der langjährige ZSW-Projektpartner Würth Solar gegen den Ausbau seiner CIGS-Produktion entschieden. Die Technik wird nun auslizenziert – und zwar an den Anlagenbauer Manz, der schlüsselfertige Produktionsstraßen hauptsächlich nach China exportiert. Das Thema stehe "nicht in unserem strategischen Fokus", begründet Würth-Solar-Chef Bernd Sprecher – obwohl die Firma seit fünf Jahren vorgibt, selbst in die Massenfertigung von CIGS-Modulen einsteigen zu wollen. Ein anderes Beispiel: Q-Cells erklärte bereits 2008, es arbeite erfolgreich an Fertigungsverfahren für sogenannte Silizium-Rückkontaktzellen. Bei diesen Zellen befinden sich die Stromanschlüsse auf der Rückseite, sodass ihre Front nicht von Kontakten verschattet wird.
Das Projekt ist offenbar im Sande verlaufen: Bis heute produziert Q-Cells nur Standardzellen mit maximal 17,4 Prozent Effizienz. Die US-Firma SunPower hingegen stellt bereits Rückkontakt-zellen mit fast 22 Prozent Wirkungsgrad her.
Die deutschen Unternehmen sind mittlerweile offenbar aufgewacht. "Wir konzentrieren uns wieder stärker auf wesentliche Dinge wie Innovationen", verspricht Schott-Solar-Chef Heming. Die Frage ist nur, ob sich die deutschen Firmen heute noch viel F&E leisten können. Zwar schreiben die meisten von ihnen nach der Krise wieder schwarze Zahlen – aber nur sehr knapp.
Dieser Text ist der Zeitschriften-Ausgabe 12/2010 von Technology Review entnommen. Das Heft kann, genauso wie die aktuelle Ausgabe, hier onlin ----------- "Entweder wir brechen gemeinsam auf zum Erfolg, oder wir sterben in Schönheit." |