FTD-Agenda, 12.9.06 Außen hui, innen TUI von Jenny Genger (Hamburg)
Lange wurde Michael Frenzel gefeiert für den Umbau des Stahlkochers Preussag zum Touristikriesen TUI. Jetzt schlägt die Stimmung um. Schwache Buchungszahlen, mangelnde Synergien zwischen den Unternehmensbereichen und Verluste in der Containerschifffahrt lassen Zweifel an der Strategie wachsen - und an der Zukunft des Vorstandschefs.
Lässig baumelt seit Monaten ein azurblaues Bändchen an seinem Handgelenk. Bei einem stets korrekt gekleideten Manager wie TUI-Chef Michael Frenzel springt so ein ausgeleiertes Stoffstückchen neben Luxusuhr und Maßanzug ins Auge. Bei einer Reise nach Brasilien hat es ihm eine Einheimische umgeknüpft. Glück soll es bringen. Und daran glaubt der 59-Jährige. Bis es eines Tages abfällt und ein Wunsch in Erfüllung geht. "Der bleibt aber geheim", sagt Frenzel.
Auf Glück allein kann der Mann an der Spitze des größten europäischen Touristikkonzerns indes nicht vertrauen. "Es ist verdammt eng für ihn geworden", sagen Branchenvertreter. Erstmals in seiner schillernden Karriere fordern Finanzmarktexperten unverhohlen den Abgang des promovierten Juristen. Die Liste der Vorwürfe ist lang: Probleme in den Geschäftssparten Touristik und Containerschifffahrt, magere Renditen, enorme Schulden, falsche Managemententscheidungen, fehlende Perspektiven. Szenarien von der Zerschlagung und Übernahme des Konzerns machen die Runde.
Beinahe alles wird in Zweifel gezogen, was Frenzel seit seinem Einzug in den Vorstand des Hannoveraner Konzerns vor 18 Jahren geschaffen hat. Der beispiellose Umbau des Stahlproduzenten Preussag zum Touristikkonzern TUI, für den er Ende der 90er gefeiert wurde - jetzt gilt er als Fehlschlag. Frenzel muss um sein Werk kämpfen. Sollte er gehen, "würde der Markt einen solchen Schritt begrüßen", sagt Fondsmanager Stephan Thomas vom TUI-Investor Frankfurt Trust.
Solch eine drastische Entscheidung müssten die TUI-Aufsichtsräte treffen. Und deshalb legt Frenzel sich kräftig ins Zeug, um einen Stimmungsumschwung herbeizuführen. Gelegenheit dazu ergibt sich Mittwoch und Donnerstag mitten in den Alpen, 70 Kilometer südlich von Salzburg, wo sich die sechs Vorstände mit den 20 Mitgliedern des Kontrollgremiums in den Robinson-Club Amadé zurückziehen. Jeden Sommer macht sich die Entourage auf den Weg zu einem TUI-Reiseziel. Nach sonnigen Klausuren auf Mallorca, in Griechenland und an Bord des Kreuzfahrtschiffs MS Europa zittern sie dieses Mal im Bergdorf Kleinarl, bei Temperaturen um die 10 Grad, umringt vom Ennskraxn-Felsmassiv und einem Wildbach.
Eine heile Welt wird auch Frenzel seinen Aufsehern präsentieren. In langen Vorträgen und Chart-Präsentationen wird der Vorstand seine Version der Lage darstellen und gegen die scharfe Kritik anreden, die seit Wochen die öffentliche Diskussion beherrscht. "Wir sind als Markt- und Markenführer in der Touristik deutlich besser aufgestellt als die Wettbewerber. In der Schifffahrt sind wir führend in der Produktivität", fasst ein TUI-Sprecher die Argumentation zusammen. Aber die Rahmenbedingungen seien einfach schwierig. "Natürlich haben wir in beiden Geschäftsfeldern Probleme, vor allem durch starken Preiswettbewerb und extrem gestiegene Kosten wie den hohen Ölpreis", räumt der TUI-Mann ein.
Insbesondere die Touristiksparte hat den Glanz der vergangenen Jahre verloren. Viele Reisende stellen sich ihren Urlaubstrip lieber im Internet selbst zusammen, statt im Reisebüro Kataloge zu wälzen. Knapper werdende Einkommen und wachsende Risiken durch Terroranschläge wie diese Woche in türkischen Urlaubsorten verunsichern die Konsumenten und machen die Nachfrage unberechenbar. Im Kampf um die Kunden senken viele Wettbewerber nervös die Preise, die Margen bröckeln. TUI versucht, sich dieser Entwicklung vor allem im schwierigen Heimatmarkt Deutschland zu entziehen. Bereichsvorstand Volker Böttcher hat die Devise ausgegeben, dass positive Ergebnisse mehr zählen als Marktanteile. Allerdings wird dem Branchenprimus bereits ein beachtlicher Teil des Geschäfts weggeschnappt. Die Zahl der Buchungen liegt zurzeit unter denen des Vorjahres, während Hauptwettbewerber Thomas Cook, die Touristikveranstalter der Rewe Gruppe oder Alltours zulegen.
Eine Zeit lang konnte Frenzel die schwachen Ergebnisse der Touristiksparte mit den positiven Beiträgen der Containerschifffahrt auffangen. Das gelingt jetzt nicht mehr. Die Hamburger Reederei Hapag-Lloyd fiel im ersten Halbjahr kräftig in die Verlustzone. Die Frachtpreise sinken angesichts befürchteter Überkapazitäten. Erstmals bleibt die einstige Ertragsperle der TUI in diesem Jahr hinter dem Marktwachstum zurück. Hinzu kommen hohe Aufwendungen für die Integration des britisch-kanadischen Wettbewerbers CP Ships, den TUI vor einem Jahr für 1,8 Mrd. Euro übernommen hat.
Der Vorstand hat die Probleme lange heruntergeredet. "Es gibt keine Krise, sondern nur Herausforderungen", lautet seit Jahren einer von Frenzels Lieblingssätzen. Doch seine hehren Versprechungen hat er bislang nicht einhalten können. "Aus dem Tanker Preussag ist das Schnellboot TUI geworden, das seine Wendigkeit und Schnelligkeit in Zukunft unter Beweis stellen wird", hatte er vor drei Jahren angekündigt. Den Beleg ist er schuldig geblieben. Die angepeilte Marge von knapp fünf Prozent ist nicht erreicht. Und auf welche Weise das operative Ergebnis in der Touristik in den kommenden zwei Jahren auf 700 Mio. Euro verdoppelt werden soll, hat Frenzel auch nicht erklärt.
Auch wenn TUI weiterhin Gewinne erwirtschaftet, zeigen sich Investoren mittlerweile ungehalten. 2005 lag das Ergebnis mit 633 Mio. Euro um sieben Prozent unter dem des Vorjahrs. 2006 wird ein weiterer Rückgang erwartet. Der Aktienkurs fällt kontinuierlich, an der Börse ist TUI nur noch 3,7 Mrd. Euro wert. "Wir interpretieren die aktuelle Situation als ein tiefes Misstrauen der Marktteilnehmer sowohl gegenüber der operativen Entwicklung auf den Märkten für Containerschifffahrt und Touristik als auch gegenüber dem Management bezüglich der Umsetzung der angekündigten Maßnahmen", schreibt HypoVereinsbank-Analyst Christian Obst in einer aktuellen Studie.
"Niemand kann uns ernsthaft vorwerfen, dass wir nichts unternehmen oder etwa wichtige Strukturentscheidungen verschlafen hätten", verteidigt sich der Konzern. Doch der Vertrauensvorschuss, den Frenzel und Finanzvorstand Rainer Feuerhake bekamen, als sie in den vergangenen Jahren mehr als 3 Mrd. Euro am Kapitalmarkt einsammelten, scheint aufgebraucht zu sein. Die Kritiker fordern drastische Schritte. "Einige Investoren, mit denen wir gesprochen haben, denken, dass etwas passieren muss, seien es Verkäufe, eine Abspaltung der Schifffahrt, eine Übernahme oder ein Managementwechsel", so Morgan Stanley-Analyst Jamie Rollo. TUI reagiert: Nach Informationen aus Konzernkreisen soll der langjährige Controlling-Vorstand Sebastian Ebel durch Christoph Müller ersetzt werden, der erst vor wenigen Monaten als Bereichsvorstand für das Fluggeschäft in den Konzern geholt wurde. Doch damit geben sich viele Kritiker nicht zufrieden. Für die Probleme im Tourismus und Schifffahrtsgeschäft seien letztlich Frenzel und Feuerhake verantwortlich, so Equinet-Analyst Jochen Rothenbacher.
Frenzel lässt diese Kritik, zumindest offiziell, kalt. Selbst für umstrittene Entscheidungen konnte er den Aufsichtsrat stets auf seine Seite ziehen: für den Einstieg in das extrem wettbewerbsintensive Billigfluggeschäft mit der eigenen Fluglinie HLX etwa. Oder den ursprünglich geplanten Börsengang der Schifffahrtssparte, der dann abgeblasen wurde, um stattdessen CP Ships zu übernehmen.
Seine Fähigkeiten könnte Frenzel am besten mit einer radikalen Veränderung des drängendsten Problems lösen: einer Neuaufstellung der Fluglinien Hapagfly und HLX. Als eigenständige Marken können die beiden dem Druck der wachsenden Wettbewerber immer weniger standhalten. Die Zusammenlegung, eine anschließende Abspaltung und Zusammenlegung etwa mit dem Wettbewerber Condor, für den die Gesellschafter Lufthansa und KarstadtQuelle ebenfalls eine neue Lösung suchen, wird deshalb in Branchenkreisen als mögliches Modell erachtet.
[klingt ziemlich wirr, dieses Zusammenlegen und wieder Abspalten - A.L.]
Ob die TUI-Manager solch einen Schritt bereits in Österreich ankündigen, gilt allerdings als unwahrscheinlich. Auch offene Kritik an Frenzel wird nicht erwartet. Und würde auch nicht in die Bergwelt passen. Das Alpendorf Kleinarl gilt, wie die Tourismuszentrale schwärmt, noch als "Welt, die in Ordnung ist". |