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| HANDELSBLATT, Freitag, 10. August 2007, 10:43 Uhr
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| Top-Ökonomen zur Subprime-Krise
„Der menschliche Instinkt ist schuld“
Die US-Hypothekenkrise schlägt drastisch auf Banken und die Finanzmärkte durch. Internationale Top-Ökonomen erklären in einer exklusiven Handelsblatt-Umfrage, wie bedrohlich die Situation ist, was die Ursachen der Turbulenzen waren und welche Lehren zu ziehen sind.
Die Finanzmärkte sind nervös: Zinsen und Risikoaufschläge steigen, Aktienkurse fallen. Ist das eine willkommene Normalisierung oder der Beginn einer Krise?
Patrick Artus, Chefökonom der Investmentbank Natixis und Mitglied des Wirtschaftsbeirates des französischen Staats: „Die Turbulenzen sind das normale Atmen des Konjunkturzyklus. Sie müssen keinesfalls in eine Krise münden. Die wirtschaftlichen Fundamentaldaten sind gesund, Liquidität gibt es reichlich. Die Verluste der Banken aus geplatzten Hypothekenkrediten macht ein Prozent der Marktkapitalisierung aus. Das ist nicht viel.“
Willem Buiter, Ökonomieprofessor an der Londoner School of Economics and Political Science: „Es ist eine gesunde und überfällige Normalisierung der Risikoaufschläge. Wenn wichtige Zentralbanken keinen Unsinn machen, sollte es nicht zu einer Systemkrise kommen. Einzelne Finanzinstitute können aber durchaus pleitegehen.“
Jan Hatzius, Chefvolkswirt der Investmentbank Goldman Sachs in New York: „Weder-noch. Es ist ein Symptom einer platzenden Immobilienblase. Diese wird noch zu sehr vielen weiteren Kreditausfällen führen. Aber ich denke, eine ausufernde Finanzkrise ist unwahrscheinlich. Denn es gibt keinen Grund, warum die US-Notenbank nicht kräftig die Zinsen senken könnte, wenn dies nötig sein sollte.“
Richard Koo, Chefökonom des Nomura-Forschungsinstituts in Tokio: „Wenn eine Investitionsblase platzt, verursacht dies immer erheblichen Stress in den Finanzsystemen. Die aktuellen Turbulenzen zeigen viele Symptome der Auflösung einer Blase. Ich denke schon, dass wir es hier mit einer Krise zu tun haben.“
Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank in Frankfurt: „Wir haben am US-Immobilienmarkt und den damit verbundenen Kreditmärkten eine Krise. Aber wie jede Krise hat auch die gegenwärtige eine heilsame Wirkung. Sie bewirkt, dass Investoren die Risiken nicht nur am US-Immobilienmarkt, sondern auch bei Unternehmensanleihen und Währungen realistischer einschätzen.“
Dennis Snower, Leiter des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel: „Es ist zweifellos möglich, dass die US-Hauspreise weiter fallen und kritische Werte unterschreiten.“
Angel Ubide, Chefvolkswirt der Tudor Investment Corporation in Washington: „Was wir beobachten, ist einerseits der verzögerte Effekt der Bereinigung im US-Immobilienmarkt, zum anderen die Normalisierung der Risikoprämien in den breiteren Kreditmärkten. Die Ausfälle bei Hypothekenkrediten haben am Markt für Kreditderivate zu Neubewertungen geführt, die eher mit historischen Erfahrungen in Einklang stehen.“
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Wie würde eine krisenhafte Zuspitzung der gegenwärtigen Lage aussehen?
Patrick Artus: „Folgende Abfolge wäre bedenklich: Die Kreditausfälle steigen, die Märkte stellen weniger Liquidität bereit, die Banken verschärfen ihre Kreditvergabestandards drastisch und ohne Ausnahme. Kreditknappheit bremst die Wirtschaft und zwingt Schuldner zu Notverkäufen von Vermögen. Dass es so kommt, ist unwahrscheinlich.“
Willem Buiter: „Der schlimme Fall wäre gekennzeichnet von einer Liquiditätsklemme, vielen Insolvenzen, einem Einbruch des Konsum- und Geschäftsklimas und einem starken Rückgang der privaten Nachfrage. Dieses Szenario ist sehr unwahrscheinlich (weniger als zehn Prozent).“
Jan Hatzius: „Es gibt zwei Möglichkeiten: Die Turbulenzen könnten vom Hypothekenmarkt auf andere Märkte übergreifen und die Liquidität austrocknen lassen. Hierfür gibt es bereits erste Indizien. Oder die Wirtschaft rutscht in eine Rezession. Beides halte ich letztlich für unwahrscheinlich, weil die US-Notenbank handeln würde.“
Richard Koo: „Im ungünstigen Fall werden auch Marktteilnehmer betroffen sein, die glauben, ihre Positionen seien abgesichert. Dann kommt es zum Schneeballeffekt. Wer sich gegen den Ausfall von Kreditderivaten abgesichert hat und feststellt, dass der Anbieter der Deckung ausgefallen ist, könnte seinerseits andere in Probleme bringen.“
Jörg Krämer: „Problematisch wäre natürlich eine Kreditklemme – wenn also die US-Unternehmen vom Kapitalmarkt oder den Banken keine Mittel mehr erhalten würden. Das halte ich allerdings schon deshalb für unwahrscheinlich, weil die Bilanzen der Unternehmen grundsolide sind.“
Dennis Snower: „Im Falle einer Krise würden die Hauspreise schnell sinken und zu einem Rückgang der Konsumausgaben führen. Dies hätte zur Folge, dass die Investitionsausgaben und zugleich die Preise an den Aktienmärkten fallen, was wiederum zu einem Rückgang der Konsumausgaben und der Hauspreise führen würde.“
Angel Ubide „Märkte neigen immer wieder zu Übertreibungen. Problematisch wäre es, wenn sie es nun mit der Risikoaversion übertrieben, was zu Notverkäufen und Zwangsliquidationen von Vermögensbeständen führen und das Finanzsystem gefährden könnte. Eine Kreditklemme könnte die Weltwirtschaft stark belasten.“
Worauf achten Sie besonders, um festzustellen, ob wir in eine schwere Krise stürzen?
Patrick Artus: „Ich achte auf die Ausfallrate bei US-Hypothekenkrediten, Hauspreise, Haushaltsvermögen, die Welt-Geldmenge und Kreditstandards der Banken. Bisher sind die Ausfallraten nur wenige Prozentpunkte höher als normal, dieHaushaltsvermögen und Geldmenge steigen, und die Kreditstandards in den USA und Europa sind locker.“
Willem Buiter: Alarmzeichen „wären: wenn normal verschuldete Unternehmen keinen Kredit mehr bekämen; ein weiterer deutlicher Anstieg der Risikoaufschläge für Unternehmensanleihen; eine Ausweitung der Ankaufs-/Verkaufsspannen in wichtigen Finanzmärkten.“
Jan Hatzius: „Was die Finanzmärkte angeht, so schaue ich genau auf Indikatoren für finanzielle Verwerfungen wie die Aufschläge für Swap-Geschäfte, auf Volatilitätsmaße und die Risikoaufschläge von Geldmarktpapieren. Was das Rezessionsrisiko angeht, so sind es die üblichen Indikatoren.“
Richard Koo: „Zwei Merkmale könnten als Warnung dienen. Das erste ist ein deutlicher Rückzug von Kapital aus Hedge-Fonds. Das zweite ist ein Anstieg der Zahlungsprobleme auch im Prime-Bereich der US-Hypothekenkredite. Letzteres ist sogar ziemlich wahrscheinlich, weil viele Verträge noch in der Phase niedriger Startzinsen stecken.“
Jörg Krämer: „Fed und EZB befragen die Banken, wie sie ihre Kreditvergabestandards ändern. Die Fed wird die Ergebnisse der Juli-Umfrage wohl nächste Woche veröffentlichen. Unschön wäre es, wenn die US-Banken ihre Standards nicht nur für Hypothekarkredite, sondern auch für die bilanziell gut aufgestellten US-Firmen verschärft hätten.“
Dennis Snower: „Die ersten Zeichen wären eine gleichzeitige Stagnation der Hauspreise und des Konsumentenvertrauens, kombiniert mit einem Rückgang der Investitionen und Preisschwankungen an den Aktienmärkten.“
Angel Ubide: „Der Schlüsselindikator ist die Liquiditätslage der Banken. Wenn die Liquidität versiegt oder es bei der Refinanzierung von Kurzfristschulden haken sollte, könnte das zu einer Panik führen.“
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Was ist zu tun, um Schlimmeres zu verhindern?
Patrick Artus: „Es genügt, das Vertrauen der Märkte wieder herzustellen. Eine zweigleisige Kommunikation würde helfen: zum einen transparente Informationen von den Finanzinstitutionen über ihr Engagement in wackligen US-Immobilienkrediten, zum anderen Stellungnahmen der Zentralbanken über die Entwicklung der Liquidität.“
Willem Buiter: „Beten und sicherstellen, dass die Zentralbanken das Richtige tun. Sie sollten als Reaktion auf Probleme nicht die Zinsen senken, sondern aktiv das Diskontfenster nutzen, um Unternehmen in Liquiditätsproblemen zu erhöhten Zinsen und gegen Sicherheiten die nötige Liquidität zu geben – nicht nur Banken, sondern allen Unternehmen.“
Jan Hatzius: „Die Zentralbanken sollten die Entwicklung sehr genau verfolgen und wenn nötig die Zinsen senken.“
Richard Koo: „Die Finanzinstitutionen müssen wachsam bleiben und sich fragen, wo Risiken auftauchen könnten.“
Jörg Krämer: „Auf keinen Fall sollten die Zentralbanken jetzt wie bei der Russlandkrise oder dem Schock infolge der Schieflage des LTCM-Hedge-Fonds die Zinsen senken. Dann fachen sie die Kreditvergabe wieder an, schläfern das Risikobewusstsein ein und schaffen für die Zukunft umso größere Probleme.“
Dennis Snower: „Eine expandierende Geldpolitik wäre hilfreich. Für eine expandierende Fiskalpolitik gibt es wenig Spielraum.“
Angel Ubide: „Ein wirtschaftspolitisches Eingreifen wird wahrscheinlich nicht nötig sein. Die Weltwirtschaft ist sehr robust, und die Unternehmen machen exzellente Gewinne und schwimmen im Geld. Deshalb sollte der Anpassungsprozess an die neuen Finanzierungsbedingungen ohne größere Verwerfungen vonstattengehen.“
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Gibt es einen Schuldigen für die derzeitigen Probleme, und welche Lehren sollte man ziehen?
Patrick Artus: „Die Marktakteure werden die US-Notenbank verantwortlich machen. Notenbanker werden der fehlenden Reife der Finanzmärkte die Schuld geben. Meiner Ansicht nach zeigen die jüngsten Turbulenzen, dass die Marktteilnehmer in unbekanntem Territorium agieren, mit vielen neuen Finanzprodukten, die noch keinen vollen Konjunkturzyklus mitgemacht haben.“
Willem Buiter: „Die Finanzmärkte werden immer zu Phasen wilder, irrationaler Euphorie, gefolgt von tiefer Depression neigen. Der Privatsektor kann niemals Liquidität bereitstellen, wenn sie am dringendsten gebraucht wird. Institutionen, die mit großem Kredithebel arbeiten, müssen zu mehr Transparenz gezwungen werden. Die Aufsicht hat bei Subprime-Krediten versagt.“
Jan Hatzius: „Wie bei der Technologieblase ist auch diesmal wieder der menschliche Instinkt schuld, der Wertsteigerungen einfach in die Zukunft fortschreibt. Außerdem hat die Aufsicht zu wenig auf eine zu laxe Kreditvergabepraxis geachtet, teilweise im fehlgeleiteten Glauben, dass der Markt immer Recht hat.“
Richard Koo: „Die Banken haben recht verantwortungsvoll gehandelt, doch die Hypothekenanbieter vor Ort haben die Bonität der Kunden kaum geprüft. Man muss den Leuten künftig klar sagen, dass Immobilienpreise auch fallen können. Selbst der ehemalige Fed-Chef Alan Greenspan hat früher öffentlich betont, dass die Hauspreise seit dem Krieg nie gefallen sind.“
Jörg Krämer: „Die Analyse von Geldmengen und Kreditaggregaten ist bei angelsächsischen Zentralbanken aus der Mode gekommen. Viele drängen die EZB, die monetäre Säule ihrer geldpolitischen Strategie zu kippen. Aber die starke Kreditvergabe in einzelnen Bereichen hat schon vor Jahren Übertreibungen signalisiert, die sich jetzt entladen.“
Dennis Snower: „Eine nennenswerte Schuld haben die globalen Ungleichgewichte, insbesondere die übermäßigen Konsumausgaben der USA in Verbindung mit den übermäßigen Ersparnissen im Fernen Osten. Eine wichtige Folge wird sein, dass die Entwicklung der Kapitalpreise nun umsichtiger beobachtet wird.“
Angel Ubide: „Die IT-Revolution und die Verdoppelung des globalen Arbeitskräftepotenzials haben zu einer Niedrigzinsperiode geführt, die jetzt zu Ende geht. Dabei gab es klassische Exzesse, die in solchen Situationen kaum zu vermeiden sind. Der Schlüssel liegt darin, dass Aufsicht und Regulierer verhindern, dass übermäßig Risiken ohne ausreichende Absicherung angehäuft werden.“
Die Fragen stellten Nobert Häring, Dorit Heß und Finn Mayer-Kuckuk.