Dax-Perverse Wette auf den Nicht-Aufschwung
Kommentar Aktien steigen und steigen. Die 6000-Punkte-Marke steht wie Weihnachten vor der Tür. Dabei hängt die Rally am billigen Geld - und damit einer langsamen Konjunkturerholung. von Joachim Dreykluft Hamburg Der Anleger hat Anspruch auf eine Jahresendrally. Nein, dieser Satz steht nicht im Aktiengesetz. Dennoch scheint er fast Gesetzeskraft zu haben. In den vergangenen Jahren war der plötzliche Kursanstieg im Dezember fast immer zu beobachten. Selbst im Absturzjahr 2008 mit dem Tiefpunkt der Lehman-Pleite gab es in der letzten Handelswoche ein Plus, dessen Dynamik den Dax zu Beginn dieses Jahres sogar über 5000 Punkte trieb. Auch jetzt zieht eine runde Tausendermarke die Anleger wie magisch an: Die 6000 muss es sein. Die Gründe für die alljährliche Weihnachtseuphorie sind hinlänglich bekannt: Viele institutionelle Investoren handeln bereits nicht mehr oder nur noch eingeschränkt. In einem ausgedünnten Markt ziehen wenige Kauforders den Markt überproportional an. Fondsmanager, die per Stichtag 31. Dezember Rechenschaft über ihr Portfolio ablegen müssen, kaufen noch ein paar Stück von den Gewinnern des Jahres, um nicht dumm dastehen zu müssen.
Dazu kommt der Verfallstag am dritten Dezemberfreitag, der optimistischen Terminmarktspekulanten Anlass gibt, im Vorfeld noch ein paar Euro in den Kassamarkt zu gießen, um den Wert ihrer Optionen und Futures zu treiben. "Hexensabatt" ist am kommenden Freitag. Das Verhältnis von Put- zu Call-Optionen rutschte Mitte Dezember unter eins. Diejenigen, die Interesse an steigenden Kursen haben, sind also in der Überzahl. Wichtig ist aber die Frage: Wie nachhaltig ist die Jahresendrally 2009? Denn 2007 und 2008 endete die Euphorie in Katzenjammer. Vor knapp zwei Jahren drückten Berichte über den betrügerischen Aktienhändler Jérôme Kerviel den Dax innerhalb weniger Wochen um mehr als 1000 Punkte. Ähnlich im Januar 2009: Furcht vor einem Mega-Absturz der Weltwirtschaft sorgte für einen Dax-Fall von 1400 Punkten. Dann folgte, was Spötter zunächst als "E-Mail-Rally" bezeichneten: Citigroup -Chef Vikram Pandit ließ im März einen internen elektronischen Brief an die Medien durchsickern, in dem er wieder einen Gewinn auf Quartalssicht andeutete. Die Banken hatten bemerkt, dass Leitzinsen bei null für sie eine Lizenz zum Gelddrucken darstellen. Die Gewinne der Geldhäuser, die sich im Investmentgeschäft auskennen, stiegen innerhalb weniger Quartale auf Vor-Lehman-Niveau. Die Kursanstiege beruhigten auch die Nichtfinanzwirtschaft. Und Konjunkturindikatoren wie Börsenindizes bildeten weltweit hübsche V-Formationen aus. Doch der linke Teil eines Ws sieht halt auch aus wie ein V. Was spricht bei europäischen Aktien dafür, dass es so kommt? Die Unlogik der Aufwärtsbewegung und die mangelnde Nachhaltigkeit der zu beobachtenden Gründe. Da ist vor allem die Liquiditätsschwemme. Es ist nicht erwirtschaftetes oder erspartes Geld, das die Indizes treibt, sondern geliehenes Notenbankgeld. Das wird daran deutlich, dass neben Aktien auch Rohstoffe und Unternehmensanleihen massiv im Preis gestiegen sind. Bei vielen Investoren herrscht schlichter Anlagenotstand.
Der dürfte aber blitzschnell ins Gegenteil umkehren, sobald die Notenbanken, insbesondere die Fed, signalisieren, dass es bei den Zinsen wieder aufwärts geht. Die Akteure am Aktienmarkt gehen in der Mehrheit davon aus, dass sie noch Monate Zeit haben. Allein das spricht dafür, dass es schneller kommt.
Ein weiterer Grund für Wachsamkeit ist der derzeit extreme Gleichlauf der europäischen Börsen mit dem US-Markt. Wenn in den USA nicht gehandelt wird, herrscht in Europa oft Mikadostimmung. Dabei ist vieles, was US-Aktien treibt, schlecht für hiesige Papiere. Die Dow-Jones -Rally ist zu einem Gutteil getrieben vom niedrigen Dollar . Aber warum sollte der ein Grund sein, deutsche Aktien zu kaufen?US-Investoren wetten derzeit geradezu darauf, dass die Phase der konjunkturellen Unsicherheit noch lange anhält. Sie betteln darum, dass kein kräftiger Aufschwung kommt. Das zeigte sich in den vergangenen Wochen, als positive Zahlen vom US-Arbeitsmarkt und ein optimistisch stimmender ISM-Einkaufsmanagerindex in der unmittelbaren Reaktion zu sinkenden Kursen führten. Bitte, bitte, liebe Konjunktur, werde nicht so stark, dass die Fed uns das schöne billige Geld wieder wegnimmt! Dieses Flehen spricht aus den Charts jener Tage, etwa am Freitag vorvergangener Woche. Wer diese perverse Wette auf den Nicht-Aufschwung mitmacht, muss den Verkaufsknopf stets in Reichweite haben. ----------- „Geld verdienen ist schwer. Es zu verlieren ist leicht." |