....Der Wettbewerb zweier Supermächte beherrschte [seit 1945] den Globus und diese beiden Supermächte waren die USA und die Sowjetunion, das „alte Europa“ spielte dabei keine dominierende Rolle.
Stattdessen übte sich Europa im Selbstbetrug. Sowohl Großbritannien als auch Frankreich trauerten den „guten alten Zeiten“ ihrer Imperien hinterher und führten sich bisweilen immer noch als Weltmächte auf ohne dies jedoch zu sein. Deutschland war zweigeteilt, der Westen legte in diesen Jahren eine bemerkenswerte wirtschaftliche Entwicklung hin, wurde „Exportweltmeister“, spielte aber als eigenständiger Akteur auf der Weltbühne keine nennenswerte Rolle. Man setzte zwar zeitweilig, beispielsweise durch Brandts Ostpolitik, durchaus Akzente, reihte sich aber ansonsten ebenso wie Frankreich und Großbritannien der Hegemonialmacht USA unter, während die osteuropäischen Staaten sich der Hegemonialmacht Sowjetunion unterordneten. Ein Europa, das als Weltmacht global und autark seine Interessen vertritt, gab es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Will man also den Begriff „Selbstverzwergung“ verwenden, so muss man zeitlich schon sehr weit bis in die Zeit der Auflösung der alten Kolonialreiche zurückgreifen.
Der europäische Selbstbetrug geht jedoch noch darüber hinaus. Da wäre noch die ökonomische Ebene, die vor allem in Deutschland Triebfeder des Größenwahns war. Es gab sie, die Zeiten, in denen deutsche Unternehmen ein globaler Akteur waren. Doch diese Zeiten sind vorbei. Schaut man sich heute die Liste der 100 weltgrößten börsennotierten Unternehmen an, findet man mit SAP (an Stelle 47) und Siemens (an Stelle 91) gerade mal zwei deutschen Unternehmen. Und auch auf EU-Ebene sieht dies nicht viel besser aus; nur zwei europäische Unternehmen sind unter 20 größten Unternehmen der Welt zu finden. Nimmt man nicht die Marktkapitalisierung, sondern den Umsatz als Maßstab, sieht es mit fünf deutschen Unternehmen unter den Top 100 kaum besser aus. Chinesische und amerikanische Unternehmen dominieren die Weltwirtschaft. Deutschland und sogar die EU sowie Großbritannien sind ökonomisch bestenfalls Mittelmächte.
Geopolitisch wiegt der europäische Selbstbetrug jedoch noch schwerer. Spätestens seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Entstehen einer multipolaren Weltordnung war Europa nie ein eigenständiger Akteur, sondern hat sich am Rockzipfel der USA als deren Juniorpartner, man könnte es auch kritischer als „Vasall“ bezeichnen, durch die globale Manege zerren lassen. Dies wurde jedoch nie so kommuniziert. Beim völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf den Irak war es ja beispielsweise eine „Koalition der Willigen“ und keine „Koalition der US-Vasallen“, die in imperialistischer Tradition ferne Länder unterworfen hat – wobei man die damalige Weigerung der Regierungen Schröder und Chirac als letztes Aufbäumen europäischer Mächte gegen den US-Hegemon werten könnte. Der wohl größte Erfolg der USA in dieser Hinsicht war es jedoch, über Lenkung des politischen Diskurses und der öffentlichen Debatte die Europäer Glauben zu machen, sie träten nicht als Vasallen, sondern als eigenständige Akteure auf. Der Ukrainekrieg war wohl der Höhepunkt dieses (Selbst)Betrugs. Die USA trugen massiv zum Ausbruch dieses Krieges bei und nun sind die Europäer mit so viel Verve bei der Sache, dass sie selbst nach dem Koordinatenwechsel in Washington nicht wahrhaben wollen, dass dies nicht ihr Krieg, sondern der Krieg der USA ist. |