Ich habe mir damals den Namen "Anti Lemming" gegeben, weil ich schon immer antizyklisch unterwegs war. D.h. wenn die Börsen steigen, bin ich short, und wenn die Börsen fallen, bin ich dann long ;-)
Von den Gewinne kaufe ich mir dann Haribo.
Aber Spaß beiseite.
Ich halte den Einbruch an den Börsen am heutigen "Schwarzen Montag" für übertrieben. Gründe:
1. Öl:
Die Russen und die Saudis werden es ökonomisch kaum durchstehen, wenn die Ölpreise auf dem jetzigen Nivau (-25 % seit Freitag) verharren. Der Absturz kam, weil die Saudis am WE erklärten, ab April "voll Kanne" fördern zu wollen, obwohl die Ölnachfrage wegen der Corona-Seuche weltweit rückläufig ist.
Die Russen haben beim Öl gemäß FT einen Breakeaven-Preis von 42 $. WTI (US-Öl) notiert heute morgen um 30 $. Die Russen verfügen zwar über einen 170 Mrd. $ schweren staatlichen "Wealth Fonds", mit dem sie finanzielle Engpässe eine Weile überbrücken könen (unter 42 $ fördern sie Öl mit Verlusten) - aber eben nicht ewig.
Bei den Saudis beträgt der Breakeven-Preis für Rohöl nur 20 bis 25 Dollar, so dass sie mehr Spielraum nach unten haben als die Russen. Deshalb kam die Attacke jetzt ja auch von ihnen. Sie wollten sich mit der Erklärung, nun ebenfalls unbegrenzt zu fördern, bei den Russen rächen, die am Freitag abgelehnt hatten, die bestehende Förderbegrenzung über den 31. März hinaus aufrechtzuerhalten.
Die Saudis benötigen zur Finanzierung ihres aufwendigen Haushalts aber ebenfalls einen hohen Ölpreis, manche Kommentatoren sagen: 85 Dollar. Wenn sie im Haushalt stark knappsen müssen jetzt, könnte es schnell krachen im morschen diktatorischen Staatsgebälk. Bereits am WE hatte der Sultan drei Widersacher aus der eigenen Familie inhaftieren lassen. Darbt das Volk, will es seinen Kopf. Und da dem Sultan der Kopf sehr lieb ist, vor allem solange er sich noch noch zwischen den beiden Schultern befindet, dürfte er die (tendenziell leere) Drohung, unbegrenzt zu fördern, demnächst widerrufen. Vermutlich im Rahmen eines Deals mit USA, der ihm dann andere Zugeständnisse bringt.
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2. Corona-Virus
In China scheint die Seuche deutlich abzuklingen, wenn man den dort veröffentlichen Zahlen Glauben schenken will. Heute gab es in China "nur" 23 neue Tote und 44 neue Infizierte. Auch in Südkorea, dem zweiten Hotspot in Asien, gab es heute nur 3 neue Tote und 53 neue Infizierte. Die Zahlen im Iran sind ebenfalls rückläufig, allerdings immer noch recht hoch.
Grund für die Besserung in China sind a) die entschlossenen Maßnahmen der Regierung (Lockdown ganzer Städte) und b) das Wetter. In Wuhan ist es inzwischen ähnlich warm wie im deutschen Mai ist (Temperaturen tagsüber zwischen 15 und 21 Grad): https://www.wetter.de/china/wetter-wuhan-18434704/wetterprognose.html
Der Seuchen-Verlauf in China legt nahe, dass die Virenkrise (bei kalten Temps) in ca. zwei Monaten halbwegs durchgestanden ist.
In Italien und USA ist die Seuche gerade erst an ihrem Anfang und wird wohl noch 4 bis 6 Wochen hässliche Zahlen liefern. Allerdings ist die Seuche dort später ausgebrochen, und in Italien wie in großen Teilen der USA wird es jetzt ebenfalls schon frühlingshaft bis frühsommerlich warm. Unter diesen Bedingungen gibt es in USA und Italien vielleicht sogar schon in zwei Wochen Licht am Ende des Virentunnels.
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Die Börsen fallen allerdings vor allem wegen der Sekundäreffekte der Epidemie. Lieferketten sind gerissen, Geschäfte und Hotels bleiben leer, Flugzeuge am Boden usw. Wenn die Lage sich in China wieder normalisiert (d.h. wenn z. B. Chinas Städte wieder regulär angeflogen werden), werden "Beoachter" auch die Lage im Westen anders einschätzen, nämlich als vorübergehende Störung.
Wann das genau passiert, ist offen. Die Börse blickt aber normalerweise nach vorn. Im aktuellen Panikmodus macht sie zwar noch einen betriebsblinden Eindruck, aber das kann sich, wie auch Malko anmerkte, schnell schlagartig ändern. Vor allem wenn Notenbanker noch weiter lockern.
Die Notenbanker dürften, wo es geht, die Zinsen weiter senken. In USA könnte es dieser Tage noch eine zweite Notfallzinssenkung geben (die 10j-Rendite ist in USA nur noch knapp über Null und die Fed daher "behind the curve"). Die lockere Christine von der EZB dürfte "mehr QE" (Kauf auch von Unternehmensanleihen) anstreben.
Dass die Börsen technisch stark überverkauft sind, kommt noch obendrauf. Zumindest ein starker Dead Cat Bounce ist dieser Tage überfällig. So etwas gab es übrigens auch nach dem Dot.com-Crash im März 2000, der zunächst V-förmig verlief. Im Sommer hatte sich die Kurse nicht weit unterhalb der vorherigen ATHs stabilisiert. Er im Herbst 2000 begann dann ein längerer Sinkflug, der sein Tief im Oktober 2002 (bezogen auf Nasdaq) erreichte.
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