Die gefühlte Inflation ist höher als die tatsächliche
Von Konrad Mrusek
22. Oktober 2007 Der Ölpreis ist am Montag wieder unter den Rekordwert von 90 Dollar gefallen und pendelte sich bei 87 Dollar je Fass (159 Liter) ein, doch die Angst vor einem Inflationsschub ist damit nicht gewichen. Einige Ökonomen befürchten, dass die Teuerungsrate in Deutschland bis Jahresende auf 3 Prozent steigen könnte. Das wäre die höchste Inflationsrate seit dreizehn Jahren. Zurzeit liegt die Teuerung bei 2,4 Prozent im Jahresdurchschnitt.
Sorge vor einem Inflationsschub äußert inzwischen auch Bundesbankpräsident Axel Weber. (Siehe auch: Der Bundesbankpräsident im Interview) Ihn beunruhigt vor allem - wie er in mehreren Interviews wissen ließ -, dass neben Öl und Lebensmitteln nun auch gewerbliche Waren teurer werden. Der Bundesverband Deutscher Banken schloss sich dieser Einschätzung am Montag an. Er warnte die Gewerkschaften davor, wegen des Preisschubs im kommenden Jahr höhere Tariflöhne zu fordern, denn dies würde die Preisspirale erst recht in Bewegung setzen.
Doch sind die jetzigen Inflationsbefürchtungen wirklich berechtigt? Muss man sich Sorgen machen, dass eine lange Phase der Preisstabilität tatsächlich zu Ende geht? Die Fachleute beim Statistischen Bundesamt in Wiesbaden, die seit Jahren das Auf und Ab der Preise verfolgen, sind noch nicht davon überzeugt, dass die Teuerungsrate es schafft, bis zum Jahresende um 0,6 Punkte auf 3 Prozent zu klettern.
Einige Güter wurden deutlich billiger
Die Statistiker verweisen zum einen darauf, dass der Index der Erzeugerpreise für gewerbliche Produkte im September nur 1,5 Prozent höher war als im Jahr zuvor. Es verteuerten sich zwar etliche Güter um mehr als 3 Prozent, darunter Nahrungs- und Futtermittel, doch andere Güter wurden teils deutlich billiger, wie Computer und Geräte der Unterhaltungselektronik.
Die Skepsis gegenüber einem großen Preisschub schon bis Jahresende hat auch mathematische Gründe: Die Produkte, die jetzt teurer werden, haben nicht das nötige Gewicht im Warenkorb, um den Index so schnell nach oben zu treiben. Die Entwicklung der vergangenen Monate ist dafür ein anschauliches Beispiel: So lag die Teuerungsrate zu Jahresbeginn 2007 bei 1,6 Prozent. Trotz aller großen Schlagzeilen über den Preisschub bei Milch und Butter, die es seitdem gab, machte der Preisindex zwischen Januar und September lediglich einen kleinen Satz um 0,8 auf 2,4 Prozent.
Die Rolle der Psychologie
Der Warenkorb, mit dessen Hilfe der Index der Verbraucherpreise ermittelt wird, umfasst 750 Güter. Der Preisindex ist jeweils der gewichtete Mittelwert der gesamten Preisänderungen aller Güter. Auf Heizöl und Benzin entfallen zusammen 4,2 Prozent dieses Warenkorb-Gewichtes. Bei Bekleidung und Schuhen sind es 5,5 Prozent, so dass eine Erhöhung in dieser Produktkategorie stärker auf den Index durchschlägt. Hinzu kommt, dass bei Heizöl und Benzin die Aufwertung des Euro gegenüber dem Dollar sich besonders vorteilhaft auswirkt, der Preiseffekt also für die deutschen Verbraucher erheblich gedämpft wird.
Die neue Inflations-Sensibilität, die man seit einiger Zeit bei Bürgern und Politikern spüren kann, hat vermutlich einen psychologischen Grund: Der Konsument registriert jene Preisänderungen viel stärker, wenn sie Produkte betreffen, die er häufig kauft. Bei Lebensmitteln ist daher die gefühlte Inflation viel höher als die tatsächliche Preissteigerung.
Als Milch und Butter im Sommer teurer wurden, gab es einen Aufschrei. Einige Politiker schlugen vor, die Sozialleistungen zu erhöhen. Wenn man sich nun die Statistik anschaut, so zeigt sie, dass im September die Nahrungsmittelpreise um lediglich 2,6 Prozent höher lagen als im Vorjahr. Einen Preissprung bis zum Jahresende signalisiert auch nicht das Herbst-Gutachten der Forschungsinstitute. Sie unterstellten in ihrer Prognose einen Ölpreis von 80 Dollar und rechnen 2008 mit einer leicht sinkenden Inflationsrate, weil dann der Mehrwertsteuereffekt nicht mehr wirksam ist.
Text: F.A.Z., 23.10.2007, Nr. 246 / Seite 17
Bildmaterial: F.A.Z.
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