Interessanter Zeit.de Bericht über den wirtschaftlichen Ausblick Chinas allgemein: https://www.zeit.de/2022/25/china-politik-xi-jinping-nationalismus
Auszug Die Weltmachtblase
Chinas Aufstieg schien unaufhaltsam, doch womöglich hat das Land seinen Zenit bereits erreicht.
Von Xifan Yang ... Was Donald Trumps Handelskrieg nicht vermochte, erledigt Staatschef Xi Jinping mit seiner Unterstützung für Wladimir Putin und seinem starren Festhalten an Zero Covid nun in Eigenregie: Ausländische Investoren und Expats verlassen das Land in Scharen, Konzerne wie Apple wollen ihre Produktion aus China wegverlagern, die Zahl der Insolvenzen und Arbeitslosen steigt.
Dass das Land zum Ende des Jahres sein selbst gestecktes Wachstumsziel von 5,5 Prozent erreicht, ist kaum realistisch. Als wahrscheinlicher gilt unter Ökonomen, dass China 2022 zum ersten Mal seit 1976 langsamer als die Vereinigten Staaten wachsen wird. Die geopolitisch und Zero-Covid-bedingte Konjunkturabkühlung beschleunigt eine Entwicklung, die sich seit Jahren abzeichnet: Chinas Boom-Ära geht zu Ende, das Erfolgsmodell der Werkbank der Welt hat sich erschöpft. ...
Auch in der Wirtschaft kann von Effizienz keine Rede mehr sein: Das Wachstum seit der Finanzkrise 2008 basiert größtenteils auf dem schuldenfinanzierten Bau von Immobilien, Flughäfen, Autobahnen und Eisenbahnstrecken. Landesweit stehen Neubauwohnungen für 90 Millionen Menschen leer, viele Hochgeschwindigkeitsstrecken und Flughäfen fahren Verluste ein. 70 Prozent des Vermögens der Privathaushalte stecken im überbewerteten Immobilienmarkt. Ökonomen wie Michael Pettis, Professor an der Peking-Universität, nennen Wachstum, das keine Werte schafft, "Blendwerk". Die Produktivität, der Gradmesser wirtschaftlicher Effizienz, geht dagegen zurück.
Der Crash nach dem Lockdown in diesem Frühjahr lässt die Führung auch in andere alte Muster zurückfallen: Hatte Xi unlängst noch geschworen, dem "aufgeblähten Wachstum" ein Ende zu setzen, will die Regierung der Konjunktur dieses Jahr erneut mit Milliardeninvestitionen in Infrastruktur nachhelfen. Eine andere Initiative, die zum Markenzeichen von Xis Amtszeit werden sollte, ist in der Zwischenzeit leise in den Hintergrund gerückt: Unter dem Slogan "Gemeinsamer Wohlstand" sollte die immense Ungleichheit im Land reduziert werden. Doch Fonds für Armutsbekämpfung werden nun für den Seuchenschutz eingesetzt. Maßnahmen wie eine höhere Immobiliensteuer, die neue Sozialleistungen finanzieren sollten, wurden wieder begraben – offenbar auf Druck der politisch gut vernetzten Elite.
Der vielversprechendste Weg zu einem nachhaltigeren Wachstum wäre nach Ansicht von Experten ohnehin ein anderer: Im Vergleich zu westlichen Ländern behält der chinesische Staat einen überproportional hohen Anteil der volkswirtschaftlichen Einnahmen für sich ein. Würde der Staat Hunderten Millionen ärmerer Chinesinnen und Chinesen ein größeres Stück vom Kuchen überlassen, beförderte dies den Privatkonsum. Ein niedrigerer Staatshaushalt würde aber Kontrollverlust für die Regierung bedeuten, was nicht infrage kommt. Xis Regime sabotiert somit seine Konjunkturziele selbst. ... Doch das Vertrauen in die Führung der Kommunistischen Partei schwindet auch unter jenen, die von Chinas Aufstieg bisher am meisten profitiert haben: "Wir sind alle Niemande, die ins Quarantänelager geschickt werden können und in deren Zuhause der Staat einbrechen kann", klagte kürzlich einer der erfolgreichsten Tech-Unternehmer, Zhou Hang, in einem inzwischen gelöschten Weibo-Beitrag. Selbst Chinas bekanntester KP-Propagandist, der ehemalige Global Times-Chefredakteur Hu Xijin, und der bisher in Peking wohlgelittene WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus kritisierten die Zero-Covid-Politik – auch ihre Äußerungen wurden von der Zensur umgehend gelöscht. Der übliche Reflex der KP in Krisenzeiten lautet, noch mehr Nationalismus aufzufahren. Womit dieser überzeugen soll, wenn nicht mit Leistung (längstes Hochgeschwindigkeitszugnetz der Welt, modernere Wolkenkratzer als New York!), lässt sie jedoch unbeantwortet.
Schwer vorstellbar, wie ein Land Supermacht Nummer eins werden soll, das sich immer mehr von der Welt isoliert. Die USA übten globale Strahlkraft mit ihrer Soft Power und ihrer Einwanderungskultur aus. Unter Xi ist China zu einem paranoiden, reizbaren Riesen geworden, der dem Ausland wenig mehr zu bieten hat als Geld. Dass Chinas Wirtschaftskraft bald schwinden könnte, sollte dabei keine Entwarnung für jene sein, die sich vor Pekings Hegemonialstreben fürchten
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