...für alle, die nicht wissen (wollen?), was die Nazis anrichteten:
Der Meisterboxer, den die Nazis zum Freiwild machten
1933 um den Titel gebracht, 1943 umgebracht: Zum 100. Geburtstag des "Zigeuners" Johann Wilhelm Trollmann
Er war ein großer Boxer, ein Künstler im Meiden und Fintieren. Nur gegen die Nazis hatte er keine Deckung. Sie raubten seinen Meistertitel und schossen ihn tot, und beinahe töteten sie damit auch die Erinnerung an ihn. Die Geschichte des Johann Wilhelm Trollmann, die mehr als ein halbes Jahrhundert lang vergessen war, ist das wahnsinnigste Beispiel dafür, wie eine tödlich dumme Ideologie die Schablonen ihres Rassenwahns auch auf den Sport anlegte.
Johann Wilhelm Trollmann, der am 27. Dezember 1907, heute vor hundert Jahren, geboren wurde, war eines von neun Kindern einer sesshaften Sinti-Familie, die lange nicht mehr dem Klischee vom "fahrenden Volk" entsprach. "Ruckeli", wie ihn seine Freunde nannten, wurde Boxer, und was für einer. Heutige Promoter, die zur Befriedigung des öffentlich-rechtlichen TV-Bedarfs viel Mittelmaß hochjubeln müssen, würden sich die Finger nach einem wie Trollmann lecken. Ein großgewachsener, eleganter Mittelgewichtler, der tänzelnd, mit tief hängenden Fäusten, den Schlägen durch flinke Pendelbewegungen auswich. Und der auch noch gut aussah - ein Frauenliebling mit dunklen Locken und braunen Augen, der viel Volk an den Ring von "Heros Hannover" lockte. "Aber auch die Kerle kommen gern", schrieb der "Hannoversche Anzeiger".
Als man ihm bei der Olympianominierung 1928 einen Konkurrenten vorzog, den er mehrfach geschlagen hatte, wechselte Trollmann, erst 21 Jahre alt, ins Profilager. Er ging nach Berlin. Die Reichshauptstadt war damals boxverrückt, es gab fast jede Woche Kampfabende in den "ständigen Ringen", kleinen Kampfstätten von 300 bis 2000 Plätzen. Trollmann wurde ein Zugpferd der Veranstalter, zuerst im Freiluftring in der Spichernstraße, dann mit einem gutdotierten Vertrag in der Bockbierbrauerei in Kreuzberg am Tempelhofer Berg. Allein 1932 bestritt er 19 Kämpfe. Bertolt Brecht und Hans Albers kamen, ihn zu sehen. Und das Fachblatt "Boxsport" lobte Trollmann als "Techniker, der auch seinen Kopf zu gebrauchen" verstehe.
Sein Stil, sein Hang, das Publikum zu unterhalten, mit Zuschauern noch während des Kampfes zu plaudern, entsprach Begriffen, für die man in Deutschlands Ringen noch keine Worte hatte: ein "Entertainer", ein "Showman". Es lässt Trollmann als einen tragischen Vorläufer von Muhammad Ali erscheinen. Es wurde sein Verhängnis, denn die Nazis wollten eine andere Art von Kämpfer. Wie ein Deutscher zu boxen hatte, beschrieb Ludwig Haymann, einst deutscher Meister im Schwergewicht, dann Sportchef des "Völkischen Beobachters", im Buch "Deutscher Faustkampf - Boxkampf als Rassenproblem": flachfüßig in der Ringmitte stehend, Schläge austeilend, bis einer am Boden lag.
Militärische Mission im Ring
Das war Boxen als militärische Mission begriffen; als Vorübung des Krieges. Die vornehme Kunst des "Faustfechtens", des Meidens von Treffern, entsprach nicht dem Sinn, den die NS-Ideologie im Sport sah. Man wollte keine eleganten Künstler, sondern Menschenmaterial, "hart wie Kruppstahl, zäh wie Leder, flink wie Windhunde". Wie rasch diese Ideologie umgesetzt wurde, zeigten die Bewertungen des ruck, zuck gebräunten "Boxsports". Das, was man noch zuvor als boxerische Vorzüge Trollmanns gelobt hatte ("er sidestept, dreht ab, um plötzlich wieder am Mann zu sein und Serien beidhändiger Haken zu landen"), wurde nun plötzlich als "zigeunerhaftes Flitzen" beschimpft.
Anders aber als bei den Juden, deren Verfolgung unmittelbar nach der Machtübernahme im Januar 1933 begann, war die offizielle Haltung gegenüber "Zigeunern" noch unklar. Die NS-Rassentheorie war noch unschlüssig, ob es bei ihnen "arische" Züge gab. Als dem Juden Erich Seelig der deutsche Meistertitel im Halbschwergewicht aberkannt wurde (er floh nach Amerika), bekam Trollmann seine Chance - er dachte es zumindest. Am 9. Juni 1933 boxte er vor 1500 Zuschauern in der Kreuzberger Bockbrauerei gegen Adolf Witt um den vakanten Meistertitel. Es wurde der vielleicht skandalöseste Kampf der deutschen Boxgeschichte.
"Trollmann hatte besonders viele Anhänger unter denen, die sich mit der neuen Richtung des Verbandes nur schwer oder gar nicht abzufinden wussten", hielt "Boxsport" fest, "Anhänger, die das Theatralische in seinem Spiel, diese zigeunerhafte Unberechenbarkeit schätzten." Trollmann dominierte, und so schaffte noch während des Kampfes der neue Präsident des "Verbandes Deutscher Faustkämpfer", der NSDAP-Mann Georg Radamm, den Meisterkranz aus der Halle. Er ließ den Kampf ungültig erklären. Doch aus Furcht vor dem tobenden Publikum machte der Parteifunktionär einen Rückzieher. Trollmann wurde zum Meister erkoren - aber nur für eine Woche. Dann teilte der Verband schriftlich mit, dass der Kampf ohne Entscheidung zu werten sei.
Der Beginn der Tragödie
Es war der Beginn der Tragödie des Boxers Trollmann. Dass der schwarze Amerikaner Jesse Owens zum Star der Olympischen Spiele 1936 in Berlin wurde, dagegen konnten die Nazis nichts tun - aber dass ein "Zigeuner" die Propaganda von der Überlegenheit der Herrenrasse widerlegte, das wussten sie zu verhindern. Einen letzten großen Kampf gab man Trollmann, gegen den Weltergewichtsmeister Gustav Eder - eine Inszenierung. Es sollte eine Werbung fürs "deutsche" Boxen werden. Die Funktionäre schärften Trollmann ein, nicht auszuweichen, sondern sich dem Schlaghagel des starken Nahkämpfers Eder zu stellen - sonst, so die Drohung, sei er seine Lizenz los.
Trollmann lieferte die gewünschte Show, es wurde ein grotesker Abgang. Mit blondiertem Haar und weißgepudertem Gesicht, als Parodie eines arischen Herrenmenschen, betrat er am 21. Juli 1933 den Ring. Er stellte sich breitbeinig prügelnd in der Ringmitte auf. Einmal schlug er Eder zu Boden. Dann verlor er durch einen Körperhaken in der fünften Runde.
Danach war er gebrochen, Fallobst. Er schlug sich in Boxbuden, auf Jahrmärkten durch. Spätestens 1938 waren auch die "Zigeuner" zum Freiwild geworden, man internierte sie in eigenen Lagern. Einige Berichte besagen, Trollmann habe sich scheiden lassen, um Frau und Tochter vor Verfolgung zu schützen. Anderen zufolge hat er sich sterilisieren lassen, weil es hieß, das NS-Regime begnüge sich damit, Sinti und Roma auf diese Weise (und nicht durch Mord) "aussterben" zu lassen. Die Hoffnung trog. 1938 wurde er verhaftet, landete im Arbeitslager, dann an der Front, wurde in Russland verwundet. 1942 warf man ihn ins KZ Neuengamme bei Hamburg.
Als sich dort die Vergangenheit von Häftling Nr. 721/1943 herumgesprochen hatte, begann ein grausames Spiel. "Immer wenn sich die SS-Männer langweilten", beschrieb es ein Lagerinsasse, "musste Trollmann für Abwechslung sorgen. Sie stülpten ihm Handschuhe über, krempelten die Ärmel hoch und rufen: Los Zigeuner, wehr dich! Dann rammten sie ihre Fäuste in den ausgemergelten Körper." Damit das Spiel lange Spaß machte, päppelten sie ihn mit Butterbroten auf. Doch irgendwann ging der sadistische Kick verloren. Am 9. April 1943, um sechs Uhr früh, wurde Johann Wilhelm Trollmann, 35 Jahre alt, im KZ Neuengamme erschossen. Die offizielle Todesursache lautete: "Kreislaufschwäche".
Erst fünfzig Jahre später wurde Trollmanns Geschichte dank der Archivarbeit des Hobbyhistorikers Hans Firzlaff vor dem Vergessen bewahrt. 2004 anerkannte ihn der Bund Deutscher Berufsboxer nachträglich als deutschen Meister 1933. Und in Hannover wurde der Johann-Wilhelm-Trollmann-Weg eingeweiht - die erste derartige Würdigung eines der 25 000 ermordeten deutschen Sinti und Roma. CHRISTIAN EICHLER
Text: F.A.Z., 27.12.2007, Nr. 300 / Seite 25 http://www.faz.net/p/...F3D2281BA1E4BCFEBA~ATpl~Ecommon~Scontent.html ----------- MfG kiiwiipedia
...nochmal ein Würstchen ? |