Tödlicher Kulturschock
Am 1. Oktober 1990 übernimmt Siemens den Computerpionier Nixdorf. Doch der Zukauf wird kein Erfolg – weil Siemens die Fähigkeiten des Partners verkennt.
JOACHIM HOFER | MÜNCHEN Der 23. August 1990 ist ein Tag großer Entscheidungen. In den frühen Morgenstunden stimmen die Abgeordneten der DDR-Volkskammer mit überwältigender Mehrheit für den Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland. Um 2.47 Uhr gibt Volkskammer-Präsidentin Sabine Bergmann-Pohl in Berlin die historische Entscheidung bekannt. Nur wenige Stunden später machen die Aktionäre der Nixdorf Computer AG in Paderborn den Weg frei für die Übernahme durch den übermächtigen Siemens-Konzern – die am 1. Oktober offiziell vollzogen wird.
Auf den ersten Blick haben die beiden Ereignisse nichts miteinander zu tun. Im einen Fall schließt sich ein Staat einem anderen an. Ein Ereignis, das die Menschen auf der ganzen Welt bewegt. Im zweiten Fall übernimmt eine Firma eine andere. Eigentlich eine Alltäglichkeit. Und doch gibt es Parallelen. Denn in beiden Fällen treffen durch den Zusammenschluss zwei völlig unterschiedliche Welten aufeinander. Und sie bedeuten jeweils eine tiefe Zäsur für alle Betroffenen.
Doch während über die Wiedervereinigung und ihre Folgen bis heute heftig diskutiert wird, redet über den Abschied von Nixdorf schon lange niemand mehr. Dabei ist mit der Übernahme durch Siemens ein spannendes Kapitel deutscher Wirtschaftsgeschichte zu Ende gegangen. Gleichzeitig begann ein turbulenter neuer Abschnitt in der Computerbranche hier zu Lande, der bis heute noch nicht beendet ist.
Doch zurück zu jenem 23. August 1990 und zu Siemens und Nixdorf. In der firmeneigenen Sporthalle am Paderborner Ahornpark treffen sich an diesem Morgen die Nixdorf-Aktionäre zu ihrer letzten Hauptversammlung. Der Ort ist eine Art Kultstätte des 1986 gestorbenen, legendären Unternehmensgründers Heinz Nixdorf. Hier hat der Unternehmer seine berühmten Sportfeste für die Mitarbeiter zelebriert, hier hat sich der charismatische Selfmade-Man mit seinen Leuten verbunden gefühlt.
Doch für Sentimentalitäten ist an diesem Donnerstag kein Platz mehr. Es geht lediglich darum, die Übernahme durch Siemens abzunicken. Denn das einstige Vorzeigeunternehmen Nixdorf ist zum Sanierungsfall geworden. Zur Kapitulation vor dem Münchener Riesen gibt es zu diesem Zeitpunkt keine Alternative mehr. Die wirtschaftliche Lage ist trostlos. Allein im ersten Halbjahr 1990 ist der Umsatz von Nixdorf um elf Prozent auf 2,1 Milliarden DM gefallen. Es lief ein Verlust von 266 Millionen DM auf.
„Für einen Nischenanbieter ist Nixdorf zu groß und für einen Universalanbieter zu klein“, macht Vorstandschef Horst Nasko den Aktionären schnell die aussichtslose Lage klar. Mit katastrophalen Fehlentscheidungen hat das Management in kürzester Zeit ein Unternehmen ins Abseits manövriert, das fast vier Jahrzehnte lang als Synonym für deutsche Informationstechnik stand.
Alles beginnt 1952. Mit einem Startkapital von 30 000 DM, das Nixdorf als Vorauszahlung der Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke (RWE) erhält, gründet er nach abgebrochenem Physik- und Betriebswirtschaftsstudium seine erste Firma namens „Labor für Impulstechnik“ in Essen. Dort baut der Tüftler seinen ersten Computer.
Einige Jahre später zieht Nixdorf nach Paderborn und errichtet seine ersten eigenen Werke. In den 70er-Jahren steigt das Unternehmen schließlich zum größten Computerbauer Deutschlands auf und wird Nummer vier in Europa.
Auf dem Höhepunkt des Erfolgs geht Nixdorf 1984 an die Börse und will den mächtigen amerikanischen Konkurrenten wie IBM Paroli bieten. Der Umsatz erreicht inzwischen vier Milliarden DM, die Firma produziert mit ihren mehr als 23 000 Mitarbeitern rund um den Globus, unterhält Werke in Amerika, Spanien und Singapur.
Doch alles kommt anders als geplant. Denn just als Nixdorf zum Siegeszug ansetzen will, verpasst die Firma den Anschluss. PCs lehnt Heinz Nixdorf rundum ab. Die kleinen, standardisierten Produkte sind ihm zuwider. Computer „quick and dirty“ zu produzieren, wie die Amerikaner sagen, ist mit ihm nicht zu machen. Stattdessen setzt er weiter auf Rechner, die er seinen Kunden auf den Leib schneidert.
Angesichts der Erfolgsgeschichte des PCs eine verhängnisvolle Fehleinschätzung. „Die haben viel zu stark auf proprietäre Lösungen gesetzt“, erinnert sich der IT-Berater Luis Praxmarer, heute Chef des Münchener Consultinghauses Experton Group.
Es war nicht die einzige Fehleinschätzung Nixdorfs. Er fuhr aus Überzeugung im NSU RO 80 mit Wankelmotor. Auch der NSU war technisch eine Sensation. Doch auch ihn wollten die Leute nicht haben.
Als Heinz Nixdorf 1986 auf der Computermesse Cebit in Hannover stirbt, geht es mit dem Unternehmen erst recht bergab. Ohne den Vordenker laufen die Geschäfte schnell aus dem Ruder. „Wir hatten eine Galionsfigur verloren“, erinnert sich der Elektrotechniker Winfried Kampe, der 1978 zu Nixdorf gestoßen war.
Obwohl sich bereits abzeichnete, dass Nixdorf aufs falsche Pferd gesetzt hat, stellt der Konzern Ende der 80er-Jahre weiter massiv Personal ein: 6 000 Mitarbeiter kommen in nur zwei Jahren. Die Kunden satteln derweil zunehmend auf Standardbetriebssysteme wie Unix oder MS/Dos um. Nixdorf hingegen hält unbeirrt an seiner eigenen Software fest. „Um zu wachsen, hätte sich Nixdorf öffnen müssen“, ist Experte Praxmarer überzeugt.
Jährliche Zuwachsraten von 20 Prozent sind das Ziel, vernebeln allerdings den Blick auf die Realitäten des Marktes. „Dieser Dynamik fiel letzthin alles zum Opfer, was zwar nicht den Charme eines Konzerns ausmacht, aber immerhin seine Existenz sichert: solide Betriebswirtschaft, Controlling auf allen Ebenen, systematisierter Materialfluss, effektive Logistik“, urteilt die „Wirtschaftswoche“ zu jener Zeit.
Als klar wird, dass Nixdorf allein nicht überleben kann, stehen die Interessenten Schlange. Vom amerikanischen Telekommunikationskonzern AT&T bis hin zu IBM haben die Großen der IT-Industrie ihre Fühler ausgestreckt. Am Ende kommt es zu jener deutschen Lösung mit Siemens, die von den Politikern bevorzugt wird, um Arbeitsplätze zu bewahren und das Know-how im Lande zu halten.
Am 1. Oktober 1990 ist es schließlich so weit: Die Computersparte des Münchener Technologiekonzerns Siemens und Nixdorf werden zusammengelegt. Für beide Firmen bricht eine neue Epoche an. „Wir haben immer etwas neidisch auf Nixdorf geschaut. Die waren sehr dynamisch und hatten einen charismatischen Macher an der Spitze. Wir dagegen waren eher an der Technologie orientiert“, sagt der Informatiker Bertram Halt, der vor der Übernahme von Nixdorf in der IT-Sparte von Siemens gearbeitet hat.
In der Tat: Mit Nixdorf trifft ein flexibles, ganz auf die Kundenwünsche ausgerichtetes Unternehmen auf einen Konzern, der von Innovationen getrieben wird, aber bürokratisch ist. „Der Zusammenschluss war für uns so etwas wie ein Kulturschock“, erinnert sich der ehemalige Nixdorf-Mitarbeiter Kampe. Es ist nicht die einzige Schwierigkeit, mit der die neue Siemens Nixdorf Informationssysteme AG (SNI), wie die Firma nun heißt, zu kämpfen hat.
Denn die Übernahme kostet Zeit, zu viel Zeit. In der sich rasant wandelnden Computerbranche braucht SNI viel zu lange, um sich intern neu zu organisieren. Da werden Chefposten doppelt besetzt, um niemanden vor den Kopf zu stoßen. Produktlinien werden weiter gefahren, obwohl sie längst verschrottet gehören. „Siemens hat die ganze Firma sehr stark auf Zentralfunktionen ausgerichtet. Als man nach zwei, drei Jahren gesehen hat, dass es so nicht optimal war, schlug das Pendel in die andere Richtung aus“, klagt Kampe.
Nützliche Tugenden von Nixdorf werden dabei von Siemens kaltblütig über Bord geworfen. „Das Kapital von Nixdorf waren die guten Kundenbeziehungen. Das hat Siemens im Rückblick nicht genügend genutzt“, sagt Manager Halt. Junge, flexible Wettbewerber wie Dell oder Compaq ziehen an SNI vorbei.
Nur drei Jahre nach dem Zusammenschluss sucht Siemens erneut nach einem Partner. Denn schnell zeigt sich, dass es SNI weltweit allein nicht schaffen würde. Erstmals kommt der japanische Elektronikkonzern Fujitsu ins Gespräch. Die Asiaten beliefern die Münchener schon länger mit Großrechnern. Doch noch kommen die Firmen nicht zusammen, es werden sechs zähe Jahre, ehe es zu dem Zusammenschluss tatsächlich kommt.
SNI entwickelt sich derweil längst nicht so, wie sich das die Konzernlenker am Wittelsbacher Platz vorgestellt hatten. Erst 1995 gelingt der Firma der Sprung über die Gewinnschwelle. Das Management verzettelt sich stattdessen mit verlustträchtigen Beteiligungen wie der am Computerhändler Escom, verpasst es aber, das Kerngeschäft voranzubringen. Die Belegschaft muss bluten und schrumpft von 52 000 auf 38 000 Mitarbeiter.
1998 entschließt sich Siemens schließlich, eng mit dem Taiwaner Computerbauer Acer zusammenzuarbeiten. Die PC-Fertigung in Augsburg soll Acer übernehmen. Gleichzeitig soll der Konzern SNI-Produkte in Asien vertreiben. Doch in letzter Minute scheitert der Deal, weil sich die Unternehmen nicht über die Finanzierung einigen können. Acer geht derweil das Geld aus.
Siemens ist nun gezwungen, einen anderen Weg zu gehen. Dabei gliedert der Konzern das Geschäft mit Geldautomaten und Kassensystemen aus. Die Firma geht an Finanzinvestoren und ist heute unter dem Namen Wincor Nixdorf an der Börse. Der erst 1995 geschaffene IT-Dienstleister SBS wird schnell wieder abgespalten und in die Kommunikationssparte von Siemens gesteckt.
Was dann noch übrig bleibt, findet im Herbst 1999 in Fujitsu den dringend nötigen Partner. Siemens und Fujitsu teilen sich je die Hälfte der Anteile an dem neuen Gemeinschaftsunternehmen. Der Name Nixdorf geht dabei verloren: Die Firma heißt künftig Fujitsu Siemens Computers (FSC). Die Zeit des Leidens für die Mitarbeiter ist aber noch längst nicht vorbei. Wieder müssen die Chefs der Reihe nach gehen, wieder werden Stellen abgebaut, wieder laufen hohe Verluste auf – und wieder wird eine neue Strategie formuliert. Von weltweiten Ansprüchen ist längst nicht mehr die Rede. FSC fokussiert sich ganz auf Europa, Afrika und den Nahen Osten. Im Rest der Welt verkauft Fujitsu die Rechner.
Heute, im Jahr sieben nach der Gründung, muss FSC noch immer ums Überleben kämpfen. Jüngst hat FSC-Chef Bernd Bischoff angekündigt, erneut 300 Stellen zu streichen. Die Firma schreibt inzwischen zwar schwarze Zahlen. Doch gegen große Wettbewerber wie Dell oder Hewlett-Packard tun sich die Bayern nach wie vor schwer. Und so fragen sich viele in der IT-Branche, wie es mit FSC denn weitergehen soll.
In der wechselvollen Geschichte von Siemens, Nixdorf und der deutschen Computerindustrie steht derweil nur eines fest: So wie es jetzt ist, wird es nicht bleiben. „Magere 40 Millionen Euro Gewinn können einen Konzern wie Siemens auf Dauer nicht zufrieden stellen“, sagt Berater Praxmarer.
MfG kiiwii |