Wackelbilder aus dem Sumpf
Die Intendanten der ARD hatten sich im Januar gegen sogenannte Presenter-Reportagen ausgesprochen. Ein vor allem aus dem Angelsächsischen bekanntes Genre, bei dem der Reporter im Bild herumläuft, mit den Armen wedelt und im Idealfall den Zuschauer an die Hand nimmt, um ihm schwierige Geschichten besser zu erklären, als das die klassische, deutlich distanziertere Reportage kann.
Einer der drei Bewerber für dieses Format war SWR-Chefreporter Thomas Leif. Mit ihrer für Kritiker bis heute kaum nachvollziehbaren Entscheidung stießen die Intendanten den einigermaßen prominenten Reporter vor den Kopf, zumal Leif in diesem Format völlig aufgeht, das Genre mit seiner Präsenz aber immer wieder auch überzieht. Aber nun ist Leif wieder da - Intendantenentscheidung hin oder her. Und die Kamera dreht sich gleich in der ersten Einstellung in bester Presenter-Manier um den Reporter herum.
Schweigende Ermittler
Heute Abend rollt Leif den Skandal rund um die Korruption beim einstigen deutschen Vorzeigeunternehmen Siemens auf. Auf den ersten Blick glänzt sein Werk nicht, ist von Wackelbildern durchzogen, wie sie in vielen Formaten Konjunktur haben, die frisch und authentisch wirken sollen. Einen Effekt hat dieses Fernsehen in YouTube-Qualität aber: Es wirkt dynamisch und das völlig unabhängig von der inhaltlichen Substanz.
Das ist in diesem Fall kein schlechtes Instrument, denn die anfangs angepriesene "Spurensuche" führt Leif vor allem vor verschlossene Türen oder zu Gesprächspartnern, die nur zweite Wahl sein können - entweder, weil sie kommentierende Wissenschaftler sind oder als Ermittler nichts ausplaudern dürfen.
Laufende Verfahren lassen sich im Fernsehen eben nur schlecht darstellen, vor allem, wenn öffentlichkeitsscheue Unternehmen im Fokus stehen. Immer wieder greift Leif deshalb zu Rekonstruktionen und Firmenvideos.
Einige Thesen hat der Chefreporter dann aber doch zu verkaufen und stützt sich auf interne Dokumente. Belastet werden etwa die Wirtschaftsprüfer der KPMG. Wussten sie zu viel von all den dubiosen Zahlungen, um stillhalten zu dürfen? Und wie viel Wissen wurde den Gewerkschaften als Teil des Betriebsrates zuteil, warum blieben auch sie stumm?
Vor allem aber spricht Leif auch ein Tabu an: Wenn die Münchner Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen den Konzern gegen eine geringe Geldbuße eingestellt hat, wie viel Druck mag die bayerische Landespolitik da wohl auf die Justiz ausgeübt haben, um den Standort nicht in Verruf zu bringen? Eine These, die Ermittler in Hintergrundgesprächen zwar immer wieder aufstellen, aber nie in der Öffentlichkeit wiederholen wollen.
Wenig Substanzielles bietet Leif bei anderen Stationen. Reisen etwa nach New York wirken verschenkt. Das gleiche Gefühl bleibt nach dem Besuch bei der auf Wirtschaftskriminalität spezialisierten Gesellschaft PricewaterhouseCoopers - Ermittler, wie sie inzwischen auch Siemens einsetzt, um eine drohende Strafe der amerikanischen Börsenaufsicht zu reduzieren.
Zwar ist ja grundsätzlich lobenswert, dass Leif hinter die Kulissen blicken will. Er spricht letztlich jedoch nur mit einem zwar sympathischen, aber nichts wirklich zur Sache beitragenden ehemaligen Staatsanwalt, der heute privater Ermittler ist. Leif wirft dann noch schnell einen Blick in einen Konferenzraum der Frankfurter PwC-Konzernzentrale.
Dort sitzen eine Handvoll Mitarbeiter, die ein Fallbeispiel lösen. Was Leif nicht sagt: Diese Computeranimation um Schmiergelder beim Bau eines Hotels in Großbritannien wird selbst in Studenten-Seminaren verwendet. Nicht alles, was ein Presenter so präsentiert, ist wirklich eine Sensation. Leif aber hat das Glück, dass der Fall Siemens schier unfassbar ist. Und der ARD schien der Film wichtig genug, dass er vom SWR-Fernsehen ins Erste wanderte - wenn auch kurz vor Mitternacht.
Quelle: fr-online.de
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