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Energiekrise Die Wut auf Habeck
Der deutsche Mittelstand ist nicht für politischen Aktivismus bekannt. Doch jetzt gehen die Unternehmer auf die Barrikaden.
...Bahl und all die anderen Mittelständler sehen, was in den deutschen Unternehmen gerade los ist. Der Papierhersteller Hakle hat schon Insolvenz angemeldet, der Schuhhändler Görtz auch. In einer Umfrage des Industrieverbands BDI sagte jedes dritte Unternehmen, die Preise für Energie und Rohstoffe seien eine existenzielle Herausforderung.
Im Bemühen, einen heißen Herbst zu vermeiden, hat inzwischen fast jeder in Deutschland vom Studenten bis zum Rentner ein Entlastungspäckchen bekommen: Wohngeld, Strompreisbremse, Energiegeld. Die Unternehmer vermissen ihre Lieferung. Und dann setzt sich Robert Habeck in die Talkshow von Sandra Maischberger und sagt, die Probleme müssten nicht zu einer Insolvenzwelle führen, die Unternehmen könnten ja auch aufhören zu arbeiten, ohne Insolvenz anzumelden. Vorsichtig gesagt: Das hat die Unternehmer nicht beruhigt.
In der Sache hat Habeck nicht unrecht. Doch die Liste der Unternehmen, die ihre Produktion ohne Insolvenz einstellen, macht die Lage ja nicht besser. Der Stahlkonzern Arcelor Mittal stoppt zwei Produktionsanlagen und schickt seine Leute in Kurzarbeit. Und dann ist da noch der Diesel-Zusatz Adblue, der aus Ammoniakanlagen kommt – aber zumindest bei den Stickstoffwerken Piesteritz ebenfalls nicht mehr hergestellt wird.
Entsprechend wuchs die Wut weiter. Im Frankfurter Umland hat ein Metzger sein Schaufenster schwarz abgeklebt. „Ohne Unterstützung geht bei uns das Licht aus“, steht darauf. Wenn die Unternehmer mal wieder Zeit haben, sich auf ihren Ärger zu besinnen, dann droht Deutschland etwas ganz Ungewohntes: dass Manager und Unternehmer für einen heißen Herbst sorgen. Die ersten drohen schon mit Demonstrationen.
„Wir steuern gerade durch die größte Krise in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg“, sagt der Unternehmer Markus Dürkes. „Wenn ich sehe, wie ideologiegetrieben Herr Habeck in dieser Situation immer noch handelt, dann macht mich das einfach nur fassungslos.“ Dürkes ist geschäftsführender Gesellschafter der Schonlau-Werke, einer familiengeführten Eisengießerei in Geseke bei Paderborn.
...Dürkes rechnet vor, was der Preisschub am Energiemarkt für seine Eisengießerei bedeutet: Wenn er jetzt Strom für nächstes Jahr einkauft, kostet ihn das dreizehnmal so viel wie bisher. Die Stromkosten drohen ein Mehrfaches des in normalen Zeiten erwirtschafteten Jahresgewinns seines Unternehmens zu erreichen. Dürkes kalkuliert, dass er deshalb die Preise seiner Produkte binnen zwölf Monaten um die Hälfte erhöhen muss. Aber seine Kundschaft, darunter viele mittelständische Maschinenbauer, muss selbst kämpfen. „Bei einer Nichtkompensation durch unsere Kunden wären wir innerhalb des ersten Quartals 2023 insolvent“, sagt der Gießerei-Besitzer.
Die Bundesregierung müsse dringend dafür sorgen, dass der Strompreis für die Industrie so schnell wie möglich fällt, fordert er. Deutlich unter 200 Euro je Megawattstunde müsse der Börsenpreis liegen, damit er für seinen Betrieb „temporär gerade noch handhabbar“ bleibe. Aktuell ist er gut doppelt so hoch. Ohne niedrigere Energiepreise drohe eine Deindustrialisierung in Deutschland, fürchtet Dürkes.
...Habeck hat ein Hilfsprogramm für Mittelständler versprochen, auch sie sollen jetzt bei hohen Energiekosten Geld bekommen. Doch der Mittelstandsgipfel, bei dem er sich am Freitag mit Unternehmern abstimmen wollte, wurde verschoben.
Das Vertrauen ist nicht mehr groß zum Wirtschaftsminister. „Das war so peinlich“, sagt Martin Dries über den Auftritt in der Talkshow. „Ich habe so lange für ihn die Fahne gehalten“, sagt er, „aber jetzt gibt es Entscheidungen, die offensichtlich eher ideologisch sind als durchdacht.“ Dries hat eine Bäckerei im Rheingau mit 25 Filialen und 300 Mitarbeitern. Seine Stromkosten steigen von 300.000 Euro im Jahr auf eine Million, dazu kommen Preissteigerungen bei Mehl und Molkereiprodukten, außerdem der Mindestlohn. „Wenn der Bäcker sein Brot um 30 Cent teurer macht und der Supermarkt sein Industriebrot nur um 20 Cent, dann kaufen die Leute seltener beim Bäcker.“
...Inzwischen denken die Unternehmer über Dinge nach, die ihnen früher eher nicht in den Sinn gekommen wären. Henrik Follmann zum Beispiel, der geschäftsführende Gesellschafter des ostwestfälischen Chemieunternehmens Follmann. Seine Firma beschäftigt rund 900 Mitarbeiter, mehr als zwei Drittel davon am Stammsitz in Minden. Follmann stellt unter anderem Klebstoffe und Druckfarben her, die Kunden kommen aus der Möbel- und der Verpackungsbranche, zudem sind die Rand- und Mittelstreifen auf Tausenden Straßenkilometern in Deutschland mit Spezialwerkstoffen von Follmann markiert.
„Diese Energiepreise sind der Tod der Industrie in Deutschland“, sagt der Firmenchef nun. Um rund 20 Prozent hat der Familienbetrieb seine Produktion wegen der gestiegenen Preise für Gas, Strom und Rohstoffe schon gekürzt. „Zum ersten Mal seit 40 Jahren arbeiten wir am Wochenende nicht mehr“, berichtet Follmann. Manche Kunden in Amerika und Asien hätten sich schon andere Lieferanten gesucht, die zu niedrigeren Kosten produzieren können. [A.L.: Die gibts z. B. in Indien, das Discoutpreise für Gas und Öl aus Russland erhält...]
In Zukunft, fürchtet der Firmenchef, werde dasselbe auch auf dem deutschen und europäischen Markt geschehen. Erst recht, wenn im kommenden Frühjahr die letzten noch zu günstigeren Konditionen abgeschlossenen Lieferverträge für Grundstoffe auslaufen. Es werde reihenweise zu Entlassungen, Fabrikschließungen, Insolvenzen kommen. [A.L.: Moin Malko & fill] „Gerade in Familienbetrieben wie unserem, die beharrlich in Deutschland investiert haben und deshalb jetzt nicht auf Standorte im Ausland zurückgreifen können.“ Hätte er vor zehn Jahren ein Werk in Singapur aufgebaut, sähe es jetzt womöglich besser für ihn aus, aber damals, sagt Follmann, habe er noch Vertrauen in die deutsche Wirtschaftspolitik gehabt. Dieses Vertrauen ist nun weitgehend aufgebraucht.
...Der deutsche Mittelstand ist sonst nicht gerade für laute Töne und politischen Aktivismus bekannt. Jetzt aber sieht es so aus, als seien die Unternehmer dazu bereit, auf die Barrikaden zu gehen. Henrik Follmann kündigt an: „Zur Not bringe ich meine Mitarbeiter und Kollegen aus anderen Unternehmen mit Bussen nach Berlin und demonstriere mit ihnen vor dem Reichstag.“
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