Hauptsächlich aus der sogenannten Bachmann-Studie leiten EU-Präsidentin von der Leyen und ihr Beraterteam die angebliche "ökonomische Unbedenklichkeit" der Russland-Sanktionen ab. Demnach sei nur mit maximal 3 % BIP-Einbruch infolge der Sanktionen zu rechnen.
Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) errechnet hingegen über 6 % BIP-Einbruch, was einer schweren Rezession (schlimmer als die Bankenkrise 2008/9) entspräche.
makroskop.eu/15-2022/...-embargo-gegen-russisches-ol-und-gas/
Die [relative Unbedenklickeit des Import-Stopps russische Energie] wird vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), zu Recht widersprochen. Das IMK richtet seine Kritik vor allem gegen die erwähnte Bachmann-Studie, der wohl die meiste Aufmerksamkeit aller vier Untersuchungen zuteilwurde. So sei das von Bachmann et al. verwendete multisektorale Modell der offenen Volkswirtschaft (nach Baqaee und Farhi) zur Untersuchung der makroökonomischen Effekte eines Stopps der russischen Energieimporte auf die deutsche Volkswirtschaft ursprünglich für den Vergleich langfristiger Gleichgewichte in unterschiedlichen Handelsregimen entwickelt worden.[2]
Zweifelhaft sei damit, ob und inwieweit es überhaupt für eine vollständige Abbildung der kurz- bis mittelfristigen Folgen eines Importstopps geeignet sei. So werde von Anpassungskosten beim Wechsel von Produktionsfaktoren zwischen den verschiedenen Sektoren ebenso abstrahiert wie von kurzfristigen Verwerfungen bei der Nachfrage und an den Finanzmärkten. Dabei unterstellten Bachmann et al. unter anderem, dass es der Zentralbank möglich sei, die Inflation perfekt zu kontrollieren (eine zentrale Annahme der Bachmann-Studie ist, dass die Zentralbankpolitik einen Inflationsschub, der die Inflationserwartungen der Öffentlichkeit „entankert“, zielsicher verhindert).
Das Problem der Untersuchung bestehe darin, dass damit viele derjenigen Kanäle, die in den letzten Krisen von zentraler Bedeutung für Tiefe und Dauer des Wirtschaftseinbruchs waren, unberücksichtigt blieben. Das IMK verwendet deshalb zur Simulation des Szenarios eines plötzlichen Lieferstopps russischer Energie ein anderes Modell, nämlich NiGEM, ein umfassendes makroökonomisches Mehrländer-Modell des „National Institute of Economic and Social Research“, das eine große Breite beachteter und abgebildeter Wirkungskanäle aufweist. Aber selbst dieses Modell, das insgesamt deutlich besser zur Abschätzung der Konsequenzen eines Importstopps geeignet ist als das von Bachmann et al. verwendete Baqaee-Farhi-Modell, ist natürlich nicht „vollständig“: So werden etwa Kaskadeneffekte in Lieferketten – also Störungen bei der Produktion von Vorprodukten, die dann Produktionsausfälle in nachgelagerten Wertschöpfungsstufen auslösen können – nicht abgebildet.
Nach dem IMK hätte ein Lieferstopp für russische Energie erhebliche negative Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft. Gravierend wären insbesondere die Schäden durch den Wegfall von Erdgas. Im vom IMK verwendeten Modell läuft die Transmission über steigende Energiepreise, die einerseits zu Substitutionsprozessen führen und andererseits aufgrund von Realeinkommenseinbußen der Privathaushalte die Energienachfrage reduzieren. Im Hinblick auf Erdgas fragt also das Modell, welche Preisreaktion erforderlich wäre, um die Lücke zwischen der Gasnachfrage und den verringerten Gaslieferungen zu schließen. Oder vereinfacht gesagt: Wie stark müsste der Gaspreis steigen, damit die Nachfrage so weit zurückgeht, dass hierzulande kein russisches Gas mehr verwendet würde. Dazu IMK-Chef Sebastian Dullien gegenüber dem Handelsblatt:
„Die Auswirkungen wären so erheblich, dass das Modell keine stabilen Zahlen mehr produzieren kann.“
Simulationen mit dem NiGEM führen zum Ergebnis, dass selbst ein Anstieg des Gaspreises auf knapp 900 Euro je Megawattstunde – dies entspricht rund dem Vierfachen des bisherigen Rekordpreises – trotz sinkender Nachfrage kurzfristig noch nicht einmal die Hälfte der Versorgungslücke schließen könnte. Dennoch ergäbe sich bereits gegenüber dem vom IMK prognostizierten Basisszenario, das nur einen relativ moderaten Anstieg der Energiepreise und einen kurzzeitigen Wirtschaftseinbruch unterstellt, ein Rückgang des BIP um mehr als 6 Prozent. Die Folgen wären also dramatisch.
Insgesamt zeigen die Simulationsergebnisse auf Basis des vom IMK verwendeten NiGEM-Modells, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen eines Lieferstopps russischer Energie unter Einbeziehung der Rückwirkungen über Nachfragekanäle, Finanzmärkte und der Reaktion der Notenbanken weit gravierender sein dürften, als vor allem die Bachmann-Studie vermuten lässt.
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