demnach kann es ja nicht mehr so lange dauern mit ner lösung
Europas Aluhütten kämpfen ums Überleben VON KLAUS MAX SMOLKA UND NIKLAS ZÁBOJI-AKTUALISIERT AM 25.01.2022-21:05
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Der Strompreisschock setzt den Aluhütten zu. Neuaufträge müssen abgelehnt werden. Frankreich greift der gebeutelten Industrie verstärkt unter die Arme.
Der Werksleitung blieb keine andere Wahl. Sie musste die Produktion drosseln. Seit Wochen steht nun ein Teil der Schmelzen in Dunkerque still. Grund ist der Preisschock an der Strombörse. Wie viele andere Industriewerke hat er Europas größte Aluminiumhütte hart getroffen.
Nach und nach wurden die Anlagen in Dunkerque seit November heruntergefahren, mittlerweile fällt mehr als ein Siebtel der Produktion aus. Das klingt verschmerzbar, führt aber schon jetzt zu Einbußen in zweistelliger Millionenhöhe. Zumal schnelle Besserung nicht wirklich in Sicht ist. „Anfang April könnten wir wieder hochfahren“, sagt Geschäftsführer Guillaume de Goÿs. Die Lage sei ernst.
So ernst, dass sich am Freitag Frankreichs Industrieministerin Agnès Pannier-Runacher auf den Weg an die Kanalküste machte. Als einem der letzten beiden verbliebenen Aluhütten im Land stattete sie Dunkerque einen Besuch ab, sprach zur Belegschaft und signalisierte vor Pressevertretern Handlungsbereitschaft. Die Ministerin hob hervor, dass es die Regierung nicht bei warmen Worten belasse: Die Senkung der Stromsteuer sei ebenso beschlossen wie die Ausweitung des Sonderinstruments „Arenh“ – zur Freude der Industrie, der dieses Instrument den Bezug von günstigem Atomstrom ermöglicht, und zum Leid des staatlichen Energiekonzerns EDF, denn er muss Strom nun teuer im Großhandel dazukaufen.
Ohne die Hilfe aus Paris wären 300 Millionen Euro an Mehrkosten auf die Aluhütte in Dunkerque zugerollt, betont Pannier-Runacher. Die rund 630 Arbeitsplätze in dem Werk seien in Gefahr gewesen. „Die Regierung hat ihre Verantwortung wahrgenommen“, sagte die Ministerin und nannte die Situation im Aluminiumwerk in Dunkerque „emblematisch“. Schließlich ächzten Hunderte Unternehmen im Land unter den hohen Energiepreisen.
Das ist Gift für die Branche EDF für die Strompreisstabilisierung einzuspannen, nannte Pannier-Runacher gerechtfertigt. Sie signalisierte Unterstützung für den hoch verschuldeten Staatskonzern. Der Staat, der rund 85 Prozent der Anteile hält, werde an dessen Seite stehen, „um sicherzustellen, dass EDF diese Zeit übersteht“.
Zuvor hatte es von der Geschäftsführung und Beschäftigten großen Unmut darüber gegeben, dass die Regierung über das Arenh-Instrument den Verkauf von 120 statt 100 Terawattstunden Strom in diesem Jahr angewiesen hat. Das ist, da EDF derzeit zugleich unter dem Ausfall mehrerer Atomreaktoren leidet, mehr als ein Drittel der 2022 produzierten Strommenge. Die Kosten belaufen sich auf rund 8 Milliarden Euro.
Frankreichs Aluminiumindustrie betrachtet die Markteingriffe indes als überlebenswichtig. Während die Megawattstunde Strom im Großhandel aktuell 100, 150 und teils mehr als 200 Euro kostet, ermöglicht Arenh den Bezug für weniger als 50 Euro. „Strom ist für uns ein essenzieller Rohstoff“, sagte de Goÿs von Aluminium Dunkerque. Er hofft auf ein Umdenken. Denn in der Hütte an der Kanalküste erinnert man sich gerne zurück an Zeiten, in denen man sich um die Versorgung mit günstigem Strom keine Sorgen machen musste.
Anfang der 1990er-Jahre in direkter Nachbarschaft zum Kernkraftwerk Gravelines errichtet – mit sechs Reaktoren à 900 Megawatt Leistung das größte in der EU –, profitierte die Aluminiumhütte zunächst von einem 25-Jahres-Vertrag mit EDF. Dieser ist jedoch Geschichte, auch wegen Vorgaben aus Brüssel. Seit ein paar Jahren hangelt man sich nun von Vertrag zu Vertrag. Das ist Gift für eine Branche, in der Energie mindestens ein Drittel der Betriebskosten ausmacht und kleine Preisanstiege zu großen Verlusten führen.
Neuaufträge müsse man ablehnen Anderen Hütten in Europa geht es deshalb zurzeit nicht viel besser. Ob Alcoa in Spanien oder Alro in Rumänien, vielerorts wurde zuletzt die Produktion heruntergefahren. In den Niederlanden stand der Aluminiumproduzent Aldel in der Provinz Groningen wegen der Preisentwicklung kürzlich gar vor seiner dritten Insolvenz binnen eines Jahrzehnts. Das Unternehmen wurde im Dezember durch einen Management-Buy-out vorläufig gerettet. Direktor Chris McNamee übernahm die Fabrik vom Private-Equity-Fonds York Capital und führt den Betrieb nun in geschrumpfter Form weiter, mehr als ein Drittel der Stellen soll entfallen.
Aldel ist einer der größten Arbeitgeber im Nordosten der Niederlande und gilt als einer ihrer größten Stromverbraucher. Wie die Hütte in Dunkerque wurde auch das Aldel-Werk wegen seiner Nähe zu billiger Energie gegründet, in dem Fall 1966 zum damals frisch entdeckten Gasfeld in der Region Groningen. Der Betrieb liegt in einem Industriekomplex fern der Randstad, des wirtschaftlichen Kraftzentrums des Landes. Die Niederlande gehören mit dem Groninger Gasfeld zu den großen Erdgasproduzenten – wollen aber aussteigen und bauen die Förderung schrittweise ab, seit in der Provinz Groningen als Folge der Ausbeutung immer öfter und immer schwerer die Erde bebte.
In den deutschen Aluminiumhütten von Trimet beträgt das Produktionsminus derzeit rund 30 Prozent. Man versuche sich durch die Krise durchzuhangeln, berichten Branchenvertreter. Neuaufträge müsse man ablehnen. Das Problem: Wenn man zu den aktuellen Preisen am Strommarkt kalkuliert, würden die Stromkosten 60 bis 70 Prozent des Endpreises für Aluminium ausmachen. Das sei unwirtschaftlich, auch wenn der Aluminiumpreis angezogen hat.
Gegenüber der Konkurrenz aus Ländern wie China, wo Hütten vor allem mit günstigem Kohlestrom laufen, sehen sich die deutschen Produzenten im Nachteil. Aber auch die Industriehilfen im Nachbarland Frankreich beobachtet man genau – und hofft darauf, dass auch die deutsche Politik die Notwendigkeit erkennt, dass nur ein langfristig stabiler Energiebezug eine Grundstoffindustrie am Leben hält.
Schon geht die Sorge um, dass die EU-Staaten mit ihrer Reaktion auf die Energiepreiskrise einen Subventionswettlauf starten. Das sei bedenklich, heißt es aus Berliner Regierungskreisen, denn nicht alle Länder könnten sich eine starke Unterstützung leisten. „Da wo Preisanstiege nicht tolerabel sind, müssen wir sie vermeiden“, sagte Sven Giegold, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, der F.A.Z. am Rande des Energieministertreffens in Amiens. Es brauche faire Wettbewerbsbedingungen. Aus Giegolds Sicht wird die Energiepreiskrise öffentlich aber oft missverstanden. „Ihre Ursachen sind die hohen Gaspreise und die geopolitischen Spannungen“, sagte er. Die erneuerbaren Energien seien hier nicht das Problem, sondern die Lösung. |