Hallo Alfons1982, das alte Inflationsthema. Warum es keine Inflation gibt, darüber kann man sich streiten und es gibt verschiedene Begründungen die herangezogen werden.
Die Sache ist: Inflation bemisst die Preissteigerungen von Konsumgütern, deshalb fließen heftig angestiegene Hauspreise, Aktienpreise, etc. nicht in die Inflation mit ein. Stattdessen stellt Eurostat einen beispielhaften Einkaufskorb zusammen, der sich am statistisch erhobenen Einkaufsverhalten (und übrigens auch Mietverhalten) der Konsumer orientiert. Das Problem dabei: Dieser Korb wird jedes Jahr angepasst, je nach Konsumverhalten. Kritiker bemerken: Da man davon ausgehen kann, dass der Konsument (wo möglich) die Konsumgüter meidet in denen ein stärkerer Preisanstieg stattfindet, ist es möglich, dass diese Statistik manche Preisanstiege deshalb nicht richtig wiedergibt und diese Anstiege untergewichtet. Verschwörungstheoretiker würden soweit gehen und sagen, dass auf diese Weise die Inflation bewusst heruntergerechnet wird.
Doch auch bei kritischer Betrachtung kann man bemerken, dass beispielsweise Elektronikgüter stetig billiger werden. Dies hängt damit zusammen, dass eine immer effizientere (Über-)Produktion in Billiglohnländern stattfindet, zusammen mit einer starken Konkurrenz. Fillorkill aus dem Nachbarthread (Ökonomen...) würde sagen: Klar gibt es keine Inflation, wenn es eine Überproduktion gibt. Erst wenn Konsumgüter zu knapp werden und mit der Produktion nicht nachgekommen werden kann, steigen die Preise und es gibt Inflation (das wäre sozusagen ein Heißlaufen der Wirtschaft).
Ich persönlich bin der Meinung, dass die zunehmende deflationäre Grundtendenz mit der wachsenden Schere zwischen Arm und Reich zusammenhängt (die wiederum mit den Zinsen zusammenhängt). Der kleine vermögende Teil der Bevölkerung kann konsumtechnisch nicht kompensieren, dass immer größer werdende Teile der Bevölkerung weniger Anteil am Gesamtvermögen haben. Dadurch können die Verbraucher nicht immer weiter steigende Preise bezahlen und die Unternehmen haben einen starken Preisdruck. Die wenigen Leute mit Vermögen wollen ihr Geld allerdings investieren und den Wert erhalten oder gar vermehren. Da die Zinsen niedrig sind, kommt bunkern bei der Bank eher nicht in Frage. Die Konsequenz sieht man aktuell an den Aktien- und Immobilienmärkten. Also Inflation gibt es (nach klassischer Definition) nicht, aber aufgeblasene Preise bei Investitionsgütern. Allerdings halte ich es möglich, dass die ultraexpansive Geldpolitik unter Umständen zu Stagflation führen könnte: Inflation setzt ein und zwar bei stagnierender (oder schrumpfender) Wirtschaft. Sollten Produktionsstätten anfangen reihenweise pleite zu gehen (z.B. in einer Rezession), könnte es zu einem Angebotsschock kommen, welcher die Preise bei sinkender Wirtschaftsleistung steigen lässt. Aber nur meine Meinung. Dazu gibt es natürlich noch Szenarien, in denen das Vertrauen in den Euro erschüttert werden könnte, doch darauf möchte ich jetzt nicht eingehen.
Nun dazu, ob Inflation jetzt etwas Gutes ist oder nicht. Auch darüber kann man streiten: Grundsätzlich ist eine leichte Inflation gut, um das Geld zirkulieren zu lassen, denn es lohnt sich nicht Investitionen in die Zukunft zu schieben und das Geld zu bunkern. Deshalb peilt die EZB offiziell grundsätzlich eine Inflation von 2-2,5% an. Sie legt dabei aber die oben genannten Berechnungsverfahren zu Grunde, die man zu Recht kritisch sehen kann.
Warum könnte man außerdem Inflation wollen? Nicht nur Guthaben schrumpft bei Inflation, sondern auch Schulden schrumpfen zusammen. Und europäische Unternehmen und (vor allem süd-)europäische Staaten haben viele, viele Schulden. Das Problem ist nur, dass die EZB Inflation eigentlich durch steigende Zinsen bekämpfen sollte, wenn die Preise zu stark steigen. EZB-Kritiker behaupten, dass die EZB deshalb die Inflation kleinrechnet, damit die Schulden inflationiert werden und die Zinsen aber trotzdem nicht erhöht werden müssen, da es 1. die Wirtschaft ausbremsen würde, 2. einigen Unternehmen und 3. vielleicht gar einigen Staaten finanziell das Genick brechen könnte. Also Inflation in dieser Situation eher toll, steigende Zinsen eher nicht so toll. Deshalb hat Draghi vermutlich kurz vor seinem Abgang noch verkündet, dass nach einer so langen Zeit unter dem Inflationsziel von der EZB auch eine Phase toleriert werden könnte, in der das Inflationsziel übertroffen wird (will sagen, dass also die Zinsschraube bei einer Überschreitung nicht sofort wieder angezogen wird). Hmm, warum nur? |