Berlin - Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) will seinen Reformkurs trotz aller Widerstände fortsetzen und durch Umschichtungen Milliarden in Bildung und Forschung investieren. In einer mit Spannung erwarteten Regierungserklärung versicherte Schröder am Donnerstag im Bundestag, dass die vor einem Jahr vorgestellte Agenda 2010 das Konzept bleibe, um "Deutschland zu neuer Stärke" und wieder zu einem Platz an der Weltspitze zurückzuführen.
Merkel verlangt Schröders Rücktritt
Die Opposition sprach von Stillstand und Konzeptlosigkeit. Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel meinte, Schröder habe sich "in Überschriften geflüchtet". Sie verlangte den Rücktritt des Kanzlers sowie schnelle Neuwahlen. CSU-Landesgruppenchef Michael Glos sagte, unter Schröders Führung sei Deutschland zu einer Nation "der Verzagheit und Mutlosigkeit" geworden. Die Wirtschaft vermisste trotz für sie erkennbarer Fortschritte eine konsequente Umsetzung der Sozialreformen. Die Gewerkschaften und Sozialverbände beklagten, dass die Reform-Last hauptsächlich von den kleinen Leuten zu tragen sei.
Kanzler will Eigenheimzulage streichen
Die gut einstündige Rede war der erste Auftritt Schröders nach dem Wechsel des SPD-Vorsitzes zu Fraktionschef Franz Müntefering. Dabei appellierte der Kanzler an die Union, die Eigenheimzulage zu streichen und das Geld für Bildung, Forschung und Kinderbetreuung frei zu machen. Die Union reagierte betont zurückhaltend, die FDP und die privaten Bausparkassen wiesen Schröders Vorschlag entschieden zurück. Auch einen Teil der Goldreserven der Bundesbank möchte Schröder dafür einsetzen. FDP-Chef Guido Westerwelle meinte, es sei eine verdeckte Steuererhöhung, wenn die Streichung von Subventionen nicht zur Senkung von Steuern verwendet werde. Auch die Ankündigung Schröders, eine Ausbildungsumlage einzuführen, lehnte er abermals ab.
Wunsch nach ständigem Sitz im UN-Sicherheitsrat
In seiner von SPD und Grünen mit minutenlangem Schlussapplaus bedachten Rede stellte Schröder keine größeren und weitergehenden Reformprojekte in Aussicht. Er bekräftigte im außenpolitischen Teil seiner Rede den Wunsch Deutschlands nach einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Gleichzeitig forderte er die Union zur Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen auf. Keine Seite solle aber versuchen, die andere in die Defensive zu drücken.
"Deutschland steht um einiges besser da"
"Deutschland steht um einiges besser da als vor zwölf Monaten", sagte der Kanzler zu Beginn seiner Ausführungen. Merkel bot trotz aller Kritik "im Sinne einer nationalen Kraftanstrengung" Zusammenarbeit bei wichtigen Strukturveränderungen an. "Ab morgen" könne über eine durchgreifende Steuerreform geredet werden. Müntefering bekräftigte das Ziel der SPD, dass "der Kern der sozialen Sicherungssysteme solidarisch finanziert bleiben muss".
DGB begrüßt Schröders Vorschlag
DGB-Chef Michael Sommer begrüße die Absicht der Regierung, die Ausgaben für Forschung und Entwicklung bis 2010 auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern und dazu auch einen Teil der Goldreserven der Bundesbank zu verwenden. Arbeitgeberpräsident Dieter Hund vermisste weiter gehende Reformen der Sozialsysteme, des Arbeitsmarktes und des Arbeitsrechts.
Wirtschaft: Dokument des Stillstands
Nach Ansicht des Generalsekretärs des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), Hanns Eberhard Schleyer, war die Regierungserklärung "ein Dokument des Stillstands". Der Sozialverband VdK hat für Montag in mehreren Großstädten Deutschlands zu Demonstrationen gegen Sozialabbau aufgerufen. Nach Ansicht von VdK-Präsident Walter Hirrlinger sind Rentner, Kranke und Behinderte die großen Verlierer der Reformen. (pf/dpa)
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