Sind jetzt die Herren Özdemir und Spiegel dafür verantwortlich, dass wir die Worthülse "Leitkultur" nicht mit den "richtigen" Werten füllen können? Muss jetzt das Fehlen einer zufriedenstellenden Definition dafür herhalten, dass wir Schuldige brauchen, die zur Verantwortung gezogen werden können?
- Wer ist Schuld daran, dass die Familien auseinanderbrechen, als der Ort, in dem Menschen gegenseitig Verantwortung übernehmen sollten: Eltern für ihre Kinder, Ehepartner füreinander, Kinder für ihre Eltern und Geschwister?
- Wer ist Schuld daran, dass verantwortliches Handeln, dessen Grundlage in der Familie gelegt werden sollte, in den Einrichtungen, in denen Kinder betreut werden - in der frühen Kindheit handelt es sich um Kindergärten und Kindertagesstätten, später um die Schule - nicht in dem Maße funktioniert, dass die Förderung von Toleranz, Rücksicht und Gemeinsinn Nebensache bleibt und Werte und Normen eher belächelt werden?
- Wer ist Schuld daran, dass die Wertschätzung des Menschen in der Wirtschaft - in der Hauptsache - nur noch nach seiner Effizienz und wirtschaftlichen Produktivität bestimmt wird?
- etc. etc.
Wer ist also Schuld daran, dass wir nicht die Werte und Normen verinnerlicht haben, die im Zusammenhang mit der Diskussion um "Leitkultur" gefordert werden? Brauchst du Schuldige für den Werteverfall einerseits und die Hinwendung zu "Ballermann", "Zlatko" und "Komasaufen" - das mittlerweile unter deutschen Jugendlichen weitverbreitet ist - andererseits? Fehlende Kindergartenplätze, zu teure Tagesmütter, Kinderarmut u.v.a.m. - Dinge, die mittlerweile zum bedauerlichen Standard wurden, werden auf dem Altar geopfert, der da heißt: Streben nach Geld, Geld und nochmals Geld! Ich frage dich noch einmal: Wer ist Schuld daran? Özdemir, die Türken, Spiegel oder die Juden? Nein, Monsieur, Schuld daran bist DU, ICH, WIR, die Gesellschaft und diese besteht überwiegend aus Deutschen.
Schau bitte in den Spiegel, aber nicht in den von dir kolportierten, sondern in deinen eigenen Spiegel und dann frage dich, wie du selbst Werte vermitteln kannst, wie sie attraktiv darstellen, zwanglos anbieten und am besten noch beispielhaft vorleben. Suche jedoch nicht nach Schuldigen, die keine Schuld tragen, die allerdings immer wieder gerne als Sündenböcke herhalten müssen, weil es ja so einfach erscheint: Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht? Lk 6,41
Noch etwas, Hartz5: Musst du eigentlich rituelle Floskeln bedienen? Zitat: "Wann hören wir endlich auf uns vorschreiben zu lassen, was wir im eigenen Land sagen dürfen?"
Also, man wird es ja wohl noch sagen dürfen, das... äh ... ja, was wollte ich jetzt eigentlich sagen? Egal - wichtig ist allein, dass ich es hätte sagen können, wenn ich es hätte sagen wollen. Was auch immer. Das ist ja das Schöne, dass man in diesem Lande wieder alles sagen darf. Auch das Unsäglichste. Die rituelle Einleitungsfloskel dieser neu gewonnenen Meinungsfreiheit ist eben dieses "Man wird es ja wohl noch sagen dürfen".
Btw, wenn du schon Herrn Spiegel zitierst, dann solltest du dir den Teil seiner Rede durchlesen, der sich mit dem Thema "Leitkultur" befasst:
[...]
Was soll das Gerede um die Leitkultur? Ist es etwa deutsche Leitkultur, Fremde zu jagen, Synagogen anzuzünden, Obdachlose zu töten? Geht es um Kultur oder um die Wertvorstellungen der westlich-demokratischen Zivilisation, die wir in unserem Grundgesetz fest verankert haben? In Artikel 1 des Grundgesetzes heißt es: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu schützen ist die Aufgabe staatlicher Gewalt." Die Würde des Menschen - aller Menschen ist unantastbar, nicht nur die des mitteleuropäischen Christen!
Wenn dieses Prinzip als deutsche Leitkultur verstanden wird, dann kann ich das nur befürworten. Dann aber möchte ich alle Politiker in die Pflicht nehmen, sie auffordern, ihre populistische Sprache zu zügeln und zunächst einmal dafür zu sorgen, dass dieser Artikel 1 des Grundgesetzes auch umgesetzt und ernst genommen wird. Politik, Justiz und Polizei sind gefordert, alles - wirklich alles! - zu unternehmen, um die Würde aller Menschen in diesem Land zu schützen.
Meine Damen und Herren Politiker: Überlegen Sie, was Sie sagen, und hören Sie auf, verbal zu zündeln! Schützen Sie die Menschen in diesem Land und schaffen Sie Rahmenbedingungen, damit wir alle gemeinsam leben können. Nur so werden Sie allen Bürgern, nichtjüdischen und jüdischen, sich selbst und der ganzen Welt beweisen können, dass dieses Deutschland im Jahr 2000 wirklich eine demokratische Zukunft hat.
[...]
Was, bitteschön, ist an diesen Aussagen so verkehrt? Behauptet er etwa, es sei "deutsche Leitkultur", Fremde zu jagen, Synagogen anzuzünden, Obdachlose zu töten? Er stellt einzig und allein eine provokante Frage und beruft sich dann auf die Wertvorstellungen der westlich-demokratischen Zivilisation, die er befürwortet - er wird es ja wohl noch sagen dürfen. :-P
Ciao!
PS Im Übrigen verweise ich auf meinen Beitrag: "287. Was ist "deutsche Leitkultur"? Eine Worthülse! Major Tom 20.11.04 14:46  ;-)
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