Agenda: Wie Abtrünnige soll auf Linie gebracht werden!
Biegen und Brechen in Hessen
von Jarka Kubsova (Frankfurt), Birgit Marschall (Berlin) und Horst von Buttlar (Hamburg) Chaostage in Hessen: Nach dem Aufstand der SPD-Abgeordneten Dagmar Metzger hatte Andrea Ypsilanti aufgegeben. Dann schwenkte Hessens Parteichefin um. Sie will an die Macht. Irgendwie. Kein Preis scheint dafür zu hoch.
Die Frau, die alles über den Haufen geworfen hat, die alles zerstört hat, steht plötzlich ganz verloren da. Sie wartet am Rande des Sitzungssaals, blass sieht sie aus, sie hat kaum geschlafen die Nacht.
Ständig läutete das Telefon, einige sehr unangenehme Anrufe waren darunter. Jetzt ist sie angespannt, unentwegt knetet sie ihre Hände. "Ich bin natürlich die Person, die hier heute an den Pranger gestellt wird", sagt sie, "aber ich denke, das wird sich legen." Dagmar Metzger irrt. Es geht gerade erst los.
Es ist Samstag, kurz vor 10 Uhr, Hessens Sozialdemokraten treffen sich zum Parteirat in der Frankfurter SPD-Zentrale. Sie wollen einen Ausweg aus der Krise suchen, in die die Landtagsabgeordnete Dagmar Metzger sie mit ihrem Gewissen gestürzt hat. Eine Krise, die die gesamte Partei bis nach Berlin erschüttert und blamiert hat
Doch nichts ist davon zu spüren, als Andrea Ypsilanti kommt. "Die Lage ist schwierig, aber nicht hoffnungslos", ruft sie dem Pulk Journalisten zu. Es ist ein bizarres Schauspiel, das nun folgt: Kaum hat Hessens SPD-Parteichefin den Saal betreten, erheben sich die rund 100 Parteimitglieder im Saal und applaudieren minutenlang begeistert. An Ypsilantis Platz steht ein riesiger Tulpenstrauß, als habe sie gerade eine Wahl gewonnen.
Auch Metzger applaudiert, reiht sich ein in die kollektive Akklamation, ganz hinten sitzt sie in der letzten Reihe, auf dem Platz, den Lehrer gern aufsässigen Schülern zuweisen. Doch es ist der Applaus von einem Menschen, dem die Vorstellung nicht wirklich gefällt. Schwerfällig treffen die Handflächen aufeinander, Metzgers Blick geht nach vorn, aber er fixiert nicht. Sie kämpft um Fassung.
Dann fällt die rot umrandete Milchglastür zum Saal zu. Dagmar Metzger, die Abweichlerin, die ihr Gewissen über die Partei stellte, wird ihn erst nach sechs quälenden Stunden wieder verlassen. Und sie wird eine andere sein.
Offiziell geht es im Saal um einen Parteitagsbeschluss. Doch allmählich sickert durch, worum es vor allem geht: Die Abgeordnete soll unter Druck gesetzt werden, ihr Mandat niederzulegen. Metzger soll geschlachtet werden
Die SPD will in Hessen an die Macht kommen, um jeden Preis, auf Biegen und Brechen. "Wir sind fest entschlossen zu regieren", sagt der Marburger SPD-Landtagsabgeordnete Thomas Spies nach der Sitzung. "Der Wille der Landes-SPD ist ungebrochen, das Projekt umzusetzen, das wir im Wahlkampf begonnen haben: den Aufbruch in die soziale Moderne", tönt auch Ypsilanti, als sei nichts gewesen - einen Tag, nachdem sie das Tolerierungsmodell mit der Linken für gescheitert erklärt und angekündigt hat, sich doch nicht zur Ministerpräsidentin wählen zu lassen.
Es ist ein wirres Spektakel, ein atemloses Hin und Her, das die hessische SPD in diesen Tagen dem Land bietet: Parteirechte streiten mit Parteilinken, Bundespolitiker mit Landespolitikern, aus Triumphzügen werden Blamagen, aus Plänen werden Scherbenhaufen, die tags darauf zu neuen Plänen zusammengesetzt werden.
Mit einem Ziel: in Wiesbaden an die Macht zu kommen. "Man muss auch sehen, wie viele Menschen vergewaltigt werden, wenn Roland Koch weiterregiert", sagt etwa die Abgeordnete Judith Pauli-Bender, die seit 17 Jahren im hessischen Parlament sitzt. Und so müssen Widerstände und Hindernisse eben entfernt werden.
Es ist Donnerstagnachmittag, als Deutschland das erste Mal den Namen Dagmar Metzger hört. Die Abgeordnete aus Darmstadt, die bis dahin im schweizerischen Chur bei strahlender Sonne und Pulverschnee Skiurlaub machte, will den Linkskurs der SPD nicht mittragen. Am Tag darauf tritt sie vor die Kameras. Das Gesicht leicht gerötet, die Augen glänzen, der Mund schmal und hart, und doch bebt ihre Stimme zwischendurch.
90 Minuten hat Ypsilanti versucht, sie umzustimmen. Doch Metzger bleibt bei ihrem Nein, erzählt, wie ihre Familie in Westberlin durch den Mauerbau zerrissen wurde. Der Pakt mit den Linken käme in Hessen einem "Ritt auf der Rasierklinge" gleich, sagt sie.
Kurz darauf sagt Ypsilanti, dass sie ihre Pläne aufgibt. Die Blamage ist da. In Berlin erhebt sich in der Partei ein Gewirr von Stimmen, mal entsetzt, mal voller Häme, mal einfach nur fassungslos. Über den Rücktritt von Ypsilanti wird spekuliert, über den Rücktritt von Parteichef Kurt Beck, innerhalb von wenigen Wochen fällt zum zweiten Mal der Name Franz Müntefering.
Und auch Fragen tauchen auf: Warum wurden die Zweifel, die Metzger bereits vor ihrem Urlaub geäußert hat, nicht bis zu Ypsilanti getragen? Warum hat Ypsilanti sich nicht bei jedem Abgeordneten rückversichert? Warum gab es keine Probeabstimmung?
Abtrünnige soll auf Linie gebracht werden
......... u.s.w..........
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