Es ist wie ein Rückfall in uralte Zeiten. Der Frankfurter Polizei-Vizepräsident ordnet die Anwendung körperlicher Gewalt an, um Hinweise von einem Straftäter zu bekommen. Sein Chef und der oberste deutsche Richter-Funktionär äußern dafür sogar noch Verständnis. Bei Dawid Danilo Bartelt, Sprecher von Amnesty International in Deutschland, schrillen die Alarmglocken.
SPIEGEL ONLINE: Frankfurts Vize-Polizeipräsident Wolfgang Daschner hatte im Mordfall Jakob Metzler schriftlich angeordnet, dass der Verdächtige "nach vorheriger Androhung, unter ärztlicher Aufsicht, durch Zufügung von Schmerzen (keine Verletzungen) erneut zu befragen ist", wie es in einem Vermerk heißt. Ein Fall für Amnesty International? Bartelt: Wir sind sehr besorgt und entsetzt. Es ist schockierend, dass Repräsentanten des Rechtsstaats zu solchen Mitteln greifen. Deutschland ist Vertragspartei der Uno-Konvention gegen Folter und der Europäischen Menschenrechtskonvention. Das Verbot von Folter, wie es in diesen internationalen Konventionen, aber auch im deutschen Grundgesetz niedergelegt ist, gilt absolut. Natürlich auch für Straftäter.
SPIEGEL ONLINE: Der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Geert Mackenroth, hat die Androhung von Gewalt in diesem Fall als Mittel gerechtfertigt, um ein anderes Rechtsgut retten zu können. Die Polizei dachte zum Zeitpunkt des Verhörs, der entführte Jakob von Metzler sei noch am Leben.
Bartelt: Eine solche Abwägung ist unzulässig. Wir sind höchst alarmiert über die Tatsache, dass auch der Frankfurter Polizeipräsident und das hessische Innenministerium die Folterandrohung zu rechtfertigen versuchen. Öffentliche Äußerungen dieser Art sind neu in Deutschland.
SPIEGEL ONLINE: Wird Amnesty International reagieren?
Bartelt: Wir fordern von der hessischen Regierung, die Vorgänge zu untersuchen und, wenn nötig, strafrechtliche Konsequenzen zu ziehen. Wir dürfen so etwas nicht zulassen und müssen den Anfängen wehren. Standards, die bisher als unhintergehbar galten, stehen nun offenbar zur Disposition. Das darf nicht sein.
SPIEGEL ONLINE: Sind Amnesty International ähnliche Fälle in Deutschland bekannt?
Bartelt: Nein, dieser Vorgang ist nach unseren Erkenntnissen ein Präzedenzfall. Ich sehe das im Zusammenhang mit der Aufweichung von Rechtsstandards nach dem 11. September 2001. Folter scheint auch in Rechtsstaaten wieder salonfähig zu werden. Die USA machen es mit der Behandlung der Gefangenen in Guantanamo vor, und es gibt eine Reihe von Indizien dafür, dass auch europäische Demokratien Folter im Umgang mit Strafverdächtigen nicht mehr rundweg ablehnen. Dabei sind die Gesetze eindeutig. Folter ist verboten. |