Deleuze steht in der langen Tradition europäischer Denker, die sich mit der Kritik des Essentialismus beschäftigten (Spinoza, Nietzsche). Was sollte jedoch an dessen Stelle treten? Für Deleuze war dies das All-Eine, die Totalität von Allem, die das gesamte physikalische Universum und seine Möglichkeitsbedingungen umfasst. Deleuze richtete sich damit auch gegen den Platonismus. Platons Auffassung war, dass die Dinge der Welt nur unvollkommene Manifestationen von Ideen seien, die selbst vollkommen, ewig und unveränderlich sind. Deleuze setzte dem seine Vorstellung von der Welt des Virtuellen entgegen. Jede Realisierung von Gegenständen in der Welt ist ein Nexus (Ort eines Verbundenseins) von Virtualitäten, die notwendigerweise unvollkommen miteinander interagieren. Da sie unvollkommen sind, stören sie auch die zukünftige Realisierung von Virtualitäten.
In politischer und moralischer Hinsicht ist diese Auffassung für Deleuze eine Verpflichtung, den Faschismus und den Kapitalismus abzulehnen. Beide erscheinen als Versuche, die Instabilität der physischen Welt zu leugnen und die Möglichkeiten der Realisierung einzuschränken. Stattdessen solle man die Instabilität und Unvollkommenheit der realen Welt akzeptieren und sich frei durch die Realisierungen der Virtualität bewegen.
Deleuze' Werk trägt daher Züge eines Anti-Hegelianismus. Es ist für ihn nicht die Dialektik des Willens (von Herr und Knecht), die Veränderung hervorbringt, sondern interne, immanente Differenz. Von Henri Bergson übernimmt Deleuze die Idee der Dauer, die Körperzeit, in der der Körper selbst Differenz hervorbringt, ohne dafür Anstoß von außen zu benötigen.
Begriffe sind für ihn nicht Ideen (im Sinne Hegels), die die reale Welt transzendieren und dadurch negieren, sondern sie stehen an einer Bruchstelle zwischen den Gegenständen, die Veränderung und Durchdringung ermöglicht. Der Begriff ermöglicht neue Verbindungen zwischen den Dingen, indem er ihre virtuellen Unbestimmtheiten verknüpft. Er ist somit in positivem Sinne produktiv. Deleuze' Philosophie kennt keine Negation in Hegels Sinne; sie trägt die Züge reiner Affirmation der Verknüpfung des bisher Unverbundenen.
Zwei Schlüsselwerke von Deleuze, die beiden Bände von Kapitalismus und Schizophrenie, sind in gleichem Maße Arbeiten von Félix Guattari. Anti-Ödipus (Band I) versteht sich als Kritik der Psychoanalyse von Jacques Lacan und Sigmund Freud. Die Psychoanalyse erscheint hier als Instrument der Aufrechterhaltung von (unter anderem kapitalistischer) Dominanz und Repression, vor allem durch die Unterwerfung des Subjekts unter die phallische Struktur der Kultur. Dagegen entwerfen Deleuze und Guattari das Konzept der Wunschmaschine, eines maschinell gedachten Unbewussten, das, anders als in der Psychoanalyse, nicht sprachlich strukturiert ist. Das Subjekt ist demnach nicht vom negativen Mangel gekennzeichnet (wie bei Lacan), sondern vom positiven Wunsch.
In Tausend Plateaus (Band II) wird die philosophische Tradition des Rationalismus, vor allem der Hegelianismus, einer radikalen Kritik unterzogen. Deleuze und Guattari propagieren Heterogenität, Vielheit, nomadische Wissenschaft und den organlosen Körper. Eines ihrer meistrezipierten Konzepte, das Rhizom, soll eine Alternative zu gedanklichen Modellen sein, die als „Bücher“ Anspruch auf Repräsentation der Welt erheben. Dazu gehört der Baum des Wissens, der seit Platon das zentrale Modell für die hierarchische Organisation der Wissenschaften war, aber auch deren modernistische Gegenkonzeption der „Wurzelbüschel“, die als Gegenbewegung in der Weltbeschreibung eine Fragmentarisierung (genannt werden James Joyce und Friedrich Nietzsche) erreichen will, durch diesen Prozess aber stetig Verweise auf höher gedachte, allumfassende Einheiten bewahrt. Das Rhizom wurde vor allem auch in der Medientheorie als Metapher zur Beschreibung von Hypertext-Netzwerken verwendet. Nomadische Wissenschaft ist für Deleuze und Guattari der positive Gegenbegriff zur monarchischen Wissenschaft. Damit bezeichnen sie zwei Modelle von Macht. Monarchische Wissenschaft trennt zwischen Macht und Handlung, was zur Arbeitsteilung zwischen intellektueller und körperlicher Arbeit führt. In der nomadischen Wissenschaft bleiben sie dagegen vereint.
Deleuze interpretiert Spinoza folgend: Es gäbe eine „trübsinnige Leidenschaft“, wo Lust nicht als solche, sondern als Unlust erfahren wird. Robert Pfaller sieht für solche trübsinnigen Leidenschaften folgende Beispiele: Entrüstung, Pflichterfüllung, Heldentum, Rechthaberei, Zorn, Eifer, Schuldgefühle, Starrsinn usw. Leider gehen dabei Glück und Liebe verloren. Ich handle nicht mehr selbstschöpferisch und frei bezogen auf den gegenwärtigen Kontext, sondern unterstelle mein Handeln einem Konzept, einer Ideologie.
Deleuze' Schriften entziehen sich der leichten Lesbarkeit, was einem artifiziellen, hochkomplexen und assoziativen Schreibverfahren geschuldet ist. Viele wollen nicht linear gelesen werden, sondern präsentieren sich als ein Netz miteinander verbundener „Plateaus“. Seine Schriften befassen sich eklektisch mit so unterschiedlichen kulturellen Gebieten wie Psychoanalyse, Anthropologie, Sprachwissenschaft, politischer Ökonomie, Soziologie, Geschichte, Biologie, Musik, Kunst, Literatur, Architektur und Kino. Mit Enthusiasmus wurden sie in den Geisteswissenschaften aufgenommen, vor allem in Medientheorie, ästhetischer Theorie, Literaturwissenschaft, Cultural Studies und Gender Studies, aber auch politisch im Neoanarchismus und im Postoperaismus. Zeitgenössische Denker, bei denen sein Werk eine bedeutende Rolle spielt, sind Eric Alliez, Seyla Benhabib, Homi K. Bhabha, Manuel de Landa, Fredric Jameson, Antonio Negri, Edward Said, Peter Sloterdijk, Slavoj Žižek und Joseph Vogl.
Gilles Deleuze und das Kino[Bearbeiten]
Gilles Deleuze betrachtet die Bewegung des Films als ein dem Film sowohl inhärentes als auch transzendierendes Moment. Seine beiden filmtheoretischen Bände Bewegungsbild und Zeitbild (Kino I und II) stellten einen Bruch mit einem semiotischen Filmverständnis (und der zugehörigen Filmkritik) dar und propagierten ein Kino, das auch als philosophische Praxis verstanden werden soll. Ihm zufolge ist der Regisseur ein Philosoph, da er zwar nicht in Begriffen, aber mit Bildern und Tönen denkt. Deleuze erwies sich dabei als profunder Kenner der Filmgeschichte.
Deleuze unterscheidet in der Kinogeschichte maßgeblich zwischen zwei Phasen, die sich beide durch die Beziehung der Bilder zur Bewegung ergeben: das Bewegungs- und das Zeit-Bild. Der ersteren und älteren Bildart ist die Bewegung inhärent. Sie zeigt sie durch kontinuierliche Schnitte und präsentiert somit eine einheitliche Weltvorstellung. Das Zeitbild hingegen transzendiert das Moment der Zeit und arbeitet mit diskontinuierlichen Montagepraktiken. Dadurch wird die Konstruktion von filmischer Zeit und Raum offenbar. Eine von Diskontinuität und fehlender Ordnung geprägte Welt offenbart sich dem Betrachter.
Als erstes gelingt es einigen avantgardistischen Montagetechniken, ein indirektes Zeitbild zu erschaffen. Den Übergang zu dieser neuen Darstellungsart meistern sie, indem sie in der Struktur des Bewegungsbildes bestimmte Momente hervorheben. Sie verfolgen damit eine inhaltlich motivierte Konfliktstruktur. Im amerikanischen Film wird dies durch Duellstruktur und Parallelmontage ausgedrückt,[2] im sowjetischen Film durch die dialektische Beziehung (siehe hierzu Sergei Michailowitsch Eisenstein), im französischen Impressionismus durch die alternierende Montage und im deutschen Expressionismus durch den Konflikt von Licht und Schatten. Diese Übergangsphase des Kinos „macht nicht mehr aus der Zeit das Maß der Bewegung sondern aus der Zeit eine Perspektive der Zeit“ (Deleuze).
Das Zeit-Bild ist gleichsam eine „visuell verfasste Ontologie“ (Fahle). Zeit spielt für Deleuze deshalb eine entscheidende Rolle, da der Film in der Darstellung und Reflexion von Zeit allen anderen Medien, auch der Sprache, überlegen ist. Das Bewegungsbild in seiner typischsten Ausprägung als Aktionsbild hat allerdings Zeit und Raum nur als verknüpft und unablösbar voneinander verstanden. Mit der Krise des Aktionsbildes zur Zeit des Italienischen Neorealismus' nehmen im Film verstärkt optische und akustische Bilder den Raum ein, den vorher das sensomotorische Bild belegt hatte. Das sensomotorische Bild geht von einem sukzessiven Erzählmodus aus, der Anfang, Mitte und Ende kennt.
Mit dem Neorealismus nehmen Situationen überhand, die die Figuren nicht mehr zu sinnvollen Aktionen verleiten (können); diese neuen Situationen bezeichnet Deleuze als „optische“ und „akustische“. In diesen opto-akustischen Situationen kann die Zeit, losgelöst von Raum, Handlung und Aktion (Bewegung), als „reine Zeit“ dargestellt werden.
----------- "History that repeats itself turns to farce. Farce that repeats itself turns to history." |