Afghanistan-Krieg Demokratisierung des „Broader Middle East“ Das demokratische Afghanistan – ein Vasallenstaat neuen Typs [1]
Der amerikanische Präsident nennt Afghanistan stets ein „Modell des Friedens und der Demokratie für den Mittleren Osten“ und nimmt für sich in Anspruch, mit dem Krieg am Hindukusch, dem Sturz des Taliban-Regime und schließlich der Wahl Karzais zum Präsidenten am 9.10.2004 den Afghanen die Freiheit – „das Geschenk des allmächtigen Gottes an jeden Mann und jede Frau auf dieser Welt“ [2] – beschert zu haben. Dabei weiß er so gut wie die gesamte westliche Öffentlichkeit, dass Afghanistan auch durch die erfolgreiche „Wahl eines Präsidenten nicht zu einer pluralistischen Demokratie westlichen Zuschnitts“ (NZZ 9.10.) geworden ist. Offensichtlich ist das auch nicht erforderlich, um als „Erfolgsmodell“ der Demokratisierung des „Broader Middle East“ gelten zu können.
Vorbildlich ist das Land aus Sicht Washingtons deshalb, weil der Regimewechsel, den die USA in Afghanistan aus ihren strategischen Interessen heraus für nötig befunden und eingeleitet haben, Fortschritte macht. Nach dem 11.9.2001 hat die Regierung Bush die Beseitigung dieses „failed state“, der zum wichtigsten Unterschlupf für Al Kaida geworden war, auf die Tagesordnung gesetzt. Das Taliban-Regime war ohnehin ein Ärgernis, weil es sich westlichen Interessen und Berechnungen entzog, und Afghanistan außerdem auch noch der wichtigste Ausgangspunkt für den weltweiten Drogenhandel war. [3] Um diesen Gefahrenherd für Amerikas Sicherheit und Ordnung auszuräumen, haben sich die USA entschlossen, am Hindukusch einzumarschieren und die Machtverhältnisse im Lande den eigenen Ansprüchen gemäß neu zu ordnen. Das Programm sieht eine Zentralgewalt vor, die nicht islamisch sondern proamerikanisch ist, die sukzessive das gesamte Land unter ihre Kontrolle bringen und künftig in der Lage sein soll, aus eigener Kraft Afghanistan von islamistischen Terroristen und vom Opiumanbau frei zu halten. Im Herzen Asiens soll ein verlässlicher Vasall Amerikas entstehen, dessen Territorium auch als sicherer Stützpunkt für amerikanische Militäroperationen in der Region zur Verfügung steht.
Die derzeitigen Zustände in Afghanistan sind geprägt von 25 Jahren Krieg – von der Invasion der Sowjetunion 1979, dem vom Westen und Saudi-Arabien gesponserten Kampf gegen die Besatzungsmacht 1985-89, dem sich anschließenden Bürgerkrieg 1992-96 bis hin zum US-Angriff auf das Taliban-Regime im November 2001. Im Süden und Osten dauern die Kampfhandlungen immer noch an; amerikanisch-britische Koalitionstruppen, 18.000 Mann unter der Flagge der Antiterror-Operation „Enduring Freedom“, liefern sich täglich mit Taliban-Milizen bzw. Al-Kaida-Kämpfern heftige Gefechte. Das übrige Land ist ein großer Trümmerhaufen, in dem es auch nicht gerade friedlich zugeht: In Kabul versuchen die ISAF-Truppen unter Führung der NATO mit mehr oder weniger Erfolg für Ruhe und Ordnung zu sorgen und Anschläge von Gegnern der Besatzung zu verhindern. Im Norden und Westen des Landes herrschen rivalisierende regionale Führer – „Warlords“, wie sie jetzt heißen, nachdem ihre guten Dienste für die USA als „Freiheitskämpfer“ gegen die Sowjetunion und als „Nordallianz“ gegen die Taliban Geschichte sind. Sie stützen ihre Herrschaft auf Loyalitäten, die auf Waffengewalt, Stammeszugehörigkeit, Geld und religiöser Moral beruhen. Ihre Haupteinnahmequelle ist der Opium-Verkauf, daneben profitieren sie vom Schwarzhandel mit Autos, Waffen und humanitären Gütern, kassieren an Transitrouten Zölle und bereichern sich durch Wegelagerei. Soweit es die Sicherheitslage zulässt, kümmern sich NGOs um die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und Medikamenten. Mehrere Millionen Afghanen, die vor den Taliban und dem Krieg geflohen waren, kehren nach und nach in ihre Heimat zurück – teils auf eigene Initiative, größtenteils von den UN-Behörden organisiert – und benötigen eine neue Lebensgrundlage. Die formelle Subsumtion des Landes unter den Zweck der imperialistischen Mächte
Der von den USA angeleitete Demokratisierungs- und „nation building“-Prozess beginnt unmittelbar nach Kriegsende mit der Petersberger Konferenz. Auf ihr küren ausgewählte afghanische Stammesvertreter und Repräsentanten der Bevölkerung unter Anleitung und dem nötigen Druck der US-Administration und ihrer Verbündeten eine einheimische Führungsfigur zum provisorischen Präsidenten. Dass das Los auf den „paschtunischen Edelmann vom Stamme Popalzai“, Karzai, fällt, hat seinen imperialistischen Sinn. Erstens stammt er aus der größten afghanischen Volksgruppe, den Paschtunen, und wird als einer ihrer Anführer geschätzt; in den neunziger Jahren hat er es deswegen schon einmal zu einem Regierungsamt gebracht. Zweitens hat er rechtzeitig mit den Taliban gebrochen und ist nach Pakistan ins Exil gegangen, also dürfte er für einen gemäßigten, säkularen Kurs stehen. Zu diesen Eignungskriterien – anti-islamistisch und eigene Hausmacht – kommt noch als wichtigstes hinzu: Er ist zur unbedingten Kooperation mit den USA bereit, also „unser Mann“ und damit „die beste Wahl für die Afghanen“. Mit seiner Ernennung ist Karzai nominell der Chef des neu zu gründenden Staatswesens und der international anerkannte Repräsentant des afghanischen Volkes, [4] de facto repräsentiert er allerdings nur den Auftrag der USA und ihrer Verbündeten, eine neue Herrschaft im Lande zu errichten und sich die Zustimmung der Bevölkerung zu verschaffen. An den Gewaltverhältnissen im Lande hat sich durch Karzais Inthronisation nämlich nichts geändert. In ihren Provinzen üben die konkurrierenden Stammesfürsten die Macht aus, dulden allenfalls die Regierung in Kabul wegen deren Rückhalt bei den Weltaufsichtsmächten und versuchen, sie für eigene Machtkalküle zu funktionalisieren. Die Taliban- und Al-Kaida-Kämpfer sehen im Präsidenten ein Symbol der Fremdherrschaft und ein Hauptziel für ihre Anschläge. Vor seinen Feinden muss sich Karzai mangels eigener Sicherheitskräfte durch Leibwächter schützen, die von Amerika abgestellt und bezahlt werden; nach mehreren Attentatsversuchen zieht er es vor, auf heimische Auftritte außerhalb seines Regierungssitzes zu verzichten. Die einzige Aufgabe seiner Übergangsregierung besteht darin, unter Anleitung der UNO eine Verfassung auszuarbeiten und Wahlen vorzubereiten, also die formellen Voraussetzungen für eine künftige – demokratische – Herrschaft zu schaffen.
Aufgabe Nr. 1 ist im Januar 2004 erfüllt: Die „Loya Jirga“, eine Versammlung von Stammesdelegierten aus den 32 Provinzen – extra vertreten sind einige Frauen, um den beginnenden Wandel der Gesellschaft zu signalisieren – und Repräsentanten der Flüchtlinge, nimmt „die erste demokratische Verfassung Afghanistans“ an, die unter der Ägide von UN-Juristen ausgearbeitet wurde. Damit liegt ein neues Staatsprogramm westlicher Prägung samt organisatorischer Grundstruktur vor, rechtlich kodifiziert, international beglaubigt und von ausgesuchten Volksvertretern unterzeichnet, und harrt darauf, auch umgesetzt zu werden. Mit welchen „Schwierigkeiten“ dessen geistige Väter bei der Umkrempelung der Machtverhältnisse rechnen, lässt sich dem Grundgesetz selbst entnehmen. Die Verfassungsgeber schlagen sich mit dem Widerspruch herum, dass die gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten im Lande mit der Ordnung, die es bekommen soll, gar nicht kompatibel sind. Das hat sie aber keineswegs entmutigt, sondern zu dem nach viel Gewalt rufenden Schluss gebracht: Dann muss die vorliegende Tradition passend gemacht werden und sich für den Umbau funktionalisieren lassen.
– Fest steht, dass der Einfluss des Islam auf Moral und Recht beseitigt werden muss, andererseits ist er die feste Grundlage der Sittlichkeit in Afghanistan. Darum wird in den einschlägigen Artikeln der Verfassung dem Islam formell die Ehre erwiesen, im Staatsnamen steht „Islamische Republik“, zugleich aber klargestellt, dass er keinen Einfluss auf die Politik haben und der Verwestlichung der Moral nicht im Wege stehen darf. Damit keine Missverständnisse aufkommen, definiert die Verfassung ausdrücklich, dass die religiösen Vorschriften nicht Grundlage, sondern höchstens äußerste Schranke fürs künftige Rechtswesen sein dürfen: „Kein Gesetz darf den Glaubenssätzen des Islam widersprechen.“ Explizit vorgeschrieben sind die für diese Breiten revolutionären Freiheitsrechte: die „Gleichberechtigung anderer Glaubensrichtungen“ und die „Gleichberechtigung von Mann und Frau“.
– Vorgesehen ist der Präsident als starke Zentralgewalt, die die Kontrolle im gesamten Land ausübt. Weil unter den gegebenen Machtverhältnissen diese verfassungsmäßige Stellung blanker Idealismus ist, wird seine Position „durch die Institution zweier Vizepräsidenten“, die anderen Ethnien als er entstammen müssen, „gestärkt“. Drei der wichtigsten Stammesführer sollen also – trotz ihrer Rivalität untereinander – ihre Hausmacht zusammentun, um sich den Rest unterzuordnen und die antagonistischen Gewaltverhältnisse in der Gesellschaft zu kontrollieren.
– Weil die Verfassungsgeber Zweifel haben, dass in Afghanistan in absehbarer Zeit ein Parlament zustande kommt, in dem lauter prowestliche, sich für die gesamte Nation verantwortlich fühlende Politiker sitzen und konstruktiv Regierungs- oder Oppositionspolitik betreiben, erhalten die Parlamentarier minimale, der Präsident sehr weitgehende politische und gesetzgeberische Befugnisse. Die Grundgesetzverfasser setzen also darauf und sehen das als Aufgabe der künftigen Regierung vor, dafür zu sorgen, dass die Funktion des Parlaments, für die Loyalität aller politischen Kräfte gegenüber der Regierung zu sorgen, auch dann erfüllt wird, wenn die Abgeordneten, statt in die Machtausübung einbezogen, praktisch von ihr ausgeschlossen werden.
Aufgabe Nr. 2, die Durchführung freier Wahlen, setzt schon wegen der technischen Vorraussetzungen – Registrierung der Wähler, Einrichtung von Wahllokalen, Sicherheit vor Terroranschlägen bei der Stimmabgabe etc. – nach Ansicht der Aufsichtsmächte ein „Mindestmaß an Ordnung im Lande“ voraus, das erst noch hergestellt werden muss. Das heißt, die Gegner der Wahl, die in ihr die Verankerung des Führungsanspruchs der von außen installierten Regierung und ihre eigene Entmachtung erkennen, müssen zumindest in die Schranken gewiesen und neutralisiert werden. Für die weitgehende Erledigung der Aufständischen im Süden und die Brechung des Widerstands der Provinzfürsten veranschlagen die Kontrollmächte zunächst ein halbes Jahr, auf Antrag der Übergangsregierung wird die Frist später verlängert.
Die Ausschaltung sich widersetzender Kräfte mit militärischen Mitteln
länger durfte der Text nicht sein laut ariva - hier der gesamte text als Link
http://www.vonmarxlernen.de/index.php/...l/221-afghanistan-krieg.html |