Quelle: http://www.ftd.de/unternehmen/industrie/...h-oel-bohren/60065889.html
Lasst Zwerge nicht nach Öl bohren Wir brauchen das Öl aus der Arktis. Doch gerade der winzige Konzern Cairn sollte es nicht fördern. Doch die Multis schicken das Winz-Unternehmen vor. © Bild: 2011 AP/Steve Morgan Kommentar Wir brauchen das Öl aus der Arktis. Doch gerade der winzige Konzern Cairn sollte es nicht fördern. Doch die Multis schicken das Winz-Unternehmen vor. von Kathrin Werner
Was im Leben ist schon sicher? Sicher ist es auf keinen Fall, mit einem Feuerzeug in der Tasche eine Ölbohrplattform zu entern - so argumentierten kürzlich vor dem Amsterdamer Amtsgericht die Anwälte der schottischen Ölfirma Cairn, die in der Arktis bohrt. Sicher ist es auf keinen Fall, in der Arktis nach Öl zu bohren - so argumentierte der Anwalt der Umweltorganisation Greenpeace, die die Bohrung stoppen will. Das Urteil fiel in der vergangenen Woche: In den kommenden sechs Monaten haben sich die Ökoaktivisten von den Cairn-Bohrinseln vor der Küste Grönlands fernzuhalten. Die Verfügung gibt keine Antworten, was richtig oder falsch ist. Das Gericht hat sich nur mit einer winzigen Teilfrage befasst. Doch der Streit hat einen großen Kontext: Es geht um die Energieversorgung der Zukunft. Es geht um die Risiken, die wir eingehen wollen, um unseren Lebensstandard zu behalten. Es geht um die Umwelt und um das große Geld. Und für Cairn geht es ums Überleben.
Die Zeit drängt. Cairn bohrt und geht genau jetzt große Risiken mit potenziell desaströsem Ausgang ein. Jeden Tag könnte die Katastrophe passieren, eine unscheinbare Luftblase zur Explosion führen, ein Bohrkopf in der Tiefe des eisigen Meeres abrutschen - und die Arktis wäre zerstört. In einer idealen Welt würden wir das Bohren dort komplett verbieten. Ein perverser Kreislauf hat es erst möglich gemacht. Wegen des Klimawandels, den das Verbrennen von Öl mitverursacht hat, schmilzt das Eis und macht neue Regionen für Ölbohrfirmen zugänglich. Unfälle im eiskalten Wasser haben aber noch viel schlimmere Konsequenzen als etwa im Golf von Mexiko im vergangenen Sommer. Es gibt in der Arktis viel weniger Mikroben, die Öl auffressen, alle chemischen und biologischen Prozesse verlaufen viel langsamer. Außerdem sind Bohrungen dort nur in kurzen eisfreien Zeiträumen möglich, meist in den drei Sommermonaten. Darum hatte Cairn es eilig, Greenpeace vor Gericht zu bringen. Die BP-Ölpest hat aber gezeigt, dass es Monate dauern kann, bis ein Leck unter Kontrolle ist. Passiert ein Unfall, kurz bevor das Meer zufriert, ist das Loch bis zur nächsten Eisschmelze unter dickem Packeis unerreichbar. Das Öl würde monatelang ungehindert ins Wasser strömen und sich aus der Arktis in die Weltmeere verteilen. BP hat die Lizenzen vor Grönland zurückgegeben. Der Konzern kann sich aus Imagegründen keinen weiteren Unfall leisten. Cairn hält Notfallpläne bislang geheim. In Wahrheit gibt es vermutlich einfach keinen Plan, der die Bedenken ausräumen könnte.
Doch die gigantischen Reserven sind verlockend: Vor Grönland werden Ölreserven bis 20 Milliarden Barrel (ein Barrel hat 159 Liter) vermutet. Die Arktis in Russland, vor allem im Westsibirischen Becken und in der östlichen Barentssee, gilt als das nächste eiskalte Eldorado. Weltweit schlummern unter dem Eis bis zu 400 Milliarden Barrel Öl und Gas - die Welt verbraucht rund 30 Milliarden Barrel Öl im Jahr. Und die Vorräte in den normal zugänglichen Quellen versiegen. Der Tag wird also sowieso kommen, an dem wir es uns nicht mehr leisten können, auf das Arktisöl zu verzichten. Zwar sinkt mancherorts der Verbrauch. Dennoch sind wir abhängig von dem Rohstoff. Biosprit ist noch kein vollständiger Ersatz, wird es vielleicht nie werden. Elektromotoren werden wohl nie Lastwagen oder Frachtschiffe antreiben. Und dann ist da noch die Petrochemie. Irgendwann werden wir uns um jeden Öltropfen prügeln. Zudem vermuten Experten unter dem Eis Erze und Mineralien, die seltene Metalle wie Neodym oder Dysprosium enthalten. Wir müssen also in der Arktis bohren - fragt sich nur, wie und vor allem wer. Cairn ist das einzige Unternehmen, das vor Grönland nach Öl sucht. Das Unternehmen erwirtschaftete 2010 gerade mal 1,6 Mrd. Dollar Umsatz und rund 480 Mio. Dollar Gewinn. An der Börse ist es nur 9,5 Mrd. Dollar wert. BP musste für die Ölpest im vergangenen Jahr schon jetzt mehr als 40 Mrd. Dollar ausgeben, es dürfte noch mehr werden. Bei einem Unfall in der Arktis - er wäre sehr wahrscheinlich noch verheerender und teurer - wäre Cairn sofort pleite.
Die großen Ölmultis schicken den Branchenzwerg vor, um ihnen den Weg frei zu machen. Exxon Mobil, der größte private Ölkonzern der Welt, hat Bohrlizenzen und beäugt Cairns Erfolg genau. Cairn steht unter Druck - jede schlechte Nachricht schickt den Börsenkurs in den Keller. Wir mögen keine großen Sympathien für die Ölmultis hegen - bei dieser technisch schwierigen und extrem teuren Aufgabe werden aber ihre Expertise und Bilanzstärke gebraucht. Im Wettbewerb um die besten Köpfe gewinnen Großkonzerne wie Exxon meist gegen Winzlinge wie Cairn. Natürlich müssen die Ölmultis in der Arktis genau überwacht werden, viel genauer als im Golf von Mexiko. Die Verantwortung darf nicht allein bei den grönländischen Behörden liegen, die auch auf einen Geldsegen aus der Förderung hoffen. Das Öl wird von der Welt gebraucht, bei Unfällen ist der ganze Globus betroffen. Eine internationale Dachorganisation muss sich darum kümmern - in Zusammenarbeit mit Umweltgruppen und Wissenschaftlern. Das Bohren sollte jetzt beginnen, solange noch Öl aus anderen Quellen ausreicht und wir Zeit haben, in Ruhe nach der besten Technik zu suchen. Cairn jedenfalls muss gestoppt werden. Aber besser ohne Feuerzeug in der Tasche. |